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Einsam mit Handke

Versuch über einen anders schönen Tag: Im Guten wie im Schlechten, alles ist beschwert rund um Peter Handke. Nun hat der Schriftsteller ein neues Buch geschrieben, einen kleinen Prosaband namens „Kali“. Zeit für eine Lockerungsübung

VON DIRK KNIPPHALS

Spott und Kunstschwulst, als Handkeleser ist man einiges gewohnt – alles ist vermauert rund um diesen Autor. Kündigt man im Kollegenkreis an: „Ich bleibe morgen zu Hause, lege mich aufs Sofa und lese den neuen Handke“, wird man gefragt, ob man dazu denn das „Köln Concert“ von Keith Jarrett auflege. Höchststrafe in popversierten Kreisen. Handkeverehrer dagegen scheinen, genauso schlimm, so eine Lektüre als Staatsaktion zu betrachten. Da wird nicht allein gelobt und weiterempfohlen, da wird besungen. So oder so, Handkeleser haben es nicht leicht, nicht erst seit seinen fatalen poetischen Jugoslawieneinsätzen.

Warum es in dieser Lage nicht einmal mit einer Lockerungsübung probieren? Warum nicht redlich davon berichten, wie es ist, wenn man sich einen Tag lang mit dem neuen Handke-Prosaband „Kali“ aufs Sofa legt, liest, aus dem Fenster schaut, zurückblättert, weiterliest? Dabei die langen Schatten einfach beiseite schieben und Handke lesen wie zum ersten Mal, ja, ja, schon gut, das geht natürlich nicht. Aber ganz so beschwert, wie es oft läuft, muss man es ja auch nicht machen.

Vom Anfang ist zu berichten, dass es gut anfängt. Niemand kann so elegant einen Handketext inszenieren wie Peter Handke. Es beginnt mit einer Abschiedsnacht, erzählt von einem Ich, das die Geschichte sich selbst vorzusprechen scheint. Eine Frau, Sängerin, beendet eine Konzerttournee – schön beschrieben: der Schlussapplaus –, und wird aufbrechen. Ziel: ein Salzberg, daher der Titel, in deren Gegend sie geboren wurde. Als Leser registriert man die gut gesetzten Unschärfen, man merkt sich Formulierungen. „Ihre Stimme ist anders warm.“ Dann ist etwas „anders seltsam“, bald darauf etwas anderes „anders groß“. Dann so ein Satz: „Es ist eine Zeit, in der so viel möglich war wie vielleicht noch nie, im Bösen und im Guten, und vor allem im Unerhörten.“

So wird man – vorm Fenster treiben Wolken über die Vormittagssonne – eingestimmt auf einen Legendenton. Klar ist: Hier geht es beim Lesen jetzt nicht um ein Wiedererkennen. Mit diesem Text kann man sich aus seiner Umgebung herausbewegen. Man kann einsam sein mit diesem Text, und diese Einsamkeit kann ein (kleines) Abenteuer sein.

Die Tricks und Kniffe registriert man aber auch; Handke verschleiert nichts. Einer der ältesten Tricks: ein Buch einführen, in dem die Figuren ergriffen lesen – machte schon Goethe, berühmtes Beispiel, im „Werther“. Macht Handke hier also auch. Wobei das Buch angekokelt ist, was aber nicht schlimm ist: „Aber das ist ja von jetzt! Das handelt ja klar von heute“, sagt eine Figur. Genau so, das ist der Trick, wie es der Leser von „Kali“ denken soll. Von einer „anderen“ Aktualität ist eine Seite später die Rede.

Also, man verlangsamt unwillkürlich das Lesetempo und ist sehr schnell auf Handke gestimmt. „Kali“ ist kein Buch, von dem man irgendjemanden überzeugen möchte, der nicht Lust hat, sich darauf einzulassen. Auch kein Buch, mit dem man irgendetwas beweisen will. Vieles kann einen aber daran vergnügt machen. Zum Beispiel wird eine Figur gefragt, was sie gerade mache. „Nichts. Nicht viel. Viel Nichts“, sagt sie, „zunehmend begeistert.“ Man stellt sich sofort die diebische Freude vor, mit der Handke diese kleine Perle in den Bleistift floss.

Dann in der Wirklichkeit eine Episode, an der man gut illustrieren kann, was das alles bewirkt. Gegen Mittag hat die (reale eigene) Tochter Zahnschmerzen. Also Handke erst mal beiseite legen, Tochter von der Schule abholen, zum Zahnarzt, nur ein neuer Backenzahn, der sich aus dem Zahnfleisch drückt. Erleichterung. Außerdem hat man noch Zeit, zusammen etwas zu essen. Ein Italiener hat Tische draußen. So sitzt man dann ganz eingemümmelt in Mantel und Schal vor zwei Tellern Spaghetti und redet über Cäsars Toga (gerade Schulthema), über Tokio Hotel, über dies und das, während die Wintersonne durchbricht.

Noch von Handke eingestimmt, stellt sich dabei sehr schön dieser Effekt ein, auf den Arthur C. Danto eine ganze Kunstphilosophie aufbaute: Verklärung des Gewöhnlichen. Die Tochter, die Sonne im Gesicht, Menschen auf dem Bürgersteig. Man fühlt sich mit einem Mal entrückt und sieht alles ästhetisch. Diese kostbaren kleinen profanen Verzauberungen hervorrufen, das kann Handke, das macht auch – entschlossen benutzerorientiert formuliert – den Gebrauchswert seiner Bücher aus. Auch des neuen Buches. Da gibt es gallertbittere Äpfel und Salzkrusten auf der Haut. Solchen Details verleiht Handke erstaunliche sinnliche Wallungswerte.

Die Frage ist nur, was man dafür in Kauf nimmt. Zurück auf dem Sofa, stellen sich Einwände ein. Nah an die Verzauberungsmomente sind in „Kali“ nämlich Befremdungsanlässe gesetzt. Umständlich ist von „nachtmahlen“ die Rede, der hohe Ton kippt sowieso dann und wann ins Bedeutungsschwangere: „Für meine Generation gibt es nichts Höheres mehr.“ Ach ja, Handke, denkt man und fühlt sich in der Manufactum-Falle: Es gibt sie noch, die guten Bücher. Ungemütlich schwingt ein Hallraum aus Toskanafraktion, Zitronengras und Töpferarbeiten mit. Da muss man dann durch.

Zweiter Einwand: Handke legt seinen Figuren zu viele kulturkritische Sentenzen in den Mund. Eine Pastorin tritt auch noch auf und darf ordentlich bußpredigen. Der Punkt ist nicht das Kulturkritische, daraus hätte der Text ja etwas machen können. Der Punkt ist, dass das papieren und statisch bleibt. Schon klar: Figurenperspektive. Aber so ganz wird man den Verdacht nicht los, Handke wolle hier einige gegenwartskritische Anmerkungen aus seinen Notizbüchern unterbringen. Seltsam, dass er sein Verzauberungskönnen immer mit einer Abwertung von Gegenwart und Mainstream flankiert.

Hübsch allerdings eine kleine Gehässigkeit gegen das Immergleiche des Fernsehens: „… von Kanal zu Kanal, fast identisch: ein offenbar durchweg fröhliches, aufgekratztes, durcheinanderredendes, im Chor lachendes, in einem fort beklatschtes Palavern folgt auf das andere“. Überhaupt kriegt einen das Buch noch mal, während draußen die Sonne langsam hinter die Dächer absinkt. Allmählich entwickelt sich ein Stationendrama, das im Kopf Bilder eines Road Movies auslöst. Die Sängerin trifft, immer näher an den Salzberg reisend, einen Schulfreund von früher, ihre Mutter, die Pastorin, schließlich den Chefingenieur des Kalibergwerkes, das den Salzberg aufgeschüttet hat. Richtig toll dabei: eine eben mal hingetupfte Überfahrt mit dem Schiff über ein Meer. Da sind sie wieder, die sinnlichen Wallungswerte, und man blickt lange aus dem Fenster, weil man sich an dieser Szene noch festhalten will.

Schade nur, dass man das Buch dann, nun schon im Dämmerlicht, auch redlich zu Ende gelesen hat. Der Schluss ist schlimm. Da geht es um Schicksal und Erlösung, der Wind spricht, Kinder, die die ganze Zeit vermisst wurden, werden nun wirklich gefunden. Solange die Frau in Bewegung war, war es gut. Am Schluss ist sie angekommen. Lange konnte man das Buch in der Schwebe halten, auf den letzten Seiten aber steht der Kitsch knüppeldick.

Bis dahin war es aber ein Weg mit schönen Aussichten gewesen. Insgesamt im Grunde also ein schöner Tag. Gut ausgefüllt. Interessantes Hin und Her. Bisschen seltsam allerdings auch. Und man braucht ihn gewiss nicht jeden Tag zu haben. Sagen wir: Der Tag war anders schön.

Peter Handke: „Kali“. Suhrkamp, Frankfurt/M. 2007, 162 Seiten, 16,80 €

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