Elektromobilität im Nahverkehr: Polen und Niederländer rollen voran
Bei Elektrobussen wird ein Boom erwartet. Deutsche Hersteller haben bisher keine Modelle im Angebot. Auch die Politik hinkt hinterher.
Hätte Kuhn recht, wäre ein zentrales Ergebnis des Gipfels Makulatur – ein 350-Millionen-Euro-Paket zur Finanzierung kommunaler Elektrobusse und -transporter. Glücklicherweise irrt er sich – vermutlich, weil in Stuttgart der Daimler-Konzern das Maß aller Dinge ist. Und der wird erst Ende 2018 einen Elektrobus auf den Markt bringen. „Elektrobusse von heute genügen weder den Ansprüchen der Verkehrsbetriebe noch denen von Mercedes-Benz“, lästert der Konzern auf seiner Webseite.
Auch die VW-Tochter MAN, der zweite deutsche Bus-Produzent, bietet noch keinen Elektrobus. Doch es gibt Busse von zahlreichen anderen Herstellern – und die fahren in mehreren deutschen Städten bereits zur großen Zufriedenheit von Betreibern und Kunden im Linienbetrieb.
Die Kölner Verkehrsbetriebe etwa haben seit über einem Jahr acht rein elektrische Busse des niederländischen Herstellers VDL im Einsatz. „Die fahren wunderbar“, sagte Sprecher Stephan Anemüller kürzlich im Deutschlandfunk. „Wir sind sehr, sehr zufrieden.“ Auch in Berlin und Braunschweig ist mit dem Modell Urbino Electric des polnischen Herstellers Solaris ein komplett elektrischer Linienbus unterwegs.
Einen entscheidenden Nachteil haben diese reinen Elektrobusse im Vergleich zur Konkurrenz mit Diesel-Motor jedoch: Weil auch die Heizung mit Strom betrieben wird, sinkt die Reichweite im Winter. Statt 400 Kilometern schafft ein Elektrobus maximal die Hälfte. Manche Hersteller, beispielsweise das deutsch-türkische Unternehmen Sileo oder der niederländische Hersteller Ebusco, betreiben die Heizung im Winter darum weiterhin mit Diesel.
Ladepunkte an Endstationen geplant
Doch wenn die Busse erst einmal im Regelbetrieb eingesetzt werden, dürfte die Reichweite kein Problem mehr sein. Denn in vielen Fällen werden die Busse ohnehin nicht nur nachts im Betriebshof aufgeladen, um dann einen ganzen Tag ohne Zwischenladung zu fahren. Die meisten Kommunen planen Ladepunkte an Endhaltestellen oder wichtigen Zwischenstopps, wo die Busse dann per Induktion aus dem Boden oder über Stromabnehmer im Dach in kurzer Zeit die Energie für die nächste Runde nachladen.
Stephan Anemüller,
Damit können Elektrobusse dann zwar nur auf den entsprechend ausgestatteten Strecken eingesetzt werde. und zunächst sind auch größere Investitionen in die Lade-Infrastruktur erforderlich. Dafür kommen sie aber mit sehr viel kleineren Batterien aus – was die Kosten pro Fahrzeug erheblich senkt und den Platz für die Passagiere erhöht.
Bisher sind Elektrobusse mehr als doppelt so teuer wie vergleichbare Modelle mit Diesel-Antrieb. Da jedoch angesichts der Abgas- und Klimaproblematik viele Kommunen ihre Flotten umstellen wollen, wird der Markt in den nächsten Jahren stark wachsen. Sie gehe davon aus, „dass die Preise von Elektrobussen schon bald fallen werden, weil es Skaleneffekte gibt“, sagt SPD-Umweltministerin Barbara Hendricks.
Zudem kommen neue Akteure auf: Neben den deutschen Herstellern, die 2018 die ersten E-Busse anbieten wollen, drängt der weltgrößte Elektrobus-Bauer auf den europäischen Markt. Die chinesische Firma BYD baut seit 2010 Elektrobusse, die hier bisher jedoch nur zu Testzwecken eingesetzt werden.
Lediglich in London sind gleich 51 Busse mit BYD-Technik unterwegs. Das soll sich ändern: Mit zwei Fabriken in Ungarn und Frankreich soll der Kontinent erschlossen werden, weitaus mehr Fahrzeuge könnte ein geplantes Werk in Marokko liefern.
Bis dahin wird sich vermutlich auch in Stuttgart herumgesprochen haben, dass Elektrobusse längst existieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen