Eine Sterneköchin erzählt: „Privatleben habe ich nie gehabt“
Die Luxemburgerin Sterneköchin Léa Linster hat den Deutschen die Angst vor der französischen Küche genommen.
Die „Boutique Léa Linster“ liegt in der Oberstadt von Luxemburg, in der Rue de L'Eau, unweit des Großherzoglichen Palastes. Hier gibt es neben anderen Köstlichkeiten die frisch gebackenen Madeleines der Sterneköchin zu kaufen. Léa Linster bestellt welche für den Fotografen, den Journalisten und sich. Während des Gesprächs verwendet sie alle vier ihr zur Verfügung stehenden Sprachen: Deutsch, Französisch, Luxemburgisch, Englisch. Draußen regnet es.
taz am wochenende: Frau Linster, auf der Herfahrt bin ich an der ehemaligen Grenzstation Wasserbillig vorbeigekommen, die ist jetzt eine Tankstelle.
Léa Linster: Ja klar! Bei uns in Luxemburg ist das Benzin immer frisch gezapft. Wir hatten früher selbst eine Tankstelle in meinem Heimatort Frisange nahe der französischen Grenze – zusätzlich zu unserem Café samt Kegelbahn, Industrievertretung und Wechselstube. Als kleines Mädchen war ich einer der besten Tankwarte des Landes. Ich kannte mit acht Jahren alle Autos und alle europäischen Währungen. Den Euro gab es ja noch nicht – und auch noch keinen Selfservice beim Tanken.
Sie haben die Autos richtig betankt?
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Ich hatte sogar meine eigene Kasse – eine schicke Zigarrenkiste mit Verschluss – und die wurde auch nie geklaut, obwohl manchmal sehr viel Geld darin war. Besonders in den Sommerferien. Die Belgier waren immer die ersten, die in Urlaub gefahren sind, dann die Holländer, die Engländer, die Norddeutschen – alle sind durch Luxemburg runter in den Süden gefahren.
Die Madeleines werden serviert. Es gibt drei Varianten: die klassische helle, die marmorierte und die ganz dunkle. Léa Linster greift zur dunklen Sorte.
Sie bevorzugen die dunklen Madeleines?
Heute ja. Sie sind ohne Mehl und mit ganz viel Kakao gebacken. Diese Charge ist ein bisschen klein geraten – aber sehr gut. Daran kann man erkennen, dass es kein Industrieprodukt ist, sondern eben Handarbeit. Fangen Sie mit der Weißen an. Immer mit dem, was weniger intensiv ist.
Die sind toll! Wussten Sie, dass dieses Jahr der 150. Geburtstag von Marcel Proust ist, der ja auch Madeleines liebte. Haben Sie je die Zeit gefunden, etwas von ihm zu lesen?
Das ist schon lange her. Zum Lesen bin ich wenig gekommen. Ich höre lieber zu und lasse mir vorlesen. So weiß ich schon, worum es geht: Du gehst durch eine Straße und bekommst von irgendwo her einen Duft – und dann ganz plötzlich hast du eine Erinnerung, die dich in eine ganz bestimmte Stimmung versetzt.
Geht Ihnen das manchmal mit Benzin so?
Ich mag den Geruch von Benzin, mit dem habe ich mich wohlgefühlt. Natürlich nur in Nuancen. Das ist so wie mit Zigaretten. Wir mögen es nicht, wenn es nach Zigarettenrauch riecht, aber wenn sich jemand ganz frisch eine anzündet … Der erste Geruch davon, den mag ich sehr gern, der hat so etwas Würziges, Ambriertes, das mir sehr gut gefällt – obwohl ich Nichtraucherin bin.
Man hat ja auch früher zwischen den Gängen beim Menü geraucht.
Zum Glück ist das vorbei! Da war auch viel Verlegenheitsrauchen dabei. Rauchen gehörte zum Gesellschaftsspiel – es wurde viel geflirtet beim Feuergeben.
Sie erzählten mal, dass es in dem Café Ihrer Eltern in Frisange nach Rauch gerochen hat.
Gestunken! Es hat morgens nach abgestandenem Bier und kaltem Aschenbecher gestunken. Diesen Gestank, den habe ich zwar nicht geliebt, aber er hat irgendwie dazugehört. Und wenn du dich heimisch fühlst, ist das ja nicht so schlecht.
Was gab’ s zum Mittagessen in diesem Café?
Nichts – außer für die Familie natürlich. Für Gäste wurde nur zu Familienfeiern gekocht: zu Taufen, Kommunionen, Hochzeiten, Begräbnissen. Damals gab es das Hochzeitsessen noch oft mittags. Das ging dann meist bis abends spät – keiner durfte nach Hause ohne zwei Promille im Blut. Alle kirchlichen Feiertage wurden bei uns durchgeschleust. Damals war ja weniger Geburtstag. Geburtstag wurde nur gefeiert, wenn jemand mal richtig zu etwas gekommen war und in einem Alter, in dem nicht mehr viel schiefgehen konnte, so 60, 65. Mit 40 haben nur die ganz Mutigen gefeiert, die sich ihrer Sache sehr sicher waren.
In Luxemburg gibt es laut neuester Statistik 42.800 Millionäre …
Das würde ich verdoppeln, die meisten sind ja verheiratet.
Die Frau
Geboren 1955 in Luxemburg. Sie studierte nach dem Abitur zunächst Jura, übernahm aber 1982 nach dem Tod ihres Vaters dessen Gasthaus in Frisange und eröffnete es als Restaurant Léa Linster. Sie tritt häufig als Fernsehköchin auf und hat zahlreiche Kochbücher verfasst.
Die Auszeichnungen
1987 bekam ihr Restaurant vom Guide Michelin erstmals mit einem Stern. Zwei Jahre später gewann sie den Bocuse d’Or.
Macht Reichtum glücklich?
Das kann man nicht verallgemeinern. Gegen ein bestimmtes Maß an Wohlstand, das einen gut schlafen lässt, ist sicher nichts einzuwenden. Was den Reichtum angeht, besagt ein altes luxemburgisches Sprichwort: ‚Um glücklich zu sein, musst Du in der Verborgenheit leben.‘ Wenn ich mich dafür verbergen müsste, wäre ich lieber weniger reich und mehr unter den Menschen.
Es ist Ihnen also auch nicht unangenehm, dass Sie prominent sind?
Hier in Luxemburg bin ich nicht prominent. Wir sind ein antielitäres Land. Bei uns gibt es lediglich prominente Politiker.
Mögen die Luxemburger es nicht, wenn man herausragt?
Nein. Man sagt, hier werden die Hecken auf 1,50 Meter geschnitten. Wer seinen Kopf da herausstreckt, der traut sich schon etwas. Das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, habt Ihr Deutschen mir gegeben.
Sie werden in Deutschland sehr geliebt.
Und ich liebe euch so zurück!
Das passiert den Deutschen auch nicht so oft.
Dass euch gefällt, wie ich bin, ist das größte Geschenk. Ich musste mich dafür nie verstellen. Ihr habt mir diesen Status der öffentlichen Anerkennung gegeben, für den ich mehr als dankbar bin. Genau das habe ich mir schon als Kind gewünscht.
Die Deutschen hatten ja ein bisschen Nachholbedarf mit dem Essen.
Unbedingt. Und ich komme ja mit der französischen Küche, ohne Französin zu sein, das versöhnt euch enorm mit mir …
Das nimmt die Angst?
Ja, ich denke schon. Ich habe das Französische quasi übersetzt und leichter zugänglich gemacht.
Mit einem sehr bekannten Deutschen, dem kürzlich verstorbenen Alfred Biolek, waren Sie gut befreundet.
Mehr als befreundet. Wir waren wie Familie. Er hatte mir damals den Fuß in die deutsche Küchentür gestellt. Ich habe Alfred schon bewundert, bevor wir zu Hause einen Fernseher hatten – mein Vater hat immer gesagt, ein Fernseher ist der Tod eines jeden Cafés, deshalb bin ich zu den Nachbarn gegangen. Alfred hatte diesen Swing, diese Gelassenheit, diese Leichtigkeit des Seins. So etwas wie Sammy Davis oder Frank Sinatra – das hatte er in sich. Und als ich 1989 den Bocuse d’Or gewonnen habe, hat er mich zu „Mensch Meier“ eingeladen.
Als Sie mit dem Bocuse d’ Or einen der renommiertesten Preise für Köche bekamen, waren Frauen erst seit fünf Jahren an den Kochschulen zugelassen.
Ja, in Frankreich. Man sagt nun, ich hätte ein Glasdach durchbrochen für die weibliche Welt. Darauf bin ich schon etwas stolz. Ja, es ist wichtig, Frauen zu zeigen, dass es auch eine Welt für uns gibt.
Sie haben einmal gesagt, es sei wichtig „außer Konkurrenz“ zu sein. Wie funktioniert das?
Zuerst einmal muss man fest an sich glauben – und sich nicht ständig mit anderen vergleichen als wäre Persönlichkeit messbar. Da bin ich dagegen. Gewicht, Blutdruck, IQ, Bankkonto, PS; alles, was messbar ist, ist manipulierbar. Ich bin für das, was nicht messbar ist. Für das Authentische.
Heißt das, Sie haben versucht, an der Seite vorbeizukommen?
Nein, gar nicht. Ganz im Gegenteil. Ich brauche nicht an der Seite vorbei – ich gehe voll darauf los. Man hat die Frauen immer unterschätzt, und ich habe mir schon als kleines Mädchen gedacht, lass sie dich unterschätzen, dann ist es weniger gefährlich. Wenn Sie den Wettbewerb selbst meinen: Dort war ich durchaus beliebt. Ich habe für alle die Übersetzungen gemacht, weil ich vier Sprachen kann – das können wir Luxemburger alle.
Wie funktioniert das mit den vier Sprachen in der Luxemburger Schule?
Ich bin Jahrgang 1955; in der Primärschule waren die Bücher alle auf Deutsch, im Gymnasium dann auf Französisch und in der Oberstufe dann Englisch.
Und Luxemburgisch?
Das „schwätzen“ wir und schelten wir. Auf Luxemburgisch sagen wir, was wir auf dem Herzen haben. Inzwischen ist Luxemburgisch auch verschriftlicht und wird gerade unter den jungen Leuten in den sozialen Medien gepflegt. Schließlich geht es um ein Stück Identität.
Ist es richtig, dass Sie Hoflieferantin der großherzoglichen Familie Luxemburgs waren?
Das bin ich immer noch.
Haben Sie für ein größeres Ereignis am Hof gekocht?
Ja, das größte war sicher die Hochzeit unseres Kronprinzen im Palast. Aber auch das Bankett, an dem Lady Diana teilgenommen hat, wird natürlich unvergesslich bleiben. Ich bin gespannt, welche solcher Ereignisse nun auf meinen Sohn Louis warten, der ja inzwischen das Restaurant übernommen hat.
Was machen Sie noch im Geschäft?
Aus dem Tagesgeschäft im Restaurant halte ich mich raus. Anfangs war das nicht ganz so leicht, aber ich habe inzwischen gut losgelassen und genieße es, den Erfolg von Louis zu erleben. Die Abläufe in einem Sternerestaurant sind sehr präzise, da darf man nicht dazwischenfunken. Ich freue mich aber, bei unseren gemeinsamen Kochkursen und hier in meiner Boutique weiterhin Kontakt zu den Gästen zu haben. Einige kommen auch noch immer meinetwegen.
Gehen Sie noch auf den Markt, kaufen Sie ein?
Ja, und ich koche auch jeden Tag für mich. Ich koche so gerne; aber es ist schon deutlich schöner, wenn man gute Gesellschaft am Tisch hat. Ich liebe Leute, die sich von mir verwöhnen lassen.
Sie sagen: Jede Kalorie, die Sie zu sich nehmen, muss eine tolle Kalorie sein.
Eine, die dir etwas bringt. Diese Hollow Calories, das kann ich Ihnen sagen, das ist nicht mein Ding. Da wirst du nur dick und bist hinterher noch wütend, weil du dir den Appetit verweigert hast, etwas richtig Gutes zu genießen. Ich bin für die Qualitätdiät. Denn wenn man sich darauf konzentriert nur wirklich Gutes zu genießen, wird es einem heute so schwer gemacht, etwas zu finden, dass man schon auf der Suche jede Menge Kalorien verbrennt. Es gibt viel zu viel von dem, was wir nicht brauchen. Trüffelöl zum Beispiel.
Hier um die Ecke gibt es ein Trüffelgeschäft.
Ja, aber zu dieser Jahreszeit bei Trüffeln die richtigen zu finden, da wünsche ich Ihnen viel Glück. Die echten schwarzen Périgord-Trüffel aus Frankreich gibt es Ende Januar, Februar, März. Viele wissen trotz des ganzen Gehabes nicht, schwarze von weißen Trüffeln zu unterscheiden. Ich bin Schwarztrüffelspezialistin.
Gelernt ist gelernt.
Ich hatte die besten Lehrer: Paul Bocuse, Frédy Girardet, und Joël Robuchon, der allerdings sehr streng war – weil er das auch mit sich selbst war. Ich habe mir dann immer vorgestellt, einer von ihnen würde mir in der Küche bei der Arbeit über die Schulter sehen.
Bocuse gilt als einer der besten Köche des 20. Jahrhunderts. Wie war Ihr Verhältnis zu ihm?
Gut. Ich habe ihn sehr gemocht. Für ihn war es ja auch nicht leicht, mit mir eine Frau aus den Reihen aufstehen zu lassen. Dass er das zugelassen hat, schätze ich sehr.
Sie haben mal gesagt: Wenn man in einem Geschäft aufwächst, ist man nicht naiv.
Du siehst ja als Kind, wie viele verschiedene Menschen es gibt, und wie sie funktionieren. Du siehst jemanden am Tag als Helden in der Zeitung und am Abend versackt er völlig am Tresen. Da bleibt nicht viel Platz für Naivität.
Sie sagten, auch Ihr Vater war Ihr Lehrmeister. Was hat er Ihnen beigebracht?
Die Kunst des Lebens habe ich vom Vater, die Kunst des Salzens von der Mutter. Ich bin mit zwei Schwestern und einem Bruder aufgewachsen. Bei vier Kindern voll berufstätig – da bleibt nicht viel Zeit für Privatleben. Aber auch wenn das Verhältnis zu meiner Mutter nicht immer ideal war, bin ich doch durch sie Köchin geworden. Wenn sie kochte, war sie für mich die beste Mutter der Welt. Mein Vater war mehr der Künstler. Er hat die Leute unterhalten. Wenn mein Vater tatsächlich bei der Arbeit mit anpacken musste, dachte ich immer es sei etwas Schlimmes passiert.
Der künstlerische Direktor.
So war es. Wenn meine Mutter gearbeitet hat, habe ich das als normal empfunden. Und ich habe auch gerne gearbeitet. Gute Arbeit ist das Beste, mit dem man angeben kann. Und die beste Werbung als Frau ist angeben. Dann sagen nämlich alle: ‚Ha, das möchte ich aber mal sehen!‘ Wenn ich in Frankreich gesagt hätte: Wir haben da auch ein kleines Café mit Tankstelle an der Grenze, glauben Sie, da wäre jemand gucken gekommen? Da musste man schon etwas visionärer sein.
Also braucht es immer auch etwas Entertainment?
Absolut. Ich habe sie neugierig gemacht und alle sind gekommen, sogar aus Paris. Und dann sind sie vom Hocker gefallen. Schon als kleines Mädchen war ich gern Entertainerin, daher wahrscheinlich meine Fernsehleichtigkeit. Wenn ich die rauchenden Frauen am Tresen nachspielte, hat sogar meine Mutter Tränen gelacht, und ich durfte etwas länger aufbleiben.
Hätten Sie sich manchmal gewünscht, in einem Privathaushalt aufzuwachsen?
Privatleben habe ich nie gehabt, und es hat mich auch nicht besonders interessiert. Als Louis noch klein war, sind wir mit seinem Vater Francis ab und an für ein paar Tage zu dessen Familie nach Frankreich gefahren. Bis zum zweiten Tag fand ich das immer sehr schön. Aber spätestens ab dem vierten Tag zog es mich wieder zurück ins Geschehen.
Else, eine Dame aus der Eifel, kommt an den Tisch und bittet um ein Autogramm für eine Freundin. „Ja, bei diesem Wetter ist es nass“, lobt Léa Linster den Einsatz der Dame, trotz des Regens nach Luxemburg gefahren zu sein. „Ach Madame, ich kann nur sagen, dass ich froh bin, dass Sie so sind wie ich: Nichts hält uns auf.“
Die Leute lieben Sie wirklich!
Ich hatte meinen Vater mal gefragt, wann ist man berühmt? Und er hatte geantwortet: Berühmt ist man, wenn alle dich kennen, obwohl sie dich noch nie gesehen haben. Ich hatte ihm selbstbewusst vorhergesagt, dass ich nur fünf Jahre brauchen würde, um einen Michelin-Stern zu bekommen, sollte ich das Restaurant einmal übernehmen.
Hat geklappt.
Er hat auch immer gesagt: Wenn etwas wirklich gut ist, fragt kein Mensch danach, ob ein Mann oder eine Frau das gemacht hat. Eine sehr gute Aussage, die ich gern weitergebe.
taz lesen kann jede:r
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