Ein bunter Kosmos voller Widersprüche: Lifestyle für Allah
Junge Muslime haben eine widersprüchliche Szene entwickelt, die sich bewusst auf den Islam bezieht. Viele Trends sind harmlos, manche säen Hass. Eine Broschüre gibt Orientierung.
Junge Frauen mit Kopftuch und körperbetonten T-Shirts. Junge Männer mit ungestutzten Bärten, die Koran-Suren auf ihre iPods laden. Mädchen, die Sami Yusuf anhimmeln, den Star des Pop-Islam. Und Jungs, die lieber in die Koranschule als in die Disco gehen - muslimische Jugendliche haben eine widersprüchliche Jugendszene ausgeprägt. Jugendtrends sind für Erwachsene naturgemäß schwer zugänglich - bei islamischen tun sie sich besonders schwer. Der Islam verunsichert. Was wollen diese Jugendlichen? Was steckt hinter ihrem neuen muslimischen Selbstbewusstsein? Ist das eine Gefahr für die Freiheitsrechte?
Eloquent und konservativ
Das Projekt "Schule ohne Rassismus" hat nun das Themenheft "Jugendkulturen zwischen Islam und Islamismus" herausgebracht. Wie heikel so etwas ist, hatte erst im Sommer eine Handreichung des Berliner Senats gezeigt: Sie sollte LehrerInnen helfen, religiös bedingte Konflikte mit SchülerInnen zu bewältigen. Als bekannt wurde, dass in dem Heft der Berliner Imam Ferid Heider in einem achtseitigen Interview dazu Tipps geben soll, hagelte es Kritik. Denn Heider, mit 29 gern als jüngster Imam in Deutschland gefeiert, ist zwar eloquent. Doch er ist erzkonservativ und predigt in einer Einrichtung, die der Verfassungsschutz für einen Treff der radikalislamischen Hamas hält. Prompt wurde das Heft zurückgezogen. In eine solche Falle tappen die Autoren von "Schule ohne Rassismus" (SOR) nicht.
Sie konzentrieren sich zwar auf das explizit religiöse, konservative und islamistische Spektrum und lassen die säkularen Muslime, die hierzulande in der Mehrheit sind, außen vor. Aber sie zeigen auch: Vieles gefällt vielleicht nicht, kann aber als unproblematisch gelten. Einigen Entwicklungen aber muss widersprochen werden. Dabei ist der Einblick, den sie in die Szene geben, gut aufgemacht, leicht verständlich und gleichzeitig fundiert. An einer solchen Einführung mangelte es bislang.
Besonders auffällig unter den jungen Muslimen ist der "Pop-Islam", ein Mix aus moderner Pop-Kultur und konservativem Islam. Die Jugendlichen, so zeigt der Beitrag im SOR-Heft, versehen Mode, Musik und TV-Shows mit islamischen Vorzeichen. Sie wollen Karriere machen und als Teil der Gesellschaft anerkannt werden. Einen Teil ihrer Realität aber lehnen sie vehement ab: Drogen, oberflächliche Vergnügungen, Sex vor der Ehe. "Dagegen stellen sie ihre konservative Moral, für die das Bestehen auf dem Kopftuch so charakteristisch ist."
Die Pop-Muslime sind kein neues Phänomen. Sie sind vor allem in neuen Organisationen wie der Muslimischen Jugend in Deutschland zu finden. Das Spektrum der trendbewussten jungen Muslime ist groß, eines aber, so heißt es im Heft, sei ihnen gemein: Sie verstehen ihre Religion als Mitmach-Islam, jeder einzelne Gläubige soll ein moralisch einwandfreies Leben führen und so auch für Nichtmuslime ein Vorbild sein. Dahinter, so die Autoren, stecke die Idee eines Gesellschaftswandels von unten. Das Ziel könne auf die Werbung für den Islam beschränkt sein - oder auch auf die Islamisierung der Gesellschaft insgesamt setzen.
Um Strömungen wie die Pop-Muslime einordnen zu können, blicken die Autoren auch auf die islamische Welt. Wo kommen die Ideen her? Auf welche Bewegungen und Denker beziehen sich die Jugendlichen? Und welche Rolle spielt der Nahost-Konflikt?
Wichtige intellektuelle Bezugspunkte für die Pop-Muslime sind der türkische Prediger Fethullah Gülen, der eine weltweit agierende Bildungsbewegung gegründet hat, und Yusuf al-Qaradawi. Der Ägypter, so ist zu lesen, wende sich vor allem an junge Muslime, die in westlichen Gesellschaften leben. "Und hier lässt seine sehr konservative Version des Islam die Alarmglocken schrillen." Al-Qaradawi und mit ihm große Teile des Pop-Islam stünden eben auch für das Kopftuchgebot und die Geschlechtertrennung von Mann und Frau. Der Prediger habe Selbstmordattentate in Israel gerechtfertigt und legitimiere die Todesstrafe für außerehelichen Sex und den Abfall vom Islam.
Querverweise zwischen Trends und Symbolen, zwischen Personen und Organisationen gibt es an vielen Stellen des Hefts. Neben einzelnen Strömungen, Vordenkern und Vereinen greift die Broschüre auch Lifestyle-Trends auf, erklärt Symbole und Musikrichtungen, Sender und Zeitungen. Erläutert werden die unterschiedlichen Arten, das Kopftuch zu tragen, das Konvertieren am Telefon und die Grenze zwischen Islam, der Religion, und der politischen Ideologie des Islamismus.
Tragen Muslime Jeans?
Die Broschüre zeigt auch, welche Internetforen bei jungen Muslimen beliebt sind: Die muslimische Partnersuche auf muslim-markt.de zum Beispiel oder islamonline.net, wo Experten und islamische Gelehrten Fragen beantworten: Darf ich mich als junger Mann mit meiner Cousine treffen? Ist das Tragen von Jeans im Islam erlaubt? Hier können junge Muslime auch Fatwas suchen, religiöse Gutachten also, die Lebenshilfe bei Alltagsproblemen geben sollen.
Das Internet, so warnen die Autoren, sei "weltweites Rekrutierungsfeld für gewaltbereite Islamisten". Es gebe junge Muslime, die es für ihre Pflicht halten, im Namen des Islam zu töten: "Es handelt sich um eine kleine, aber durchaus gefährliche Gruppe."
Die Broschüre klärt auf, sie hetzt nicht. Sie will helfen, "den Einfluss der totalitären Ideologie des Islamismus zurückzudrängen" - gemeinsam mit den Muslimen. "Diese Broschüre soll all jene bei ihrer Arbeit unterstützen, die nicht tatenlos zusehen wollen, wenn Prediger des Hasses wichtige Freiheitsrechte in Frage stellen." Dafür ist sie bestens geeignet.
Schule ohne Rassismus (Hg.): "Jugendkulturen zwischen Islam und Islamismus". 58 Seiten, 3,00 Euro, Schule ohne Rassismus e. V., schule@aktioncourage.org.
Zwei der Autoren, Jochen Müller und Götz Nordbruch, betreiben die Webseite www.ufuq.de, die sich mit der Einbürgerung des Islam beschäftigt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers