piwik no script img

Einblick in die EnteignungskommissionTrotzki contra Geisel

Die Expertenkommission zur Enteignung hat nun eine Website. Dem revolutionären Charakter wird sie nicht gerecht, doch die Protokolle sind interessant.

Leo Trotzki im Gespräch mit Enteignungsfreunden Foto: dpa

Berlin taz | Wenn Wohnen immer teurer wird, auch weil private Konzerne immer mehr Profit aus Mieten schöpfen wollen, dann müssen ihre Wohnungsbestände eben in Gemeineigentum überführt werden. Die vor Jahren in einem kleinen Kreis geborene Idee war so kühn wie elektrisierend, ja angesichts einer auf Eigentums­titeln aufgebauten Gesellschaft revolutionär. Bis zum finalen Enteignungs-Volksentscheid hielt sie die Stadt in Atem; lila-gelb waren die Farben, die eine bessere Zukunft versprachen.

Daran, dass der Weg in dieses Paradies aus Selbstverwaltung, Bezahlbarkeit und Sicherheit dann sehr bürokratisch grau werden würde, dachten nur die wenigsten. Statt der revolutionären Tat stand nach der gewonnen Abstimmung die Einrichtung einer Kommission – mit Geschäftsstelle, Geschäftsordnung, Protokollen. Leo Trotzki hätte das wohl zum Anlass für einen Text über die von der Bürokratie verratene Revolution genommen.

Wie sehr der Auftrag des Volkes tatsächlich verraten wird, kann die Öffentlichkeit nun immerhin nachspüren. Seit Freitag hat die „Expertenkommission zum Volksentscheid ‚Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen‘“ nun ihre eigene Website – drei Monate nach der ersten Sitzung und nur zwei Monate später als im ersten Sitzungsprotokoll – „im Laufe des Mai“ – versprochen.

Dass der Weg von der Abstimmung bis zur Umsetzung ein weiter ist, zeigt ein weiteres Detail: Das 13-köpfige Gremium hatte in aller Bescheidenheit seiner elf Professorentitel beschlossen, sich nur noch „Kommission“ zu nennen, ganz ohne „Experten“. Auf der Website ist der Begriff dagegen weiterhin präsent.

Geisels Privatmeinung

Im schlichten, ihrem Auftrag geradezu unangemessenen Behördendesign bietet die Seite neben Protokollen und weiteren Unterlagen, etwa den Vorträgen aus der im Juni durchgeführten Anhörung zum Wohnungsmarkt und der lange umstrittenen Geschäftsordnung auch die geplanten Sitzungstermine bis Ende April 2023 – der nächste am 22./23. August.

Dass zumindest die Sozialdemokratie die bürokratische Struktur als Revolutionsverhinderer begreift, geht aus dem ersten Protokoll hervor. Entgegen dem Auftrag an die Kommission, Umsetzungswege zu suchen, gab SPD-Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel den Mitgliedern seine ablehnende Haltung mit auf den Weg: Demnach müsse der „Diskurs über die Sinnhaftigkeit einer Vergesellschaftung geführt werden, denn das Problem der Wohnungsknappheit sei mit einer Vergesellschaftung wohl nicht adäquat beantwortet, auch sei das Mietniveau im europäischen Vergleich nicht exorbitant hoch“. Vielleicht muss Trotzki doch nochmal was schreiben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • >Dem revolutionären Charakter wird sie nicht gerecht, doch die Protokolle sind interessant.

    Die Linke, die das ganze Volksbegehren angezettelt hat, sitzt doch im Senat; was soll denn da revolutionär sein? Und interessant findet diese tägliche Dauerberichterstattung des taz-Lokalteils wohl auch kaum jemand, sonst sähen die IVW-Zahlen des taz-Berlin-Teils nicht so aus, wie sie aussehen auf www.ivw.de.