Einschränkung der Reisefreiheit: Die neue chinesische Mauer
Immer mehr Chinesen müssen ihren Reisepass bei den Behörden abgeben. Peking möchte sein Volk vor „geistiger Verschmutzung“ im Ausland schützen.
Sie alle werden von den Behörden immer öfter dazu gezwungen, ihren Reisepass einzureichen, um nicht mehr frei ins Ausland reisen zu können.
Anekdotisch hat sich diese Entwicklung schon seit einigen Jahren abgezeichnet, doch die Financial Times hat nun deren Ausmaß umfassend recherchiert. Demnach mussten Angestellte von Staatsbetrieben und Lehrpersonal in etlichen Provinzen ihren Reisepass abgeben. Unklar ist aber, wie zentralistisch die Maßnahmen gelenkt werden.
Fakt ist: Aufgrund der Zensur kennen viele Chinesen das Ausmaß des Problems nicht. „Der Financial-Times-Bericht hat eine sehr negative Auswirkung auf Chinas Image im Ausland“, schreibt der renommierte Professor Fan Hongda, der an der Shanghai International Studies University forscht, auf seinem Weibo-Account: „Sollte es sich um eine Falschmeldung handeln, fordern Sie bitte die zuständigen nationalen Stellen auf, den Bericht so schnell wie möglich zu widerlegen!“
Auslandsreisen für viele jetzt nur noch mit Erlaubnis
Doch staatliche Stellen antworten mit demonstrativem Schweigen und löschen Debatten in den sozialen Medien. Allerdings lassen sich noch Postings finden, in denen sich chinesische User indirekt darüber beschweren, dass sie ihren Pass beim Arbeitgeber abgeben müssen oder für Auslandsreisen eine Erlaubnis brauchen.
„Jetzt schränkt die KP also Auslandsreisen für Lehrkräfte ein, genauso wie sie es bereits für Parteifunktionäre und ethnische Minderheiten tut. Und warum? Um sie vor „geistiger Verschmutzung“ aus dem Westen zu „schützen“, ihre Leben und ihre Gedanken zu kontrollieren und sie daran zu hindern, Ausländern von der wahren Situation in China zu erzählen“, kommentiert der kanadische Ex-Diplomat Michael Kovrig. Der 52-Jährige hatte wegen angeblicher Spionage selbst knapp drei Jahre in einem chinesischen Gefängnis gesessen.
Wie paranoid die Parteiführung ihre Bürger vor ausländischem Einfluss abschirmen will, hat die Financial Times anhand von Dokumenten aufgedeckt. So muss etwa das Lehrpersonal einer Schule im östlichen Wenzhou beim Antrag auf eine Auslandsreise nicht nur viele Unterschriften von Vorgesetzten und der Disziplinarinspektion vorlegen, sondern sich auch vor Abflug schriftlich verpflichten, etwa im Ausland „keine reaktionären Filme zu schauen“ oder „interne Angelegenheiten mit Fremden zu bereden“.
Auch ist es verboten, ohne Genehmigung die geplante Reiseroute zu ändern. In einigen Fällen wird sogar pensionierten Lehrern der Reisepass entzogen, selbst wenn diese Verwandte im Ausland haben. Im Internet lassen sich nach wie vor Meldungen von Universitäten finden, die eingeschriebene Studenten bestimmter Fakultäten ebenfalls dazu zwingen, ihre Dokumente einzureichen.
Im westchinesischen Lanzhou wurden in einer Oberschule die Klassenvorstände dazu aufgefordert, eine Liste aller Schüler zusammenzustellen, die einen Reisepass haben.
Botschaftstermine nur noch mit „Aufpasser“
Chinas Machthaber Xi Jinping fing mit Beginn seiner Amtszeit 2012/13 an, gegen Kritiker und Aktivisten Ausreisesperren verhängen zu lassen. Längst ist es Usus, dass auch Professoren stets mit einem „Aufpasser“ zu Botschaftsterminen erscheinen. Meist bleiben sie Treffen mit Diplomaten ohnehin fern, weil allein die Anfrage auf Genehmigung bei der Parteizelle der Universität sie „verdächtig“ macht.
Auch Regierungsmitarbeiter dürfen Ausländer nur in Begleitung treffen. Dass nun aber auch die Reisepässe von Durchschnittsbürgern im großen Stil eingezogen werden, hat erst während der Pandemie begonnen. So war es Teil der „Null Covid“-Politik, dass Behörden nur in Ausnahmefällen neue Reisedokumente genehmigt haben. In manchen Fällen wurden Pässe sogar noch am Flughafen von den Zollbeamten vernichtet.
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