Ein Skandalbild und seine Folgen: Ärger im Paradies
Ein britisches Paar schoss ein simuliertes Blowjob-Bild. Nun hat der Bischof der griechischen Insel Rhodos Hochzeiten ausländischer Paare abgesagt.
„Das war doch nur ein Witz. Respektlos, idiotisch, ja, aber doch kein Angriff auf die Kirche oder die Religion. Das wird sich schon wieder einrenken.“ Dimitri gibt sich gelassen. Er managt das einzige Restaurant, das am Strand der malerischen Apostel-Paulus-Bucht in Lindos seine Tische und Liegen aufstellen darf.
Das Restaurant ist nur einen Steinwurf weit entfernt von der berühmtesten Kirche der griechischen Mittelmeerinsel Rhodos, der St. Paul’s Chapel unterhalb der Akropolis von Lindos. Die Kapelle liegt nicht nur landschaftlich spektakulär, sie ist auch ein heiliger Ort für die griechisch-orthodoxe Kirche. Hier soll der Apostel Paulus vor bald 2.000 Jahren bei seiner dritten Missionsreise angelandet sein, um das Christentum nach Rhodos zu bringen.
Diese Kapelle ist ein Anziehungspunkt für Hochzeitspaare aus aller Welt, die damit auch viel Geld nach Rhodos bringen. Hochzeitsgesellschaften gehören zum Stammpublikum von Dimitri, sein Restaurant wirbt per Video für seine Cateringangebote zum großen Tag.
Trotz seiner demonstrativen Gelassenheit ist Dimitri wie viele andere Geschäftsleute in Lindos alarmiert. Denn nicht nur für ihn könnte das lukrative Hochzeitsgeschäft in den kommenden Jahren ausfallen, als Folge eines angeblichen Witzfotos, über das auf Rhodos niemand lachen kann.
Oralsex-Szene
Ende September heiratete in der Paulus-Kapelle das britische Paar Carly (34) und Matthew Lunn (27), die für den großen Tag mit Freunden und Verwandten aus Birmingham angereist waren. Auf Facebook sind viele Fotos zu sehen, wie die Hochzeitsgesellschaft sich vor der Kapelle versammelt und der Bräutigam die Braut im Arm trägt. Doch das sollte nicht alles sein.
Das Paar wollte ein Foto, dass ihren Freunden noch lange in Erinnerung bleibt, wie sie später erzählten. Nach der Zeremonie kletterten die beiden etwa 50 Meter von der Kapelle entfernt in die Felsen am Ufer und posierten dort: Matthew lies die Hosen herunter und Carly kniete im Hochzeitskleid vor ihm, um mit ihrem Ehemann eine Oralsex-Szene zu simulieren.
Familienangehörige filmten die Szene und stellten sie ins Netz. „Wir wollten was Ausgefallenes als Erinnerungsfoto, etwas, was unseren besonderen Sinn für Humor hervorhebt“, sagte Carly später einem Reporter der Londoner Times. Das Foto verbreitete sich im Netz und sorgte für erhebliches Aufsehen. Allerdings nicht nur bei Freunden und Bekannten in England, sondern auch auf Rhodos, wo der Humor des britischen Paares nicht so gut ankam.
Das Foto wurde Stadtgespräch unter den Rodiern und sorgte für Empörung, insbesondere bei Vertretern der Kirche. Drei Wochen später sah sich der Bischof von Rhodos, Metropolitan Kyrillos Kogeratis, zu einem drastischen Schritt veranlasst: Er erteilte ein Verbot für alle ausländischen Hochzeiten in Rhodos.
Treffpunkt der Musikszene
Lindos ist in Rhodos besonders beliebt. Umgeben von den schönsten Stränden der Insel und gut geschützt gegen die vorherrschenden, oft heftigen Westwinde, war Lindos, 50 Kilometer südlich von Rhodos-Stadt, ursprünglich ein Ruhesitz reicher griechischer Kapitäne und Reeder.
In den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts wurde der Ort dann zu einem Treffpunkt der internationalen Musikszene. David Gilmour von Pink Floyd kaufte sich ein Haus in Lindos, sein Freund Richard Wright heiratete die Besitzerin der angesagtesten Bar des Städtchens und auch Abba ließ sich zeitweilig in Lindos nieder.
Mittlerweile ist Lindos fest in der Hand der Tourismusbranche, die die sorgfältig restaurierten Kapitänshäuser bevorzugt an eine gut betuchte Kundschaft vermietet. Eine der wichtigsten Einkommensquellen in Lindos ist der Hochzeitstourismus. Jährlich werden in der Paulus-Kapelle rund 600 Paare getraut, was einem Umsatz von rund 15 Millionen Euro entspricht.
„Wir sind eines der weltweit berühmtesten Ziele für Hochzeitspaare, wir sind bereits bis 2021 ausgebucht“, erklärte der Präsident der Stadtverwaltung von Lindos, Giorgos Eleftheriou, gegenüber griechischen Medien. „Jetzt müssen wir fast 2.000 Paaren absagen.“ Der Times sagte er: „Ich hatte Hunderte von Anrufen aus England und allen Teilen der Welt von Brautpaaren, die in Tränen aufgelöst fragten, wie es denn jetzt weitergeht.“
Hooligans
Eines dieser Paare sind Suzanne Sparkles und ihr Verlobter Steve Arnold, auch aus England. „Ich bin absolut sauer, dass diese Idioten meinen Traum zerstört haben. Vor zwei Jahren haben wir die Hochzeit gebucht, 52 Gäste sollten kommen. Wir haben 40.000 Pfund gezahlt und nun ist alles umsonst“, sagte sie dem britischen online-Magazin M.
Auch Giorgos Eleftheriou ist wütend auf diese Hooligans, wie er sagt. „Als Griechen hängen wir an unseren Traditionen und respektieren unsere heiligen Stätten. Wir können ein solch vulgäres Verhalten nicht dulden. Hätten sie dasselbe vor einer Kirche in England, einer jüdischen Synagoge oder gar einer Moschee gemacht, die Muslime hätten sie enthauptet.“
Trotzdem hoffen viele Unternehmer in Lindos, genauso wie Dimitri vom Restaurant in der Paulus-Bucht, dass sich der Bann für ausländische Hochzeiten, die der Bischof über alle Kirchen und Kapellen in ganz Lindos verhängt hat, doch noch abwenden lässt. Am Donnerstag letzter Woche fand eine große Versammlung im Rathaus von Lindos statt, an der auch der Oberbürgermeister von Rhodos, Fotis Ghatzidiakos, teilnahm.
Der Saal war gerammelt voll, alle Geschäftsleute von Lindos wollten wissen, wie es nun weitergeht. Zwar ist die Saison Ende Oktober praktisch vorbei, doch die Buchungen für das kommende Jahr sind längst abgeschlossen. Sollte der Bann aufrechterhalten bleiben, kommen enorme Verluste auf die Stadt und die Geschäftswelt von Rhodos zu, Verluste, die die Insel, gerade wo es mit dem Tourismus wieder aufwärts geht, gar nicht gebrauchen kann.
Ballermann-Strand
Die Wut über das britische Paar ist groß. Das Verhalten der beiden sei „respektlos und indiskutabel“, sagt eine Dame, die auf der Hauptstraße von Lindos eine Hochzeitsagentur betreibt. Sie hofft dennoch, dass das Geschäft im kommenden Jahr weitergeht. Arthur, Geschäftsführer eines Hotels in Rhodos, ist dafür, dass britische Paar zu verklagen. „Sie sollen dafür bezahlen was sie angerichtet haben“, meint er.
Die meisten Unternehmer in Lindos wollen zu der ganzen Geschichte ausländischen Medien gegenüber am liebsten gar nichts sagen oder spielen den Vorfall herunter, aus Angst, ihre potenzielle Kundschaft noch weiter zu verunsichern. Deshalb wollen sie wie die Betreiberin der Hochzeitsagentur auch nicht namentlich genannt werden und andere, wie Dimitri oder Arthur, nur ihren Rufnamen preisgeben.
Es ist nicht das erste Mal, dass Rhodos mit dem schon sprichwörtlichen „bad behaviour“ britischer Touristen konfrontiert ist. Normalerweise spielen sich die Exzesse aber in dem Ort Faliraki ab, eine Art Ballermann-Strand rund 20 Kilometer südlich von Rhodos-Stadt. Das nun auch das feine Lindos in Mitleidenschaft gezogen wird, ist ein Schock für die gesamte Tourismusindustrie der Insel. Denn Rhodos, der Ort mit den meisten Sonnentagen in Europa, sucht nach den Krisen der Vergangenheit nach einer neuen Rolle.
Einst ein Treffpunkt der Reichen und Schönen, später dann Profiteur und Opfer eines zügellosen Massentourismus zugleich, ging Rhodos fast pleite, als der Massentourismus in die preiswertere Türkei abwanderte. Seit westeuropäische Touristen Erdoğans Türkei meiden, steht Rhodos vor einem Neustart.
Hochzeitsparadies
Man will möglichst weg vom Billigtourismus am Strand und stattdessen Archäologie, Kultur und Natur vermarkten. Ehemals teure Hotels, die völlig heruntergekommen waren, wurden restauriert, große Reedereien erfolgreich umworben, mehr Kreuzfahrtschiffe nach Rhodos zu schicken – und die Insel als Hochzeitsparadies promotet.
Diese wichtige Säule für das neue Image steht nun durch den Kirchenbann auf dem Spiel. „Die Kirche ist nach wie vor sehr mächtig“, sagt die Dame von der Hochzeitsagentur. „Wir wissen nicht, wie es weitergeht.“
Der oberste Repräsentant von Rhodos, Bürgermeister Ghatzidiakos, soll nun eine Lösung finden, die die Kirche zufriedenstellt und das Hochzeitsgeschäft dennoch am Laufen hält. Dimitri, der Manager des Restaurants in St. Paul’s Bay, weiß, wie das gehen könnte. „Das muss ganz oben erledigt werden“, sagt er. „Ghatzidiakos muss Tsipras (den griechischen Ministerpräsidenten, Anm. d. Redaktion) einschalten. Und der redet dann mit dem Patriarchen in Athen. Die finden dann einen Kompromiss.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Neue EU-Kommission
Es ist ein Skandal
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative