Einjähriges Bestehen der „Gilets Jaunes“: Tränengas statt Torte
Vor einem Jahr gingen die „Gelbwesten“ in Frankreich das erste Mal auf die Straße. Bei einer Geburtstagsdemo kommt es erneut zu Gewalt.
Wenig später attackierten schwarz gekleidete und vermummte Personen eine Bankfiliale. Bevor die zahlreich anwesende Polizei einschreiten konnte, waren die Fassade mit Pflastersteinen zertrümmert. An mehreren Stellen brannten Mülleimer wie Signalfeuer, mindestens drei Autos wurden umgestürzt, auch die Glasscheiben von Bushaltestellen fielen der mutwilligen Zerstörung zum Opfer. In den Nachrichtensendern wurde konstatiert, „wie erwartet“ seien da „schwarze Blöcke“ am Werk.
Zu ihrer Geburtstagsfeier konnten die „Gilets jaunes“, die Demonstrierenden mit ihren gelben Warnwesten als Emblem, von Seiten der Staatsführung gewiss nicht mit einer Torte rechnen. Und statt Kerzen auf einem Kuchen brannten in Paris am Samstag erneut Barrikaden.
Es waren nicht Tränen der Rührung, die auf der Place d'Italie im Südosten der französischen Hauptstadt flossen; es war die unvermeidliche Reaktion auf einen massiven Beschuss mit Reizgasgranaten durch die Polizei. Etwas später kamen auch Wasserwerfer der Polizei zum Einsatz, als die ursprünglich von den Behörden bewilligte Kundgebung für illegal erklärt und die Auflösung der Ansammlung angeordnet wurde.
Kurz, in Paris, aber auch in mehreren anderen Städten wie Toulouse, Nantes, Marseille, widerlegten Tausende von aufgebrachten und mobilisierten „Geldwesten“ mit ihren Kundgebungen die seit Wochen wiederholte Behauptung der Medien, wonach die Bewegung nicht nur abgeflaut, sondern am Ende sei. Dennoch wurde auch sichtbar, dass diese bisher wenig strukturierte und heterogene Bewegung weniger Leute auf die Straße bringt als vor einem Jahr und in den ersten Monaten ihrer Existenz.
Die Demonstration frisst ihre Kinder
Am 17. November 2018 hatten rund 300.000 Menschen an Dutzenden oder Hunderten von Orten Kreisel, Kreuzungen oder Zufahrten zu Autobahnen und Supermärkten besetzt. Dort harrten sie zum Teil wochenlang aus, um ihren Forderungen nach mehr Kaufkraft, besseren Infrastrukturen und Volksrechten Nachdruck zu verleihen. Politologen und Sicherheitsexperten fragten sich, wer sich wohl hinter dieser Revolte eines scheinbar neuen Typs verberge, ohne aber je „Drahtzieher“ benennen zu können.
Wer immer als SprecherIn auftrat, wurde umgekehrt sogleich von der Basis für illegitim erklärt und häufig sogar bedroht. Wortführerinnen wie Ingrid Levavasseur oder Jacline Mouraud gingen deswegen rasch auf Distanz zur Bewegung, die sie mitinitiiert hatten.
Andere wie Priscillia Ludosky, Eric Drouet oder Jérôme Rodrigues (er hat selber ein Auge durch eine auf ihn gefeuerte Polizeigranate verloren) bleiben trotz aller Einschüchterungsversuche weiterhin engagiert, ohne sich deswegen aber als Chefs aufspielen zu wollen oder auch nur im Namen der Bewegung sprechen zu können.
Die Gewalt der Polizei
Die Kundgebungen am Samstag belegten aber auch, dass die Staatsführung, die zu Jahresbeginn einige Zugeständnisse an die Kaufkraft der Haushalte mit geringen Einkommen gemacht hat, auch weiterhin vor allem mit Repression antwortet. Im Verlauf des ersten Jahres der „Gilets jaunes“ wurden mehr als 10.000 Personen inhaftiert, 3.100 von ihnen sind – meist im Schnellverfahren – strafrechtlich verurteilt worden.
Das Kollektiv „Désarmons-les!“, das die Opfer von Polizeigewalt registriert, spricht von 2.000 bis 3.000 Verletzten, davon haben 24 ein Auge und fünf eine Hand verloren. Vermutlich durch eine „verirrte“ Tränengasgranate der Polizei wurde in Marseille eine ältere Frau getötet.
War es das wert?, fragen sich manche „Gelbwesten“ der ersten Stunde. Die Zwischenbilanz ist für viele wie ein halbvolles Glas: Es ist einiges in Bewegung gekommen, aber noch wenig wirklich erreicht worden. Heute wird in der Bewegung diskutiert, wie der Kampf mit anderen Mitteln und vor allem zusätzlichen Kräften fortgeführt und verstärkt werden könnte.
Am 5. Dezember, wenn die Gewerkschaften gegen die Pläne einer Rentenreform zu einem unbefristeten Streik im öffentlichen Verkehr aufrufen, wollen die „Gilets jaunes“ mitmarschieren. Für sie wäre das der ideale Anlass, die seit Monaten erhoffte „Konvergenz“ mit anderen sozialen und politischen Bewegungen von der Theorie in die Tat umzusetzen. Präsident Macron und seine Regierung befürchten einen „heißen“ Herbst.
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