: Eine Art Kunstdummheit
Schriften zu Zeitschriften: Das Kursbuch beschäftigt sich mit laufendem Schwachsinn in Medien und Wissenschaft
Der Titel des neuen Kursbuches im September klingt so, als würde man ihn schon von wenigstens zehn Themenheften her kennen. Vom vielen Tragen scheint das Thema „Der laufende Schwachsinn“ ein bisschen dünn und fadenscheinig geworden, und entsprechend schwer tut sich der Träger, das alte Stück als letzten Schick zu präsentieren.
Ja, sie sind lästig, die Leserbriefschreiber, Wolfgang Michel hat Recht in seinem Beitrag, „Die Besserwisser“. Aber noch lästiger ist es, die Besserwisser ernsthaft in drei Kategorien einzuteilen, wie er es tut, damit die Kursbuchleser auch wirklich genau wissen, mit wem sie es da zu tun haben. Ähnlich unersprießlich ist Rebekka Göpferts Bericht über unverlangt eingesandte Manuskripte „Der Schwachsinn im Angebot“. Richtig lustig ist es nicht, was sie da aus den Begleitbriefen zitiert, und richtig empören, so wie sie es als betroffene Lektorin tut, mag sich der Leser allerdings auch nicht.
Ursula März’ Überlegungen zu „Unsere Lieblingsdummen: Sladdi und Verona“ bringt schließlich doch eine bestimmte Brillanz in den laufenden Schwachsinn. Ihre Beobachtungen etwa zu Verona Feldbusch sind recht präzise. Sie sieht, dass der Schwerpunkt von Veronas Dummheit nicht Banausentum, sondern Begriffsstutzigkeit ist; dass ihre Attraktivität immer ungefährlich wirkt, ja geradezu unverdorben. Und dass der Verdacht besteht, seitdem Verona ihre Dummheit kapitalisiert, dass es sich um eine reine Inszenierung, um eine Art Kunstdummheit handeln könnte: „Verona Feldbusch ist die Perfektionistin der Sphinxhaftigkeit weiblicher Dummheit. Sie ist ein Profidummchen, Sladdi dagegen als Dummkopf ein Laie. Denn Frauen sind, um es mal paradox zu sagen, nicht nur die besseren, sondern auch die intelligenteren Dummen.“
Und dann findet sich schließlich der Essay, der dieses Kursbuch lohnt. Gerd Gigerenzer, Direktor des Max-Planck-Insituts für Bildungsforschung in Berlin, hat den Test getestet. Genauer gesagt, er hat nachgeforscht, wie es um unser Wissen um Statistiken steht; besonders um unser Wissen über Unsicherheit und Risiko hinsichtlich Gesundheitstests. Wenn der erste HIV-Test (Elisa) positiv/negativ ist und der zweite Test (Westernblot) dies bestätigt, so fand Gigerenzer heraus, dann wird in deutschen Aidshilfen gesagt, das Ergebnis sei absolut zweifelsfrei. Dem ist aber gar nicht so. (So wurde, um ein extremes Beispiel zu nennen, ein HIV-positiver Amerikaner nicht weniger als 35-mal negativ getestet. Warum diese Prozedur? Weil er Blutspender war.) Doch dem Autor geht es nicht darum, dass der HIV-Test unsicher ist, sondern ob und wie Ärzte und Berater darüber aufklären. Statistisch wird unter 10.000 getesteten Personen, die keiner Risikogruppe angehören, eine HIV-positiv sein und auch so getestet werden. Unter den restlichen 9.999 wird aber zudem ein (falsches) positives Ergebnis sein. Von zwei positiv getesteten Personen hat also nur eine HIV. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein positiver Test richtig ist, liegt für Personen ohne besonderes Risiko also bei gerade mal bei 50 Prozent. In 20 getesteten deutschen Gesundheitsämtern konnte nur eine einzige Sozialarbeiterin diesen Zusammenhang erklären.
Schlimmer noch als beim HIV-Test sieht es bei der Krebsvorsorge, bei Prostata-Früherkennung und Mammografie aus. Das Brust-Screening soll, so heißt es immer, das Risiko an Brustkrebs zu sterben um 25 Prozent verringern. „Von 1.000 Frauen (aller Altersgruppen ab 35), die nicht am Mammografie-Screening teilnehmen, sterben innerhalb von 10 Jahren 4 Frauen an Brustkrebs. Von 1.000 Teilnehmerinnen am Mammografie-Screening sterben im selben Zeitraum 3 Frauen. Der Unterschied von 4 nach 3 ist 25 Prozent. Das heißt im Klartext: Gerettet wird eine von 1.000 Frauen, und das sind 0,1 Prozent. 25 Prozent sind also dasselbe wie 0,1 Prozent, aber viel beeindruckender. Die erste Aussage nennt man relative, die zweite absolute Risiko-Reduktion.“ Leider ist die Mammografie so betrachtet nicht nur meistenteils überflüssig, sondern sie ist im Gegenteil selbst ein Risiko, denn aufgrund der Testunsicherheit wird jede zweite Frau ohne Brustkrebs nach zehn Mammografien ein oder mehrere positive Ergebnisse haben. BRIGITTE WERNEBURG
Kursbuch 145, Rowohlt 2001, 18 DM
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