Ein Redaktionsbesuch bei netzpolitik.org: Echte und unechte Journalisten
Eine kleine Redaktion zeigt, wie guter Journalismus funktioniert, und wird dafür gejagt. Und die Klickzahlen ihres Blogs steigen stetig.
Auf einem Lautsprecherwagen steht Markus Beckedahl, strahlt. Er habe auch Russia Today kein Interview gegeben, weil er sich nicht instrumentalisieren lassen wolle. In Russland werden Journalisten für ihre Arbeit ermordet, sagt er. Prinzipientreue, Pressefreiheit, es folgt Applaus. Die Hitze flirrt über Berlin, Samstag ist es, Tag drei der Affäre um die Ermittlungen wegen Landesverrats gegen den Blog Netzpolitik.org.
Während sich der Platz füllt, quietschen die S-Bahnschienen an der Friedrichstraße. Gegenüber der Bau des Bundespresseamtes, vorne fließt die Spree, dazwischen wird es immer enger. Familien mit Kindern, alternativ Angehauchte.
Zwei ältere Damen unterhalten sich. Die eine besitzt einen Computer, doch beide kennen netzpoltik.org überhaupt nicht. Warum sie dann hier sind? ARD und ZDF berichteten handzahm, unkritisch, staatshörig, sagt die Rüstige mit Computer. „Wegen der Pressefreiheit“, sagt die andere mit fein frisiertem schlohweißen Haar und freundlichen Falten, eher Ende 70. „Ich bin zwar alt, aber nicht doof.“ Holzmedien sollten mit den Bloggern an einem Strang ziehen. Sie sagt tatsächlich „Holzmedien“.
„Man muss die Fakten kennen“
Andre Meister, mit T-Shirt und Hut, hat zwei Nächte mit wenig Schlaf hinter sich. Er und Beckedahl geben Interviews für kritische russische Medien, für „The Intercept“ - die investigative Plattform von Glenn Greenwald, ARD, 3Sat und so weiter.
Andre Meister hat eine Rede vorbereitet, die er später am Ende des Demostrationszuges hält, Mohrenstraße 37, Berlin-Mitte, gegenüber des Justizministeriums. Da steht er auf dem Wagen und sagt angesichts der Ausweitung der Internetüberwachung durch den Verfassungsschutz: „Man kann über diese neuen Befugnisse geteilter Meinung sein. Aber um sich darüber eine Meinung zu bilden, muss man die Fakten kennen. Und dafür ist investigativer Journalismus so wichtig.“
Eine halbe Stunde davor, Unter den Linden, Ecke Friedrichstraße, schwingt sich der Popstar der Hackerszene, Jacob Appelbaum, lässig an eine Stange über den Lautsprecherwagen. Er spricht englisch: „Danke Maaßen und Range, ihr habt uns gezeigt, dass alle Geheimdienste außer Kontrolle geraten sind"“. „Fucker“, entfährt es ihm.
Die Bildzeitung kritisierte im Januar, dass Appelbaum kein Journalist sei, sondern Aktivist. Er hatte an mehreren Enthüllungen des Spiegel mitgearbeitet. Nun die Breitseite der echten Journalisten: Appelbaum sei voreingenommen, nicht objektiv. Das Skandälchen aber wollte nicht aufploppen. Beckedahl kommentierte: „Bild.de, das Zentralorgan westlicher Sicherheitsbehörden, warnt in einem Beitrag vor dem Spiegel, denn dort schreiben Aktivisten mit.“
We vertritt wessen Interessen?
Geheimdienste, Bürger, Staatsmedien, Holzmedien, Hacker, Aktivisten, Propagandisten, Blogger. Wer vertritt wessen Interessen, wer ist wer?
In der zackigen guten alten Zeit bekam der Spiegel den Namen „Sturmgeschütz der Demokratie“. Heute jagt der Staat keine Holzmedien mehr. Für den obersten Verfassungsschützer Hans-Georg Maaßen sei „Scharfmacher eine weiche Formulierung“, schreibt die Süddeutsche Zeitung (SZ). Er, der eigentlich die Verfassung kennen sollte, nimmt sich mit dem Generalbundesanwalt den Blog netzpolitik.org vor.
Das sind Störenfriede, linke vermutlich, die permanent geheime Dokumente ins Netz stellen. Er habe den Eindruck, hatte Maaßen zuvor gesagt, dass „die deutschen Nachrichtendienste sturmreif“ geschossen werden sollten. Verschwörung! Inzwischen befindet sich der Hüter der Verfassung auf Tauchstation.
3,75 Stellen durch Spenden
Am Sonntag schläft Andre Meister aus. Und am Montagmorgen hat er einen riesigen gelben Sitzsack auf dem Rücken, als er im „office“ ankommt, wie er die Redaktion nennt. Menschen von re:publica und Newthinking sitzten hier, Projekte von Beckedahl. Es ist halb elf und der Gründer von netzpolitik.org hat bereits das vierte Interview gegeben, gleich will zur „BPK“ - Bundespressekonferenz. Er sieht überarbeitet aus: „Ich habe zwanzig Minuten“. Nach 21 Minuten ist das Gespräch beendet. Professionell, alles gesagt.
Er sei kein Journalist, hatte der Bundestag 2014 Beckedahl mitgeteilt und ihm zunächst die Akkreditierung verweigert. Nun solidarisiert sich die Bundespressekonferenz mit ihm. Er sagt: „Wir sind stolz darauf, Blogger zu sein, die journalistisch arbeiten. Es gab jahrelang diese Häme, dass es Blogger nicht auf die Reihe kriegen. Wir brauchen Rolemodells.“ Er meint sich selbst.
Viele, die bei der BPK akkreditiert sind, glauben, dies sei der heilige Gral des Journalismus. Nah an der Macht, im Regierungsjet mit Ministern zum Staatsbesuch, Hinterzimmergespräche und Herrschaftswissen.
Im „office“ verfolgen Constanze Kurz, promovierte Informatikerin, Anna Biselli, Master in Informatik, und Andre Meister, Sozialwissenschaftler, die Bundespressekonferenz. 3,75 Stellen kann netzpolitik.org durch Spenden finanzieren. Vier Rechner stehen in dem Mini-Büro. Mit einem Handy streamt jemand die Pressekonferenz nach draußen.
Vor Andre Meister stehen zwei Bildschirme, er lacht hin und wieder auf und liest parallel Emails - auf Linux-Ebene, technisch-puristisch. Unter dem Fenster an seinem Schreibtisch steht: „Ist das System relevant?“
Kein Nerd-Getue
Andre Meister ist der andere, gegen den wegen Landesverrat ermittelt wird. Er kommt aus einer ostdeutschen Kleinstadt, Alter „zwischen 30 und 35“, sagt er. Er will nicht, dass die korrekte Angabe im Internet auftaucht. „Das sind Selektoren“ - Parameter, die von der NSA zur Profilierung angelegt werden, um Menschen zu verfolgen.
Meister schrieb seine Bacherlorarbeit über Vorratsdatenspeicherung, seinen Master zur Zensur des Internets, die Ursula von der Leyen vorangetrieben hatte. „Zensursula“ scheiterte, weil das Vorhaben technisch undurchführbar war.
„Man merkt sofort, ob ein Journalist oder Politiker technisches Grundverständnis hat“, sagt Meister. Sein Crypto-Phone hat die Nummer +801-15299072. Abhörsichere Kommunikation. Er verschlüsselte seine Emails schon, als Edward Snowden noch für den Geheimdienst arbeitete.
Heute weiß er, dass das kein Nerd-Getue war. Die digitale Welt ist zum Gefechtraum geworden, das Internet zu einer geheimdienstlich-militärischen Supermaschine. Andre Meister enthüllte am vergangenen Donnerstag auch die geheime Cyberstrategie der Verteidigungsministerin. Der Cyberspace wird als fünfte Dimension für aktive Kriegsführung betrachtet - nach Land, Wasser, Luft und Weltraum. Kaum ein Medium sprang auf, denn zu diesem Zeitpunkt nahm die Affäre um den Landesverrat ihren Lauf.
Der Herr Clement
Schon Wochen zuvor hatte der Deutschlandfunk berichtet, es würde gegen Unbekannt ermittelt. Der Sender kolportierte, dass sich die Ermittlungen nur gegen die Informanten, gegen „Unbekannt“ richten würden. Tatsächlich aber wurde auch gegen die Journalisten vorgegangen, und solche Verfahren rechtfertigen behördliche Spähmaßnahmen.
Für den Deutschlandfunk hatte Rolf Clement als erster Anfang Juli über die Ermittlungen berichtet. Der Sender führt ihn als festangestellten sicherheitspolitischen Korrespondent. Er war zeitweise zugleich Chefredakteur einer Zeitschrift der Jungen Union, im Mai 2015 moderierte er eine Veranstaltung des Bundesamtes für Verfassungsschutz mit Herrn Maaßen. Der bloggende Journalist Stefan Niggemeier hakte beim Sender nach: „Deutschlandradio sieht hierin keinerlei Grund zu der Annahme, Herrn Clements journalistische Unabhängigkeit stünde infrage.“
Clement hat noch am vergangenen Freitagmorgen behauptet, dass nur gegen „unbekannt“ ermittelt werde, obschon seit Donnerstag klar war, dass auch Beckedahl und Meister gejagt wurden. „Diesen Fehler bedauern der Deutschlandfunk und Herr Clement sehr“, heißt es später.
Andre Meister sagt von sich: „Ich war schon immer ein Nerd, kurz nach der Wende bekam ich einen Rechner und 1996 dann Internet, geniale neue Welt. Vernetzung, das Wissen der Menschheit auf einmal vor sich, das Potenzial die Menschheit zu revolutionieren“. Dann kam die Enttäuschung. Andre Meister, der 2007 bei Netzpolitik als Praktikant begann, wurde bekannt, weil er unermüdlich aus dem NSA-Untersuchungsausschuss bloggte. Er blieb stets, bis der letzte Satz gesprochen war. Viele Journalisten rauschten nur sporadisch rein. Sie konnten ja alles in Meisters Echtzeitprotokollen nachlesen.
Wie viele Leser netzpolitik.org genau hat, kann Meister nicht sagen, „weil wir keine Tracking-Tools verwenden“. Während die meisten Medien das Leseverhalten ihrer Nutzer ausspionieren, verzichtet Netzpolitik darauf. „Unsere Artikel“, sagt Meister, „bekommen so an die 10.000 Direktzugriffe“. Seit Donnerstag hat sich das geändert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen