Eine Typologie der Schwimmstile: Bahnen ziehen mit Grandezza
Die Freibadbecken sind voll. Doch was sagen Wahl und Ausführung einer Schwimmtechnik über ihre Benutzer aus?
Der genügsame Knethaken
Die meisten Menschen, die von sich behaupten, dass sie schwimmen können, sagen: „Ich kann aber nur Brustschwimmen.“ Jeder, der ein bisschen was vom Schwimmen versteht, muss über dieses „nur“ allerdings sehr lachen.
Die meisten Menschen, die von sich behaupten, dass sie Brustschwimmen können – können es nämlich gar nicht. Jedenfalls das richtige. Denn Brustschwimmen ist technisch gesehen die schwierigste Fortbewegungsart im Wasser. Wer den Kopf aufrecht aus dem Wasser streckt, knethakenartig mit Armen und Beinen das Wasser verrührt, als wäre es Kuchenteig, betreibt kein Brustschwimmen. Was die meisten Menschen mit „Brustschwimmen“ meinen, ist purer Überwasserhaltungswille und hat mit richtigem Brustschwimmen so viel zu tun wie Hefezopf mit Fischpastete.
Die Arm- und Beinbewegung beim Brustschwimmen setzt nicht nur Kräfte nach vorne, sondern auch entgegen der Schwimmrichtung frei. Dieser Umstand macht eine optimale Abstimmung und technische Ausführung der Arm- und Beinarbeit extrem wichtig. Die Koordination der selbst bei Profis immer eher unrund anmutenden Bewegungen ist kaum intuitiv erlernbar.
Laien argumentieren, sie seien nicht am schnellen Vorwärtskommen interessiert. Was sie nicht kapieren: Es geht gar nicht ums schnelle Vorwärtskommen, sondern um eine möglichst lange Gleitphase. Wer die hat, kommt zwar auch automatisch schneller vorwärts. Aber in erster Linie geht es um das sprichwörtliche Gefühl vom Fisch im Wasser.
Menschen, denen die Gleitphase egal ist und die einen Fisch lieber auf ihrem Teller sehen, als sich selbst wie einer zu fühlen, wollen keine Widerstände überwinden. Und auch sonst nichts, außer vielleicht die Scheu vor dem Sprung ins kalte Wasser. Sind sie erstmal drin, reicht ihnen das Gefühl, in einer XXL-Badewanne Kuchenteig anzurühren. Ein Angehöriger der „Ich kann nur Brustschwimmen“-Fraktion ist meist genügsam und verzichtet gern auf das erhabene Gefühl, durchs Wasser fliegen zu können. Genuss ist für ihn nur das, was mit wenig Aufwand verbunden ist.
Der einsame Besserwisser
Wer mit dem Rücken auf dem Wasser liegt, steht damit schon mal nicht an der Wand. Aber warum sind Rückenschwimmer bloß immer rücksichtslose, egozentrische Vollspacken?
Öffentliche Badeanstalten sind meist ziemlich voll und die Schwimmer darin ziemlich ungelenk. Der einzig angemessene Stil angesichts der Masse an Mitschwimmern in diesen Orten ist der Freistil, also das Kraulen. Doch weil man dafür den Kopf unter Wasser bringen muss, bevorzugen die meisten Menschen es auf dem Bauch oder dem Rücken zu schwimmen, als würden sie sich auf ihrer Matratze zur Nachtruhe betten.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Während nun der Brustschwimmer mit seinen ausladenden Arm- und Beinbewegungen alles um sich herum wegtritt, bringt der rückenschwimmende Laie seinen Körper mit plumpen Armschlägen ins Wanken. Bis er irgendwann realisiert, dass er völlig von der Bahn abgekommen und allen anderen in die Quere gekommen ist. Ist ihm aber egal, er macht einfach weiter.
Dabei denkt der Rückenschwimmer immer nur an seinen Rücken, und wie gut es dem tut, wenn man sich auf ihn drauf ins Wasser legt. Auch ist der Rückenschwimmer jemand, der gerne andere darüber belehrt, dass Rückenschwimmen besser für den Rücken sei. Dem ist allerdings mitnichten so. Jedenfalls nicht dann, wenn man ins Hohlkreuz geht und wie ein aufgeregter Elefantenrüssel durchs Wasser mäandert.
Laienrückenschwimmer sind Menschen, die immer genau wissen, was richtig ist. Also wie man auf dem Bürostuhl sitzt (am besten gar nicht, man steht), was man morgens essen muss (Samen, bloß kein Butterbrot) und wie die Brauntönung des Stuhlgangs auf der RAL-Farbpalette einzusortieren ist. Am Ende aber sterben sie allein. So wie sie auch im Becken immer isoliert waren.
Der grobe Schlächter
Wer Gefühle kriegt, wenn Roger Federer Tennis spielt, kriegt auch Gefühle, wenn Franziska van Almsick krault. Nicht, weil die mal für Deutschland Medaillen gewann, sondern weil sie eine der technisch elegantesten Kraulstil-Schwimmerinnen aller Zeiten war. Wobei man kein großer Kenner sein muss, um zu sehen, wer das Wasser streichelnd durchzieht und wer es behandelt, als wäre es ein Kartoffelacker, und dabei die Arme wie ein Mähdrescher einsetzt.
Das Faszinierende am Kraul ist, dass es der mit Abstand eleganteste Schwimmstil ist und zugleich auch der schnellste. Das deutsche Wort Kraul ist diesem Umstand allerdings völlig unangemessen. Im Englischen firmiert Kraul als Freestyle, was ungleich schöner ist.
Die Bezeichnung stammt aus der Definition, dass es im Freistil-Wettbewerb eigentlich dem Schwimmer überlassen ist, wie er sich durchs Wasser bewegt. Einzige Regel: Bis auf Start und Wende muss ein Körperteil durchgehend die Wasseroberfläche durchbrechen. Da Kraulen die schnellste Art ist, das zu tun, wird unter Freistil eigentlich immer Kraul verstanden.
Die Eleganz des Freistils ist allerdings unter Laien selten zu sehen. Denn die gepflegte Körper- und Armführung benötigt ständige Übung und vor allem Feingefühl. Viele Laienkrauler aber glauben, sie müssten das Wasser bezwingen wie einst Hannibal die Alpen. Wenn Laienkrauler sich durchs Wasser graben, sieht es immer aus, als fände gerade ein Reenactment der mattanza statt, des großen Thunfischschlachtens vor Sizilien und Sardinien. Es sind Menschen, die als grobschlächtiger Kämpfer gerne die ganz große Geige spielen, aber doch nur Hochstapler sind. Der elegante Krauler hingegen ist einer, der, ohne viel Aufhebens um sich zu machen, immer vorne mitmischt.
Der demütige Teamplayer
Was für Laien wie Macho-Pose und Imponiergehabe aussieht, ist in Wahrheit Demut. Schmetterling ist nach dem Brustschwimmen der forderndste Schwimmstil. Wer sich der Tortur unterzieht, diese Technik zu erlernen, hat große Ausdauer- und Leidensfähigkeit. Aber auch eine große Offenheit dem Anderen gegenüber.
Dem menschlichen Körper ist die Schmetterlingsbewegung völlig fremd. Eine Wellenbewegung aus dem Wasser heraus zu erzeugen und dabei auch noch beide Arme über dem Kopf zusammenzuschlagen, erfordert ein irres Maß an Koordination. Was daher beim Schmetterling am deutlichsten wird: Ihn beherrschen wirklich nur die Leute, die sich dem Wasser vollständig ausliefern. Ähnlich wie beim Freistil ist beim Schmetterling am wichtigsten, sich den Gegebenheiten anzupassen; sich der Bewegung des Wassers nicht zu entziehen, sondern ihr nachzugeben.
Auch wenn das von außen durch das große Aufspannen der Brust und der Arme gar nicht so wirkt: der Schmetterlingsschwimmer ist einer, der sich für ein Miteinander einsetzt, statt Solist zu sein. Sicher, es ist der Stil, bei dem mit dem bloßen Auge am meisten zu sehen ist. Alle anderen Schwimmstile sind zumindest bei Wettkämpfen ohne Kamera und Zeitlupe kaum gut zu erkennen.
Aber das Auge täuscht. Der „Albatros“ genannte deutsche Delphin-Star Michael Groß war zwar rein körperlich raumgreifend (2,01 Meter Körpergröße bei einer Armspannweite von 2,13 Meter), aber ansonsten immer äußerst wortkarg. Nach 21 Olympia-, Weltmeister- und Europa-Medaillen promovierte er schließlich in Philologie mit einer Arbeit über „Ästhetik und Öffentlichkeit: Die Publizistik der Weimarer Klassik“.
Die Schmetterlingstechnik ist das Orchideenfach unter den Schwimmern. Außerhalb von Ländern mit viel Meerzugang sieht man selten Laien, die sich dieser Technik bedienen. Schade. Ein bisschen mehr Demut könnte sich positiv auf die Gestaltung eines fairen Miteinanders im Wasser auswirken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein