Ein dadaistischer Badezimmerteppich: Wenn das Unbewusste häkelt

Wegen einer Augen-OP konnte unsere Autorin schlecht sehen. Sie ließ die Finger arbeiten – an einem Teppich fürs Bad.

auf einem gehäkelten Badezimmerteppich, der auf Dielen liegt, stehen rosafarbene Flip-Flops

Das Werk der Autorin Foto: Waltraud Schwab

Es gibt Dinge, deren Schönheit entfaltet sich, wenn man ihre Geschichte kennt. Da, dieser ­Badeteppich etwa, mit seinem Design ohne Konzept. Kein Rhythmus ist zu erkennen, keine bewusste Gestaltung.

Die Entstehungsgeschichte könnte man „automatisches Häkeln“ nennen, vergleichbar mit den assoziativen Schreibtechniken, mit denen schon die Dadaisten Texte entstehen ließen, ganze Gedichtzyklen gar, die dann zum Beispiel „Die Hyperbel vom Krokodilcoiffeur und dem Spazierstock“ hießen. Die Surrealisten gaben dem später den Namen écriture automatique und holten sich die Psychoanalyse mit ins Boot. Aufgeschrieben wurde ohne Plan, ohne Aufbau, ohne Zensur und Korrektur. So wurde das Unbewusste zum Motor der Kreativität.

Das musste jetzt mal aufgeschrieben werden, damit ich mich besser fühle. Denn dieser Badeteppich, gehäkelt aus heruntergerockten Spannbettlaken, ist genau so entstanden: ohne Plan, ohne Aufbau, ohne Korrektur, er wurde „automatisch“ gehäkelt. Als ich ihn mit einer Häkelnadel, so dick wie mein kleiner Finger, machte, konnte ich nämlich nicht viel sehen.

Zuvor hatte ich eine Augenoperation, eine Hornhauttransplantation. Meine eigene Hornhaut hatte sich von innen aufgelöst. Lieber keine Details. Nur eines ist klar: Wenn ich jetzt wieder sehe, dann durch die Hornhaut eines Menschen, der ganz anderes in seinem Leben sah als ich. Es ist eine zweite Vergangenheit, die jetzt mit meiner verschmolzen ist. Und auf eine gewisse Weise lebt dieser Mensch, eine Frau ist es, mehr weiß ich nicht, in mir weiter.

Weiterleben im Nehmenden

Ich bin ihr sehr dankbar. Und ja, ich werde alles versuchen herauszubekommen, wer die Frau war, was sie gesehen hat, was für ein Leben jetzt mit meinem verschmolzen ist. Und ja, wenn ich es herausgefunden habe, werde ich es aufschreiben.

Bisher hatte ich Organtransplantation nur so verstanden: Jemand gibt, jemand nimmt. Erst jetzt weiß ich, dass es beides ist. Wer genommen hat, gibt auch dem Gebenden etwas, das wie ein Weiterleben im Nehmenden ist, wenn auch ohne Bewusstsein, soweit wir wissen. Aber was wissen wir schon?

Die gerissenen Streifen waren mal zu dick, mal zu dünn. Ein Kampf mit dem Material

Wie dem auch sei, nach der Operation wie in einen Tunnel gestoßen, das Licht war weit weg, und gleichzeitig war alles neblig überblendet, fiel ich in die Beschäftigungslosigkeit. Nur das Grobe blieb mir und das Kochen. Das hat mich auch überrascht. Ich habe ziemlich viel gekocht, als könne man dabei keine Fehler machen, sich nicht in die Finger schneiden, sich nicht verbrennen, sich nicht vertun bei den Mengenangaben, nicht Salz und Zucker verwechseln. (Gut, sehend kann das auch alles passieren.) Ja, und dann ging ich noch dieses Projekt mit den Spannbettlaken an, die ein Badeteppich werden.

Sicher kann man Spannbettlaken aus Jersey, die ausgeleiert sind, durchgelegen, mit Löchern oder ohne, in den Kleidercontainer stecken. Man kann sie auch flicken, es dauert allerdings nicht lange, bis neben dem Flicken ein neues Loch entsteht. Ich habe es probiert. Früher wurden auch geflickte Flicken noch geflickt, wie meine Mutter über ihre sparsame Schwester schimpfte, denn das ging ihr wirklich zu weit.

Reingehäkelte T-Shirts

Wegwerfen konnte ich die Laken indes auch nicht. Deshalb habe ich sie in Streifen gerissen, diese zusammen genäht, mit der Hand und nicht auf Noblesse und Akkuratesse achtend, dabei durchaus geflucht, weil es eine langweilige Tätigkeit ist. Aus diesem Streifengarn habe ich mein Unbewusstes anschließend den Badeteppich häkeln lassen, was nicht immer einfach war, denn so ein Laken lässt sich nicht in schöne gleichmäßige Streifen reißen, nee, das klappt nicht mit durchgescheuertem Material.

Hätte ich es geschnitten, wären sicher bessere Streifen entstanden, aber dazu fehlte mir die Geduld. Nur die T-Shirts, die ich noch reingehäkelt habe, habe ich geschnitten.

Die gerissenen Streifen waren mal zu dick, mal zu dünn. Waren sie zu dick, war das auch kein Häkeln mehr, sondern ein Kampf mit dem Material. Egal. Wenn ich das Ergebnis heute betrachte, wenn ich sehe, denn ich kann es wieder, wie der Badeteppich da vor der Badewanne liegt, dann finde ich ihn schön. Denn ich sehe seine Geschichte.

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