Eishockey bei den Winterspielen: Die Ruhe nach dem Sturm
Das deutsche Eishockeyteam steht zum ersten Mal im olympischen Halbfinale. Fast die gesamte DEB-Auswahl glaubt an einen Sieg über Kanada.
Ja, das erste. Es gab zwar 1932 schon mal eine Bronzemedaille, aber da traten nur vier Mannschaften im Gruppenformat gegeneinander an. Und es gibt, natürlich, die sagenumwobene Bronzemedaille von 1976 in Innsbruck, aber auch damals wurde noch nicht im K.-o.-Modus gespielt, Deutschland betrat das Podium mit einer Bilanz von 4:6 Punkten, und Kanada sowie Schweden waren aus Protest gegen die Amateurregel gar nicht erst angetreten.
Nein, man könne 1976 nicht mit heute vergleichen, sagt Franz Reindl, der Präsident des Deutschen Eishockeybundes am Donnerstag. Reindl muss es wissen, er war damals als Spieler dabei.
Der 63-Jährige – als Spieler, Trainer und Funktionär eine Institution im deutschen Eishockey – ist bewegt dieser Tage, wie sollte es auch anders sein nach all den Jahren. Man dürfe von einem „Wunder“ sprechen, sagt er über den Viertelfinalsieg gegen Schweden. „Die Augen funkeln, jeder ist bereit, die wollen mehr“, über die Mannschaft. „Sie spielen ähnlich wie wir, ich glaube, wir haben eine Chance“, über Gegner Kanada.
Und Reindl hat auch eine klare Vorstellung, wem das Verdienst gebührt. Deshalb hat er mit Sturm ja schon vor dem Turnier den Vertrag verlängert. „Wir wollten ein Signal setzen, dass wir nicht auf Ergebnisse schauen, sondern unabhängig davon sagen: ‚Das ist unser Mann.‘“
„Er gibt uns Vertrauen“
2013 beendete Sturm eine Spielerkarriere, die ihn mit über 1.000 Einsätzen zu Deutschlands Rekordspieler in der nordamerikanischen Profiliga NHL avancieren ließ. Den Trainerjob hatte er noch nie ausgeübt, als der Verband ihn holte. „Wir haben lange diskutiert und ihm dann die Chance gegeben – als Nobody“, erinnert sich Reindl.
Franz Reindl, DEB-Präsident
Sturm hat sich dann auch in der zweiten Karriere schnell einen Namen gemacht. Bei seinen zwei Weltmeisterschaften wurde zweimal das Viertelfinale erreicht. Alles andere als eine Selbstverständlichkeit im deutschen Eishockey, das 1953 zuletzt eine WM-Medaille gewann.
Spricht man mit den Spielern, erwähnen sie das positive Ambiente, das Sturm geschaffen habe. „Er gibt uns Vertrauen, das Gefühl, dass wir es draufhaben“, sagt Yannic Seidenberg am Tag nach dem Halbfinaleinzug auf den Gängen des Deutschen Hauses zwischen Brezn und Müsli. Versinnbildlicht wird das Teambuilding durch Xaver Unsinns Pepita-Hut, den Sturm aus dem deutschen Eishockeymuseum holen ließ, um ihn als Wanderpokal durch die Mannschaft gehen zu lassen. Nach seinem Siegtor gegen die Schweiz erhielt ihn Seidenberg, am Mittwoch gab er ihn an Patrick Reimer weiter, dessen Solo den Weltmeister Schweden erledigte.
Athletikcoach, Videocoach, Ernährungsberater
Seidenberg hat mit Sturm noch selbst zusammen gespielt. „Wir reden schon lange davon, was zu erreichen“, sagt er, aber jetzt glaube man auch daran. „Früher sind wir vielleicht eher mit der Einstellung reingegangen, ‚Hoffentlich wird die Niederlage gegen die großen Teams nicht so hoch.‘“
Der 39-jährige Niederbayer muss nicht schreien, um gehört zu werden. So ruhig, fast sanft wie in der Öffentlichkeit gebe er sich auch intern, heißt es. Ein „Feeling für den Athleten“ attestiert ihm Reindl. Und er wisse zu delegieren. „Er ist halt schlau. Als Spieler war er auch schlau. Er wusste, wo er hingehen muss, er wusste, wo er nicht hingehen muss. Jetzt nimmt er sich Fachleute hinzu.“
Athletikcoach, Videocoach, Ernährungsberater etc. – die Nationalmannschaft habe sich seit Sturms Amtsantritt noch mal deutlich professionalisiert, sagt Reindl. „Die Anforderungen, die der Marco ans Umfeld hat, die sind schon enorm.“ Nach dem Schweden-Spiel etwa begannen die Gegnerbeobachter direkt in der Kabine mit der Arbeit für Kanada. „Weiter, weiter, weiter“, hätten sie nur geantwortet, als Reindl sagte, sie sollten doch auch mal ein bisschen feiern.
Spiele auf der Strafbank verloren
Die Olympiavorbereitung – die Arbeit an der „Familie“, als die er die Mannschaft bezeichnet – begann für ihn schon vor zwei Jahren. Vor allem aber traute er sich, die jahrzehntealten Defizite im spielerischen und strategischen Bereich zumindest anzugehen. „Er hat die ‚deutschen Tugenden‘, die wir immer hatten, – Kampf, Leidenschaft, Einsatz, Wille – gepaart mit den technischen Aspekten“, sagt Reindl. „Du musst das läuferische Vermögen haben, das taktische Denken, schauen, dass du diszipliniert bist.“ Früher gegen Schweden haben man die Spiele auf der Strafbank verloren, diesmal blieb es bei sechs Minuten. „Das sind halt Dinge, die er schult“, so Reindl, der von einer „deutlichen Handschrift“ spricht.
Die sieht man auch im Coaching, wo sich Sturm als origineller Stratege erweist und zuletzt auch immer Fortune hatte. Gegen die Schweiz beorderte er die Mannschaft nach einem zuvor eher zähen, defensiven Match in die Offensive – umgehend fiel der Treffer. Gegen Schweden erwies sich sein Festhalten an Torwart Danny aus den Birken trotz wenig Pause ebenfalls richtig. Sturm und die Deutschen reizten ihre Möglichkeiten bis nah ans Optimum aus – kann das wirklich noch mal funktionieren?
„Wir wussten, dass Schweden die bessere Mannschaft ist, und Kanada ist es wahrscheinlich auch“, sagt Seidenberg. Der letzte deutsche Sieg gegen eine Auswahl aus dem Mutterland des Eishockey liegt über 20 Jahre zurück, zuletzt scheiterte man letztes Jahr im Viertelfinale der Heim-WM knapp mit 1:2. Aber die Nordamerikaner treten ohne die NHL-Profis nicht automatisch mit der sonstigen Überlegenheit an. Wie es ausgehen wird? Man darf gespannt sein. Und allein das ist schon ein großer Erfolg.
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