Eine Ministerpräsidentin für Bayern: Ilse, die Tiefwurzlerin
Ilse Aigner will Horst Seehofers Thronfolgerin in Bayern werden – irgendwann nach der Landtagswahl. Doch es gibt Konkurrenz.
MÜNCHEN taz | Fragt man derzeit in der CSU nach Ilse Aigner, hört man viel Lob. Ganz die Alte sei sie geblieben, heißt es dort. Trotz der steilen Karriere.
Im Oktober 2008 trat sie als Nachfolgerin von Horst Seehofer das Amt als Bundeslandwirtschaftsministerin in Berlin an. Nach der Landtagswahl am Sonntag kehrt sie in die bayerische Landespolitik zurück. Auch hier hätte sie das Zeug dazu, Ministerpräsident Horst Seehofer eines Tages zu beerben. Doch zunächst geht es darum, welchen Posten Aigner nach der Wahl bekommt. Diese Entscheidung ist auch richtungweisend für die CSU.
Ein „Herzensmensch“ sei Aigner, sagt Klaus Stöttner. Dann setzt der Abgeordnete zu einer wahren Lobeshymne an. „Jemand, der sehr nah bei den Menschen ist“, sei sie, eine „Tiefwurzlerin“, die sich immer Zeit nehme im Gespräch. Eine Ministerin ohne Starallüren. „Sie ruft auch mal durch, wenn es jemandem nicht gut geht.“
Aigner und Stöttner kennen sich noch aus der Jungen Union. Die Vorsitzende der bayerischen Landfrauen, Annemarie Biechl (CSU), fasst zusammen: „Sie hat sich in ihrem offenen, geradlinigen Wesen nicht verändert. Das merkt man schon daran, dass sie bei uns daheim alle nur ’die Ilse‘ nennen.“
Voll des Lobes
Dass viele Menschen in der CSU gerade so bereitwillig Gutes über Aigner erzählen, ist kein Zufall. Innerhalb der Partei gibt es derzeit zwei Lager: die einen, die sich Aigner nach der Wahl auf dem Posten der Fraktionsvorsitzenden im Bayerischen Landtag wünschen. Als Vorsitzende des Bezirksverbandes Oberbayern, des mitgliederstärksten der zehn bayerischen Regionalverbände, hat Aigner eine stabile Hausmacht hinter sich.
Das andere Lager schart sich um Markus Söder, den bayerischen Finanzminister aus Franken. Auch er strebt den Posten des Fraktionschefs im Landtag an. „Frau gegen Mann, Katholikin gegen Protestant, Oberbayerin gegen Franke, Empathie gegen Ego“ brachte der Spiegel den Machtkampf der beiden unlängst sehr treffend auf den Punkt.
Fraktionschef der Landtags-CSU zu sein ist ein wichtiger Posten, zwar ohne Glanz und Ministertitel, dafür mit großer Macht ausgestattet. In Sachfragen steht der Fraktionschef auf Augenhöhe mit dem Ministerpräsidenten, der oft die Landtagsmehrheit braucht. Und: Wer den Posten als Fraktionschef gut meistert, empfiehlt sich als Nachfolger Seehofers – ab 2018 oder womöglich auch schon zuvor. Auch dieses Amt strebt sowohl Söder als auch Aigner an.
Seehofer, der nach einer unausgesprochenen Regel das Vorschlagsrecht hat, wird nachgesagt, zu Aigner zu tendieren. „Sie ist jung, sie ist kräftig, sie ist nervenstark“, lobte er sie jüngst. Seehofers Querelen mit Söder hingegen sind bekannt.
Konkurrenz muss her
Für Aigner spricht auch, dass Christa Stewens nach Georg Schmids unrühmlichem Ausscheiden nach der Verwandtenbeschäftigungsaffäre Interimsfraktionschefin wurde. Angeblich war es Aigner, die aus Berlin zum Telefonhörer griff und so verhinderte, dass Söder den Posten noch vor der Wahl und damit einen Vorteil bekam.
Ob Aigner den Fraktionsvorsitz bekommt, wird auch davon abhängen, wer von beiden bei der Wahl am Sonntag mehr Prozente holt – und natürlich davon, ob die CSU erneut die Regierung stellt. Bei der Landtagswahl 2008 verlor die CSU in Oberbayern 20,9 Prozentpunkte – ein Desaster im postkartenidyllischen Kernland der Partei. Das bedeutet aber auch: Aigner als oberbayerische Bezirksvorsitzende hat gute Chancen, das Ergebnis eklatant zu verbessern.
Die Umfragen sehen die CSU derzeit bei 48 Prozent. Auch dass der fintenreiche Seehofer nach der Wahl eine dritte Person als Fraktionschef vorschlägt, ist denkbar. Damit hielte er die innerparteiliche Konkurrenz in Schach.
Fest steht aber auf jeden Fall: Mit Ilse Aigner würde ein anderer Politikstil in die CSU Einzug halten. Die gelernte Fernsehtechnikerin gilt als pragmatisch und umgänglich. Mit dem Rowdyimage, das sowohl Seehofer als auch Söder in guter Strauß-Tradition pflegen, kann Aigner nicht viel anfangen. Sie ist eine Netzwerkerin, die ihre Kontakte unaufgeregt zu nutzen weiß.
Würde Aigner Fraktionschefin, wäre das auch ein Zeichen dafür, wie sehr sich die CSU gewandelt hat. Mit 27 Jahren bewarb sich Aigner als Bürgermeisterkandidatin ihrer Gemeinde – und verpasste die parteiinterne Kandidatur knapp. Der Grund: „ungeklärte Familienverhältnisse“. Unverheiratet und kinderlos. Früher undenkbar für einen repräsentativen Posten in der CSU. „Ungeklärt“ sind Aigners Familienverhältnisse noch immer. Heute steht ihr das nicht mehr im Weg.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid