Einsatz in Afghanistan: Gewöhnungssache
Niederländer und Kanadier werden abziehen, die Deutschen stocken auf. Wie ist die Stimmung andernorts? Berichte aus Großbritannien, Frankreich und Dänemark.
Nicht mehr so viele Lügen
Die Briten sind diesmal entschlossen, die Afganistanstrategie ihrer Regierung zu akzeptieren
DUBLIN taz | Der Krieg in Afghanistan spielt für die britischen Parlamentswahlen, die wahrscheinlich im Mai stattfinden, nur eine untergeordnete Rolle. Bei Umfragen, welche Faktoren die Wahlentscheidung beeinflussen, rangieren Gesundheitssystem, Wirtschaft, Kriminalität, Umwelt und Immigration vor Afghanistan. Die vehementen Proteste, wie es sie beim Irakkrieg gab, sind deshalb ausgeblieben.
Das liegt auch an US-Präsident Barack Obama. Seine komplexen Ausführungen über Afghanistan unterscheiden sich von der moralisierenden Sichtweise seines Vorgängers George Bush und des britischen Expremiers Tony Blair. John Kampfner schrieb dazu im Guardian: "Die neue Phase des Afghanistankrieges ist frei von der kriegerischen Sprache der Neokonservativen, sondern man spricht stattdessen in Obamascher Diktion von kultureller Integration." Die britische Öffentlichkeit will dieser neuen Strategie offenbar eine Chance geben, zumal die meisten gar keine Alternative sehen.
Es wurden ihnen diesmal auch nicht so viele Lügen aufgetischt wie über den Irakkrieg. Allerdings hatte der damalige Verteidigungsminister John Reid 2006 gesagt, dass man die Taliban davonjagen und die Sympathien der Afghanen gewinnen werde, ohne dass ein Schuss fallen würde. Dadurch würden die britischen Straßen sicherer und die Diskotheken frei von afghanischem Rauschgift. Nun muss der britischen Öffentlichkeit vermittelt werden, dass man zwischen guten und bösen Taliban unterscheiden müsse.
Auch Premierminister Gordon Brown hat stets argumentiert, dass es eine direkte Beziehung zwischen dem Kampf gegen die Taliban und der Gefahr terroristischer Anschläge in Großbritannien gebe. Nur die wenigsten glauben aber, dass der Einsatz in Afghanistan das Anschlagsrisiko in Großbritannien verringert - und nicht erhöht. Darüber hinaus fragen sich viele, ob das afghanische Karsai-Regime, das die britischen Soldaten ja verteidigen, die Todesopfer wert ist. Dass der Krieg gewonnen werden kann, glauben zwei Drittel der Befragten ohnehin nicht mehr.
Als im November innerhalb einer Woche sechs britische Soldaten getötet wurden, wurde die Opposition gegen den Krieg vorübergehend stärker. Inzwischen befürworten nach Umfragen 35 Prozent der Bevölkerung einen sofortigen Truppenabzug, unter den Frauen sind es sogar 40 Prozent. 38 Prozent möchten die Truppen "so bald wie möglich" nach Hause holen. Auf die Straße geht dafür niemand.
Bei den britischen Muslimen hat die Labour-Regierung an Sympathie gewonnen. 35 Prozent wollen Labour wählen, im Landesdurchschnitt sind es nur 23 Prozent. Die Tories konnten aus den Kriegen im Irak und in Afghanistan keinen Vorteil ziehen, nur 13 Prozent der Muslime wollen ihnen ihre Stimme geben. Die Tories haben die Militäreinsätze ja auch eifrig unterstützt. Brown hat dagegen mit John Denham einen auch für die muslimischen Gemeinschaften zuständigen Gemeindeminister berufen, der bei den islamischen Organisationen beliebt ist: Er war neben dem damaligen Außenminister Robin Cook der Einzige, der aus Protest gegen den Irakkrieg aus Blairs Kabinett austrat. RALF SOTSCHECK
Die Macht der Tradition
Auslandseinsätze haben in Frankreich eine lange Tradition. Das Engagement in Afghanistan wird - anders als damals beim Irakkrieg - toleriert.
PARIS taz | Dass Frankreich mittlerweile fast 4.000 französische Soldaten nach Afghanistan geschickt hat, ist zu Hause kaum ein Thema. Während in den Niederlanden eine Regierung über die Afghanistanfrage zu Fall kommt, in Großbritannien der Premierminister um seinen Posten fürchten muss und in Berlin heftig über den internationalen Einsatz deutscher Truppen debattiert wird, berührt die Entsendung von Militärs ans andere Ende der Welt viele Franzosen kaum.
Staatspräsident Nicolas Sarkozy war ja unter anderem angetreten, die Beziehungen zu Washington nach der Verstimmung wegen des Irakkriegs bis zur Herzlichkeit wieder aufzuwärmen. Er hat es bisher verstanden, den verantwortungsbewussten Nato-Alliierten zu spielen, ohne die französische Öffentlichkeit deswegen mit provokativem Säbelrasseln aus ihrer relativen Gleichgültigkeit gegenüber dem Konflikt in Afghanistan zu locken.
Eigentlich haben die meisten Franzosen nicht den Eindruck, dass ihr Staat an einem "Krieg" beteiligt ist, obschon Frankreich mit seinen modernsten Kampfjets interveniert und rund die Hälfte der bislang 3.800 Militärs als Kampftruppen - auch bei der Säuberungsaktion, die kürzlich im Süden Afghanistans stattfand - im Einsatz sind. Die andere Hälfte der Militärs besteht aus Beratern und Ausbildern. Das erlaubt es der staatlichen Propaganda, diese Intervention als pädagogische und Friedensmission mit humanitären Absichten darzustellen.
Die Medien berichten wie über eine Naturkatastrophe, wenn französische Militärangehörige in einem Hinterhalt der Taliban ums Leben kommen. Dass zwei als Geisel genommene Reporter des TV-Senders France-3 noch immer darauf warten, gegen Lösegeld freizukommen, hat die Dimension eines persönlichen Schicksalsschlags. Doch ansonsten fehlt dem nicht offiziell erklärten oder anerkannten und weit weg von der Heimat ausgetragenen Krieg in Afghanistan aus französischer Sicht fast jede Dramatik, die ein Gefühl der direkten Betroffenheit auslösen könnte.
Das bisherige Engagement wird darum laut Umfragen von einer Mehrheit gebilligt oder mit Desinteresse toleriert. Denn im Unterschied zu der Intervention im Irak, die Frankreich von Anfang an abgelehnt hat, halten die Franzosen die Mission in Afghanistan für legitim. Was zahlreiche Experten freilich nicht daran hindert, mit dem üblichen antiamerikanischen Unterton die Strategie des Oberkommandos und den unzureichenden französischen Einfluss zu kritisieren.
Anders als in Deutschland haben Außeneinsätze in Frankreich eine lange Tradition. Die Bürger kennen es, dass französische Militärs überall in der Welt stationiert oder im Rahmen internationaler Aktionen, wenn möglich mit dem Segen der UNO, an der Beilegung von Konflikten beteiligt sind. Frankreich gehört zu den Ländern, die die meisten Truppen für Friedensmissionen (Bosnien, Kosovo, Tschad, Elfenbeinküste) zur Verfügung stellen. Im kollektiven Bewusstsein sind die Kolonialkriege auch noch nicht so lange her.
Sarkozy hatte 2007 das französische Kontingent, das vor allem die Region um Kabul kontrolliert, fast verdoppelt. Trotz des Drängens der USA will er jetzt "nur" rund 80 zusätzliche Militärberater schicken. Er weiß, dass er mit diesem minimalen Zugeständnis die innenpolitische Toleranz kaum strapazieren wird. RUDOLF BALMER
Ein allgegenwärtiges Thema
Bisher stand die Mehrheit der dänischen Bevölkerung hinter dem Militäreinsatz, doch die Stimmung beginnt sich zu ändern. Abzug ist für 2012 geplant
STOCKHOLM taz | Dänemarks Beitrag zur Isaf-Truppe besteht aus 750 Soldaten. Im Verhältnis zur Bevölkerungszahl stellt das Land damit nach Großbritannien das stärkste Kontingent. Seit 2006 ist das Gros der dänischen Soldaten in der besonders gefährlichen südafghanischen Provinz Helmand eingesetzt. 31 dänische Soldaten wurden bisher getötet. Mit 5,6 Gefallenen auf 1 Million EinwohnerInnen - in Deutschland sind es 0,4 - hatte kein anderes Land stärkere Verluste. Und Dänemark zahlt - hinter Norwegen und vor Schweden - auch den im Verhältnis zu seiner Einwohnerzahl höchsten Beitrag für humanitäre Hilfe in Afghanistan.
Dänemark ist im Krieg und Afghanistan das beherrschende Thema seiner Außen- und Sicherheitspolitik. Der Afghanistaneinsatz ist auch in den Medien allgegenwärtig: Aktuell flimmern in Dänemark allwöchentlich gleich zwei TV-Dokuserien über den Bildschirm: "Vores krig" (Unser Krieg) und "Felthospitalet" (Feldhospital), die den Alltag des Krieges und das Schicksal von heimgekehrten Kriegsinvaliden thematisiert. Die Tageszeitung Berlingske Tidende porträtiert in einer Serie "Die Gefallenen" ("De faldne"), außerdem sind mittlerweile drei Spielfilme rund um das Thema des dänischen Afghanistaneinsatzes entstanden.
Kritische Fragen werden nicht unterschlagen. Eine Artikelreihe über die Hintergründe, wie Dänemark unter dem jetzigen Nato-Generalsekretär und Exministerpräsidenten Anders Fogh Rasmussen einer der engsten Verbündeten Washingtons wurde, das Parlament irregeführt und das Land in die Kriege im Irak und in Afghanistan gelotst wurde, erhielt den angesehensten Journalistenpreis des Landes. In einem Dokumentarfilm und mehreren Büchern werden Dänemark schwere Völkerrechtsverstöße vorgeworfen. Am Dienstag musste Verteidigungsminister Søren Gade auch wegen eines Skandals um das Buch über den Einsatz einer dänische Geheimtruppe in Afghanistan sein Amt räumen.
Dennoch ist die mehrheitliche Befürwortung dieses Militäreinsatzes seit 2002 nur einmal ernsthaft ins Wanken geraten: als 2006 innerhalb kurzer Zeit die Zahl der Gefallenen stark anstieg. Dieses Meinungsbild ist umso bemerkenswerter, als eine Mehrheit gleichzeitig nicht daran glaubt, dass dieser Krieg zu gewinnen ist. In den skandinavischen Nachbarländern Norwegen und Schweden will die Bevölkerung ihre 500 beziehungsweise 410 Soldaten mittlerweile mehrheitlich heimholen.
Doch seit einigen Monaten hat sich auch in Kopenhagen der Wind gedreht. Noch vor einem Jahr mussten sich die oppositionellen Linkssozialisten als "Verräter" beschimpfen lassen, die den dänischen Soldaten in den Rücken fallen würden, indem sie für die Beendigung des Einsatzes bis zum Jahre 2015 plädierten. Jetzt aber stellt sich die konservativ-liberale Koalition, in der seit einer Regierungsumbildung in dieser Woche erstmals zwei Frauen für die Außen- und die Sicherheitspolitik (Lene Espersen und Gitte Lillelund Bech) verantwortlich sind, auf 2012 als Abzugstermin ein. Zugleich lehnt sie jede Aufstockung des dänischen Militärbeitrags ab. "750 Soldaten und nicht mehr", erklärte Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen: "Wir leisten schon genug. Jetzt sollen die anderen mal ran." REINHARD WOLFF
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