Ein großer Schritt für die Menschheit: Merkel reist nach Neuland
Deutschland soll aufholen in Sachen Digitalisierung. Die Kanzlerin richtet einen Digitalrat ein – und hat gleich selbst Nachhilfe genommen.
Ein Glück. Die Kanzlerin ist zurück aus dem Sommerurlaub. Wo sie den verbrachte, konnten Netzgemeinde und Medien bislang nur teilweise rekonstruieren. Einmal ist sie in München beim Besuch einer Oper gesichtet worden. Zu ihren Reiseplänen wollte sie sich selbstverständlich nicht äußern. Nur dass sie sich aufs Ausschlafen freue, konnten ihr Journalisten entlocken.
Dank der Süddeutschen Zeitung (SZ) wissen wir nun aber zumindest, was Merkel an den Wochenenden vor ihrer Sommerpause tat: Sie nahm Nachhilfe, an mehreren Sonntagen, in ihrem Büro im Kanzleramt. Nachhilfe worin? In diesem Internet, von dem es noch vor gar nicht allzu langer Zeit hieß, es würde sich ja eh nicht durchsetzen. Ob die Kanzlerin das auch dachte, wissen wir nicht. Zumindest aber war es bekanntermaßen Neuland für sie – und das noch 2013, als das Internet bereits seit über zwanzig Jahren existierte.
Ein ominöser Mann hat Merkel nun also in die Tiefen des Netzes einführen dürfen. Wer genau das sein soll, verrät die SZ leider nicht. Vermutlich hat er sich in München noch nicht vorgestellt. Was war der Inhalt beim Nachsitzen? „Tempo, Technik, Folgen für die Menschen, neue Mächte in der Welt“, weiß die SZ. Mit dem Nachsatz: „(Das) alles sollte der Mann ihr erläutern.“
Ob ihm das gelang, ist schwer zu sagen. Fakt ist: Die Kanzlerin scheint die Wichtigkeit des Themas erkannt zu haben. An diesem Mittwoch tagt zum ersten Mal der neue, direkt im Kanzleramt angesiedelte Digitalrat. Befassen soll sich das Gremium – dessen Einrichtung bereits im Koalitionsvertrag vereinbart wurde – mit digitaler Infrastruktur, digitaler Bildung, der Einrichtung eines digitalen Bürgerportals sowie mit – Achtung, gleich heben wir ab – Künstlicher Intelligenz.
Ex-Obama-Beraterin unter Mitgliedern
Verwunderlich ist nur, dass so viel Zukunft umsonst sein soll – der Rat erhält kein eigenes Budget. Regierungssprecher Seibert sagte, jedes Ressort und jeder Minister könne das Gremium für sich in Anspruch nehmen. Prima – Selbstbedienung für lau. Zehn Mitglieder hat der Rat: immerhin vier Frauen und sechs Männer. Beth Simone Noveck hat schon Obamas Regierung in digitalen Fragen beraten. Ada Pellert ist die Rektorin der Fernuniversität Hagen und Andreas Weigend forschte als Chefwissenschaftler für Amazon.
Truppen-Mutti ist Allzweckwaffe Katrin Suder, eine promovierte Physikerin, die ursprünglich Unternehmensberaterin bei McKinsey war, bevor sie von Ursula von der Leyen als Staatssekretärin ins Verteidigungsministerium berufen wurde. Dort kündigte sie kürzlich, obwohl sie dort laut Spiegel hohes Ansehen genossen haben soll.
Die Kanzlerin sagt über ihre neue Truppe: „Wir brauchen ab und zu auch Menschen, die uns antreiben, die uns unbequeme Fragen stellen und die darauf Wert legen, dass das, was wir miteinander diskutieren, dann auch in der Praxis umgesetzt wird“.
Dass sich viele immer noch über Merkels vermeintliches Laientum in Sachen digitale Kompetenz aufregen und immer wieder ihr berühmtes Neuland-Zitat bemühen, ärgert Christoph Meinel, den Direktor des Potsdamer Hasso-Plattner-Instituts, wie die SZ schreibt. Er empfinde die Witze als infantil. Schließlich komme die Digitalisierung der Entdeckung eines Kontinents gleich. Für Meinel scheint die Lage ernst zu sein: Deutschland sei drauf und dran, wirtschaftlich und technisch den Anschluss zu verlieren.
Laut OECD ist Deutschland unter den Schlusslichtern
Mit seiner düsteren Einschätzung steht er nicht allein da. Experten mahnen seit langem, Deutschland müsse schleunigst aufholen, bereits Entwicklungsländer schnitten besser ab.
Gerade beim Glasfaserausbau schneidet Deutschland schlecht ab, wie die OECD kürzlich ermittelt hat. So betrug der Anteil von Glasfaseranschlüssen an allen stationären Breitbandanschlüssen in Japan im Juni 2017 stolze 76,2 Prozent – verglichen mit mickrigen 2,1 Prozent in Deutschland. In Lettland liegt er bei 62,3 Prozent und in Spanien immerhin noch bei 40 Prozent. So belegt Deutschland im europäischen Vergleich Platz 28 von 32.
Alarm schlägt auch die Industrie, zum Beispiel der Vorstandsvorsitzende der Adidas AG Kasper Rorsted: „Man muss ganz klar sagen, dass China einen großen Sprung in die Zukunft mit seiner Strategie der Digitalisierung gemacht hat. Drei von den zehn größten digitalen Firmen der Welt kommen aus China. Europa hat keine. Und es wird auch sehr stark staatlich gefördert. Ich muss sagen, ich bin sehr enttäuscht von den Zielen der neuen Bundesregierung, dass wir Zugang zum schnellen Internet im Jahr 2025 bekommen. Das kann kein Ziel sein.“
Da hat er recht, der gute Mann. Doch in der Zwischenzeit, während der Digitalrat sich hoffentlich die Köpfe zermartert, wie wir alle, auch unsere Mitbürger in ländlichen Regionen, künftig schneller surfen können – immerhin ist der Zugang zu schnellem Internet so essenziell wie der zu Wasser, so Merkel –, lachen wir doch lieber noch ein bisschen. Und zwar nicht nur über die Kanzlerin, schließlich verbreiten auch andere Politiker Murks. So zum Beispiel George W. Bush, der von „den Internets“ sprach. Begeistert äußerte er sich dagegen über einen Dienst „in dem Google“, mit dem man über Satellit Orte sehen könne, an denen er sich gerne aufhalte, „eine Ranch zum Beispiel“. Zu blöd, dass er sich gerade nicht an den Namen des Programms erinnern könne.
Oettinger bekam für Unwissenheit Preis verliehen
Donald Trump äußerte sich besorgt darüber, dass man viele Menschen aufgrund des Internets „verlöre“. Ob durch Außerirdische, ominöse Cyber-Krieger oder Spielsucht, sagte er leider nicht. Nur so viel: „Wir müssen Bill Gates und eine Menge anderer Menschen aufsuchen, um zu verstehen, was da draußen wirklich passiert.“ Sein Vorschlag: Vielleicht könne man Teile des Internets schließen. Auch wenn dann natürlich viele wieder mit Pressefreiheit und so ankämen. „Aber da draußen gibt es eben jede Menge dummer Leute.“
Auch Ex-EU-Digitalkommissar Günther Oettinger fiel immer wieder mit kuriosen Aussagen über das Netz auf. Zu Beginn seiner Amtszeit hatte er um 100 Tage Schonfrist gebeten, um sich in die Tiefen des Netzes einzuarbeiten, wozu er „hochmotiviert“ sei, wie er versicherte. Scheinbar haben die 100 Tage nicht gereicht. Legendär ist Oettingers Fehlverständnis von Netzneutralität: “Ihr wisst schon, das ist die Gleichbehandlung aller Daten und Dienste im Netz.“ Die verglich er mit „Taliban-artigen Entwicklungen“. „Da ist die Netzgemeinde, da sind die Piraten unterwegs, da geht es um perfekte Gleichmacherei. Da heißt es die böse Industrie.“ Für seine „unqualifizierten Statements gegen das Informationszeitalter“ bekam er 2015 den Wolfgang-Lorenz-Gedenkpreis verliehen.
Und die Kanzlerin? Die wird Anfang Dezember unter Beweis stellen können, was sie bei ihrem Nachhilfelehrer gelernt hat. Da will sie ihre digitale Gesamtstrategie vorstellen und vom Kabinett beschließen lassen. Wir sind gespannt und wünschen viel Erfolg – und vor allem: eine gute Reise!
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