■ Schauplatz Suppenküche: In einer Berliner Kirche engagieren sich Frührentner, Mütter und Ruheständler: Eine Frage der Persönlichkeit
An manchen Tagen fragt sich Peter Oltersdorf: Wozu das alles? Wozu Wurst- und Käsestullen für 100 Leute schmieren? Wozu Linsensuppe ausschenken und sich wieder und wieder die geschönten Lebensgeschichten von Schlangen-Klaus, Fiete und Werner Graubart anhören? Wenn die Sinnkrise kommt, zurrt Oltersdorf sein Palästinensertuch fest, sichert den schlohweißen Haarzopf und spaziert eine halbe Stunde um den Block. „Wir sind doch freie Mitarbeiter, da kann ich weg, wann ich will.“ Einen Vorteil muß es ja haben, wenn man für die Arbeit nicht bezahlt wird.
Oltersdorf ist einer von 30 unbezahlten sogenannten „freien Mitarbeitern“ in der Heilig Kreuz Kirche in Berlin-Kreuzberg. Die Kirche verfügt über eine halbe Sozialarbeiterstelle, ein paar ABM-Kräfte und ihr eigentliches Kapital: Frühverrentete, Ruheständler und Mütter ohne Arbeitsmarktchance, denen zu Hause die Decke auf den Kopf fällt. „Ich bin jeden Tag hier“, sagt Oltersdorf.
Die „Freien“ arbeiten als Hilfskellnerinnen in der Wärmestube, als KuchenbäckerInnen im Kirchencafé, Moderatoren in den Diskussionsgruppen und BetreuerInnen am Büchertisch. Viele kommen nur einmal in der Woche, manche öfter, einige jeden Tag.
Oltersdorf hat früher im Reitverein in Grunewald die Pferde reicher Leute gestriegelt, der Pensionspreis für ein Tier war fast so hoch wie sein Arbeitslohn. Eine Krebsoperation beendete seine Tätigkeit auf dem sogenannten ersten Arbeitsmarkt. Heute serviert der 58jährige Frührentner Obdachlosen, Punks und Illegalen eine kräftige Suppe, führt Besucher durch den Kirchenumbau und bastelt umständlich Konzertankündigungen für die große Plakatwand. Eine private Dienstleistung. Im Unterschied zum Reitverein gibt es niemanden, der dafür bezahlt.
„Die Leute hier“, meint Oltersdorf mit Blick auf die Gästeschar in der Wärmestube, „die werden doch in der Gesellschaft nirgendwo akzeptiert.“ Die Suppenküche ist das Sinnbild von Not. Die Arbeit hier ist unter den „Freien“ angesehen.
„Meine Kinder finden das ganz toll, was ich hier mache“, strahlt Edith Ruhland. Die 45jährige hat zwei fast erwachsene Kinder, aber keinen Job mehr. Früher arbeitete die resolute Dunkelhaarige bei der Post. Es war eine geringfügige Beschäftigung, dehalb hat sie keine Chance auf ABM. „Man lernt was über die Menschen. Obdachlos ist nicht gleich obdachlos“, sagt Ruhland. Hierher kommen erstens die älteren, kranken Alkoholiker, zweitens die Punks, denen man die Opferrolle nicht immer abnimmt, und drittens die illegalisierten Ausländer, die nicht mal Sozialhilfe erhalten und auf die Gratissuppe hier angewiesen sind.
Wenn einer pöbelt, schreitet Pfarrer Ritzkowsky begütigend ein. Mit seiner roten Schürze sieht er aus wie der Wirt eines Edelbistros. Auch er ist ein „Freier“, gewissermaßen: Ritzkowsky befindet sich im Vorruhestand.
„Die unbezahlte Arbeit hängt an einzelnen Persönlichkeiten“, glaubt sein Kollege, Pfarrer Jürgen Quandt. Auch an Persönlichkeiten wie Eberhard Neuendorf. 90 Stunden im Monat arbeitet der Vorsitzende des Gemeindekirchenrates. „Ich wollte was mit einem christlichen Hintergrund machen“, erklärt der bärtige Frührentner, der als „Freier“ die Arbeit der anderen Unbezahlten koordiniert. Der 65jährige organisiert zudem einen Arbeitskreis zum Thema Israel und Kirche, singt im Chor und betreut den Büchertisch. Nach einem späten schwulen Coming-out und der Frühverrentung wegen einer Wirbelsäulenerkrankung fand Neuendorf zur Kirche. „Ich bin wieder eingetreten.“ Er sieht viel jünger aus, als er ist. Im Kirchencafé begrüßen ihn die Besucher mit Handschlag.
Im Unterschied zur Suppenküche im Vorderschiff, wo eher Jüngere helfen, bleiben im Kirchencafé im Seitenschiff die Älteren meist unter sich. Wobei die einen bedienen, die andern konsumieren. Auch für Kleinrentnerinnen aus dem Kiez ist der Kaffee zu 1,20 Mark erschwinglich. Jeden Tag machen zwei Unbezahlte das Büffet. Manche backen auch noch den Kuchen zu Hause. Immer mal wieder fällt jemand aus wegen körperlicher Malaisen, zwischen Weihnachten und Neujahr mußte das Café wegen Personalmangels schließen.
Draußen weist lediglich ein unauffälliges Schild auf das Café hin. Mehr Werbung ist nicht drin, aus gewerberechtlichen Gründen. Das hier ist eine Kirchengemeinde und kein Unternehmen. „Ist alles eher halboffiziell“, sagt eine Freie, „eine Grauzone.“ Wie das Leben an sich. Barbara Dribbusch
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