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Einbürgerungen in BerlinChaos in der Digitalisierung

Das Landesamt für Einwanderung musste seine Online-Terminvergabe stoppen. Nun gibt es auch in Notfällen kaum Termine, was fatale Folgen haben kann.

Da hat jemand Glück gehabt und einen der begehrten Termine im Landesamt für Einwanderung ergattert Foto: Sebastian Gollnow/dpa/picture alliance

Berlin taz | Bei dem Landesamt für Einwanderung LEA ist es seit Monaten nicht mehr möglich, online Termine zu buchen. Damit reagierte die Behörde auf die Kritik der taz und der parlamentarischen Opposition, wonach kommerzielle Anbieter mit den viel zu wenigen Behördenterminen handeln. Wer einen Termin brauchte, musste diesen bei den fraglichen Anbietern kaufen, die sie massenweise gebucht hatten. Nach Kenntnissen des LEA betraf das im vergangenen Sommer noch 80 Prozent aller Termine. In der Konsequenz wurde die Online-Terminvergabe seit Herbst 2024 völlig eingestellt. Vorher war sie längere Zeit aus technischen Gründen nicht abrufbar.

Schrittweise will das LEA völlig auf digitale Arbeit umstellen. Das heißt, Antragsteller müssen nicht mehr digital Termine buchen, sondern digital Anträge stellen, alle dazu benötigten Nachweise digital hochladen und erhalten dann einen Termin zum Abholen ihrer Aufenthaltserlaubnis, ihres Reiseausweises oder anderer Dokumente. Das hatte der Direktor Engelhard Mazanke im September vor dem Innenausschuss erklärt. Schaffen will er das bis Ende 2025. Dann sei das LEA die „erste komplett digitalisierte Einwanderungsbehörde dieser Republik“.

Einige wenige Anliegen können bereits jetzt online erledigt werden, wie die Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis für Studierende und die Beantragung einer Blauen Karte EU für wichtige internationale Fachkräfte oder auch die Verlängerung des Chancen-Aufenthaltsrechts. Das ist zweifellos ein Fortschritt. Aber was passiert, wenn das befristete Aufenthaltsrecht abläuft? Für Betroffene kann das fatale Folgen haben wie den Verlust des Jobs oder die Unmöglichkeit, eine Wohnung anzumieten.

Um Termine muss gebeten werden

Hinweise auf der Website des LEA zeigen die katastrophale Lage. So können Betroffene um einen zeitnahen Termin bitten, wenn sie ein Notfall sind, beispielsweise, wenn ihnen wegen des abgelaufenen befristeten Aufenthaltsrechts die Kündigung des Arbeitsverhältnisses oder der Entzug von Sozialleistungen droht. Dazu müssen sie Schreiben des Arbeitgebers oder einer Behörde hochladen, wenn sie einen zeitnahen Termin haben wollen. Weiter heißt es auf der Website, dass Notfälle, die sich durch Verlust des Passes oder die Aufenthaltserlaubnis ergeben, „aus technischen Gründen“ leider nicht zeitnah bearbeitet werden können.

Solche und weitere Anliegen können Antragsteller dann auf einem Kontaktformular beim LEA vortragen und dort um einen Termin bitten. Der migrationspolitische Sprecher der Grünen, Jian Omar, sagte der taz, er „habe die Behörde in einer Ausschusssitzung mit der Aussage aus Behördenkreisen konfrontiert, wonach zwischen 6.000 und 7.000 solcher Anfragen unbearbeitet beim LEA liegen würden. Sie hat das weder bestätigt noch dementiert.“

Omar zufolge sei die Bearbeitung solcher Terminanfragen je nach Referat sehr unterschiedlich. „Manchmal bekommen die Antragsteller schon nach zwei Wochen eine Antwort. In anderen Fällen warten sie seit Monaten, ohne dass sie erfahren, ob ihre Anfrage überhaupt bearbeitet wird.“ Dabei gehe es oft um existenzielle Fragen wie Familiennachzug, die Genehmigung für eine Reise zu sterbenden Verwandten im Ausland oder die Unmöglichkeit, eine Wohnung ohne Aufenthaltserlaubnis anzumieten.

Völlige Digitalisierung ist realitätsfremd

„Viele Leute sind völlig verzweifelt. Sie suchen Abgeordnetenbüros auf oder stellen sich vor die Tür des LEA. Es muss für solche Notfälle wieder Termine vor Ort geben“, fordert der Politiker. Für Emily Barnickel vom Flüchtlingsrat hat sich durch die Änderung das Chaos beim LEA nur verschoben, es wurde nicht beseitigt. „Die Behörde arbeitet völlig intransparent. Es ist nicht möglich, dort einfach etwas am Telefon oder auf anderem Weg nachzufragen, ohne dass man sich einen Anwalt nehmen muss. Es gibt keine Beschwerdestelle“, kritisiert sie.

Sie hält es auch für einen Irrglauben, dass ausgerechnet eine Behörde, die zum Teil von Menschen mit geringen deutschen Sprachkenntnissen genutzt wird, ausschließlich digital arbeiten könne. „Das ist nicht barrierefrei. Für Menschen ohne eigenen PC und für sehbehinderte und nicht alphabetisierte Menschen muss es auch die Möglichkeit geben, ihr Anliegen vor Ort vorzutragen“, fordert sie.

Für den Eritreer Ghidey Haile (Name geändert) beispielsweise ist die Digitalisierung keine Lösung: Aufgrund sprachlicher Missverständnisse steht in seinen deutschen Ausweispapieren ein falscher Geburtsort. Er will diesen korrigieren, aber er hat keinen PC, kann sich mit seinem Handy auf der deutschsprachigen Website des LEA nicht orientieren und kann auch keine Papiere hochladen. Ihm bleibe nichts anderes übrig, als Leuten Geld anzubieten, damit sie das für ihn tun, sagt er der taz.

Längst gibt es für Einbürgerungen, die man auch digital beantragen kann, einen Markt von Migranten, die das aufwändige Sortieren und Hochladen der Unterlagen gewerblich erledigen. Aber wer eingebürgert werden will, lebt in gesicherten wirtschaftlichen Verhältnissen und kann es sich leisten, dafür 100 Euro zu zahlen. Das trifft für Menschen, deren befristeter Aufenthalt abläuft, eher nicht zu.

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