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Ein Mann von Ehre

Helmut Kohl, der Nicht-mehr-Ehrenvorsitzende der CDU, spricht vor der Handelskammer und hat nichts begriffen  ■ Von Peter Ahrens

Er ist tatsächlich gekommen. Helmut Kohl ist da, und er freut sich „über das außerordentliche Interesse“. Über „Deutschlands Zukunft in Europa“ soll er zum Geburtstag der Handelskammer sprechen, aber alle wollen etwas anderes hören. Der Mann, der seit Dienstag nicht mehr Ehrenvorsitzender der CDU ist, – er redet von Ehre und schweigt trotzdem. Auf dem Podium steht einer, der nicht begreift, was um ihn herum geschieht.

Die Handelskammer hat Helmut Kohl schon vor 13 Monaten eingeladen, „einen deutschen und europäischen Patrioten, einen großen Staatsmann, der weltweit Vertrauen genießt – wenn auch kein Heiliger“, sagt Kammer-Präsident Nikolaus Schües. Schües erteilt Absolution: „Wir sind keine Pharisäer, keine Richter.“ Er setzt noch einen drauf: „Helmut Kohl hat Unauslöschliches vollbracht für Deutschland, für Europa und für diese Stadt.“ Daher wird ihm die Kammermedaille überreicht, die seit neun Jahren nicht mehr verliehen wurde. In der Urkunde steht: Die Ehrung bekommt Kohl für seine „Verbundenheit mit der Wirtschaft“.

Schües formuliert: „Die Wirtschaft hat großes Interesse, wieder geordnete Verhältnisse zu haben“, und „Deutschland sehnt den Tag herbei, wann klar Schiff gemeldet wird.“ Da kann der Kammerpräsident lange warten, denn entweder versteht Kohl den Hinweis nicht oder er ignoriert ihn. „In meinem ganzen Leben habe ich meine Ehre niemals aufgegeben, und das tue ich auch heute nicht.“ Großer Beifall. „Ich war in meinem Leben nie bestechlich. Jeder, der mich kennt, weiß das.“ Beifall. „Ich kämpfe um meine Ehre, und dazu gehört, dass ich mein gegebenes Wort halte.“ Dünner Beifall.

Seine Partei bricht auseinander, Helmut Kohl bleibt Helmut Kohl. Er redet, wie man ihn kennt, seit Jahren, seit Jahrzehnten. „Ich sage das in aller Deutlichkeit“, „ich sage das noch einmal“, „die Männer und Frauen, die am Teppich der Geschichte mitgewirkt haben“, „die deutsche Einheit: ein Glücksfall in ganz außerordentlicher Weise“ – all die vertrauten rhetorischen Figuren, sie kommen auch am gestrigen späten Nachmittag. „Was wir brauchen ist Veränderung“, sagt Kohl, doch er meint damit nicht sich, sondern „die Flexibilisierung der Arbeitszeit“. Kein Sterbenswort dazu, dass die CDU dank ihm ums Überleben kämpft.

„Auch ich habe Fehler gemacht und zahle auch dafür.“ Das ist das Buß-Pflichtprogramm, das schnell wieder verlassen wird. Die „Proportionen, die im Moment völlig durcheinander geraten sind, werde ich mich bemühen, wiederherzustellen.“ Kohl müsste wissen, wie er dazu am besten beitragen kann. Er beruft sich auf den Satz von Papst Johannes XXIII: „Nimm dich selbst nicht so wichtig.“ Wahrhaftig.

Hamburgs CDU-Chef Dirk Fischer, der dem Altkanzler seine Aufwartung macht und ergeben vor dem Podium zuhört, hatte zuvor gesagt: „Eine Bereinigung der Partei kann nur mit Helmut Kohl stattfinden, ohne ihn kann die Partei die Glaubwürdigkeit nicht entwic-keln.“ Das ist Kohl doch egal.

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