Einstieg bei Nuklearfabrik im Emsland: Russen könnten „Fakten schaffen“
Der russische Staatskonzern Rosatom könnte in der Brennelementefabrik Lingen bereits am Werk sein, sagen Atomkraftgegner – die Genehmigung fehlt.
Die Fabrik gehört dem Unternehmen Advanced Nuclear Fuels (ANF), einer Tochter des französischen Atomkonzerns Framatome. Es hat beim Land Niedersachsen die Erweiterung der Produktion beantragt und will künftig auch AKW russischer beziehungsweise sowjetischer Bauart beliefern. In der EU laufen 19 solcher Reaktoren vom Typ WWER. Bereits vor mehreren Monaten hatte Framatome eine Kooperation mit dem russischen Staatskonzern Rosatom mit Sitz in Lyon gegründet. Nach Angaben der Anti-Atom-Initiativen stehen seit dem 12. April auf dem Gelände der Brennelementefabrik drei rote Container, die allem Anschein nach mit dem russischen Frachter Baltiyskiy-202 über Rotterdam aus Russland angeliefert worden seien.
Im Gegensatz zu den regelmäßigen Uranlieferungen aus Russland seien diese Behälter nicht mit Gefahrguttafeln gekennzeichnet und enthielten demnach kein radioaktives Material. Zu vermuten sei daher, dass in den Containern Anlagenteile, Maschinen oder Komponenten von Rosatom für die Erweiterung der Brennelementefabrik importiert wurden.
Massive Sicherheitsbedenken gegenüber Rosatom
Hinweisen aus der örtlichen Bevölkerung zufolge besuchten in jüngster Zeit regelmäßig russischsprechende und offenbar in einem Hotel in Lingen untergebrachte Personen die Brennelementefabrik. Dies deute darauf hin, dass ANF/Framatome unter Beteiligung von Rosatom-Mitarbeitern bereits mit vorbereitenden Arbeiten oder sogar mit dem Aufbau von Maschinen begonnen habe, ohne die atomrechtliche Genehmigung für die Erweiterung der Brennelemente-Produktion abzuwarten.„Wenn Framatome/ANF dem Kreml tatsächlich bereits Tür und Tor öffnet und Maschinen und Komponenten des russischen Staatskonzerns anliefern lässt, ist dies eine Ungeheuerlichkeit“, sagt Julian Bothe von der Anti-Atom-Organisation „.ausgestrahlt“.
Nicht nur mehr als 11.000 Einwender, sondern auch Landes- und Bundesregierung hätten massive Sicherheitsbedenken gegen den Einstieg von Rosatom in Lingen vorgetragen, unter anderem wegen der Gefahr von Spionage und Sabotage. Die Atomaufsicht müsse den Hinweisen umgehend nachgehen. „Sie muss sicherstellen, dass keine dem Kreml direkt oder indirekt unterstellten Personen Zutritt zur Brennelementefabrik bekommen“, betonte Bothe. „Bereits angelieferte Maschinen und Komponenten müssen konfisziert werden. Das Genehmigungsverfahren darf nicht zur Farce verkommen.“
Alexander Vent vom Lingener Bündnis AgiEl (Atomkraftgegner*innen im Emsland) fordert, dass die Bevölkerung umgehend davon in Kenntnis gesetzt werden müsste, sollten russische Behörden beziehungsweise deren Mitarbeiter tatsächlich schon in Lingen tätig sein. Beschäftigte von Framatome/ANF, deren Familien und ihr soziales Umfeld könnten so in den Fokus des russischen Geheimdienstes geraten. Bei einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit müsse die Atomaufsicht dem Betreiber der Atomfabrik unverzüglich die Betriebserlaubnis entziehen.
Entscheidung über Ausbau in den nächsten Wochen
Framatome ließ eine Bitte der taz um Stellungnahme zu den Vorwürfen der Aktivisten bis Donnerstagmittag unbeantwortet. Gegenüber dem ZDF-Magazin „frontal“ hatte das Unternehmen aber erklärt: „Während der Produktion von WWER-Brennelementen werden sich keine Russen am Standort Lingen aufhalten“. Wohl aber davor, wie Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer (Grüne) bestätigte.
Framatome habe erklärt, mit russischen Mitarbeitern die Produktion zu starten, „die sollen also die Geräte aufbauen in der Brennelementefabrik, sie sollen die anderen Mitarbeiter schulen“. Meyers Ministerium muss in den nächsten Wochen über die beantragte Ausbaugenehmigung entscheiden.
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