Einstand von Choreograf Samir Akika am Bremer Theater: Gut so

Mit dem neuen Chefchoreografen Samir Akika bricht das Bremer Theater mit der Ästhetik, die es jahrelang gepflegt hat.

Kinder, Küche, Klassik: Bei "Me & My Mum" ist alles dabei. Bild: Jörg Landsberg/Theater Bremen

Vergessen Sie alles, was Sie über das Bremer Tanztheater wissen. Jedenfalls über das der letzten Jahre. Es ist jetzt alles radikal anders. Der neue Chefchoreograf ist da: Samir Akika und seine Truppe „Unusual Symptoms“.

Am Donnerstag hatte seine Produktion „Me & My Mum“ Premiere, heute ist es „Extended Teenage Era“. Zwar sind das beides keine Uraufführungen – die eine ist von 2010, die andere von 2007, und seine erste Bremer Produktion „Funny, How?“ hat erst im Dezember Premiere. Doch schon jetzt kann man sagen: Es ist ein klarer Bruch, der sich da vollzieht, eine völlige Abkehr von jenem Stil, mit dem Urs Dietrich seit 1994 das Tanztheater prägte.

Urs Dietrich entwickelte in Bremen immerhin 27 Choreografien – sie zeichneten sich durch einen nüchternen, abstrakt-minimalistischen Stil aus, durch formale Strenge und eine puristische, bisweilen etwas hektische Art zu tanzen. Dass Dietrich Textildesigner gelernt hatte, sah man seinen Stücken meist an, Geschichten erzählten sie nicht. Dietrich war eine Marke. Sie stand für Qualität, Beständigkeit. Und Erwartbarkeit.

Akika, Franzose, in Algier geboren, galt früher als Enfant terrible und wurde nur durch Zufall und die Unterstützung von Pina Bausch Choreograf. Und die ist ja die Kultfigur der Tanzszene schlechthin. Akika nennt sie seine „zweite Mutter“, widmete ihr „Me & My Mum“.

Mit ihm will das Theater unter dem neuen Intendanten Michael Börgerding gewissermaßen an große alte Zeiten anknüpfen. Viele Spielarten, wichtige Protagonisten des modernen Tanztheaters sind eng mit Bremen verbunden, seit Johann Kresnik es in den Sechzigern hier neu erfand. Er wollte damals nicht nur der Ästhetik des klassischen Balletts ein Ende setzen, sondern auch „eine Geschichte erzählen“, politisch Stellung beziehen.

Wie schon Monika Gintersdorfer und Knut Klaßen – die neuen Bremer „Artists in Residence“ – in ihrer Auftaktproduktion setzt Akika auf eine Hybride aus Tanz, Schauspiel und Dialog. Auch ihm gehe es darum, „eine gute Geschichte zu erzählen“, sagt Dramaturg Gregor Runge. Wobei die in „Me & My Mum“ keineswegs stringent ist, sondern aus vielen kleinen Versatzstücken besteht, die zwar kaum politisch, dafür aber persönlich, autobiografisch sind.

Ein Mann erzählt temperamentvoll vom Ausraster seiner italienischen Mutter an Weihnachten. Eine Frau analysiert die Machismokultur in Venezuela. Ein Dritter berichtet von seiner Jugend in Kassel und der Mutter, die in den Achtzigern mit Drogen dealte. Und so weiter.

Real oder fiktiv? Wir wissen es nicht, es ist egal. Alles ist ein bisschen schrill, bunt, laut und anarchisch. Da kann auch mal was danebengehen. Ja, manchmal ufern die Erinnerungen etwas ins Beliebige aus, gibt es Längen, kommt der Tanz trotzdem zu kurz. Ja, nicht alle TänzerInnen sind immer gute SchauspielerInnen, vor allem, wenn manches ein wenig improvisiert ist, so wie hier.

Und dann turnen auch noch zwei Kinder mit auf der Bühne rum, zusammen mit ihrer Mutter – das hat im Theater für etwas Naserümpfen gesorgt. Funktioniert aber. Sie werden nicht zur Schau gestellt, sie gehören einfach dazu.

Die Musik variiert zwischen dem wundervollem klassischen Live-Gesang von Pablo Bottinelli über ein Simon-&-Garfunkel-Cover am Klavier bis hin zu Discomucke vom Band: Supertramp, Bee Gees, David Bowie, so Sachen. Natürlich, es ist grenzwertig, mindestens, wenn das Publikum mittendrin aufgefordert wird, „Froh zu sein, bedarf es wenig, und wer froh ist, ist ein König“ im Kanon zu intonieren. Aber durchaus nicht peinlich.

Am Ende ist es ein intensives, liebenswert absurdes Erlebnis, eines, das nicht immer gefällig ist, aber das polarisiert, im Publikum, der Stadt für Gesprächsstoff sorgt. Gut so.

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