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Ein Jahr, so verrückt wie jedes andereWohin mit dem Cannabis-Überschuss?

Kaum angefangen, ist auch 2025 schon wieder fast vorbei – und lässt viele Fragen offen. Schuld daran ist nicht zuletzt Estland.

Im Sommer ein Suppelrand, im Winter ein Eisparadies: Der Strand in Estland bereitet zu jeder Jahreszeit Freude, auch sprachlich Foto: Alexander Welscher/dpa

W enn ich diese Kolumne schreibe, bin ich immer erstaunt, wie schnell die Zeit vergeht. Völlig bekloppt, sich alle vier Wochen zu wundern, dass tatsächlich schon wieder vier Wochen rum sind. Genau wie mit Weihnachten: Jährlich stelle ich verdutzt fest, dass schon wieder ein Jahr vorbei ist.

Heute sind die vier Wochen UND das Jahr fast durch. Die Marienkäfer haben sich schon vor Wochen in die Dichtungen unserer Fenster verzogen und ich habe auch dieses Jahr noch kein einziges Geschenk für die Kinder besorgt und überhaupt weder mehr Sport getrieben, mehr Gemüse gegessen noch mehr Marihuana geraucht.

Dabei hatte ich meinen Vater erfolgreich bequatscht, für mich drei Hanfpflanzen anzubauen. Zuerst hat er sich gewehrt, aber dann konnte er der Herausforderung doch nicht widerstehen.

Als er mir erzählte, er habe Erde auf eine genau berechnete Temperatur erhitzt – ganz sanft natürlich, weil ja nicht alle Mikroorganismen getötet werden sollen –, um die vorgekeimten Samen dann bei exakt 19 Grad in einzusetzen, wusste ich, dass er die Mission angenommen hatte.

Meine Mutter war nicht so begeistert. Nicht, weil mein Vater mehr mit dem Hanf sprach, als mit ihr, sondern weil die ganze Bude krass nach Gras gestunken hat

Fast täglich bekam ich Fotos: Drei Pflänzchen am Fenster, dann bei mildem Wetter stundenweise draußen, dann mit Sonnenlicht-Reflektorschilden umgeben oder mit einer eigens konstruierten Bewässerungsanlage auf dem Balkon, als meine Eltern mal ein paar Tage weggefahren sind. Abends sah man im Fenster die wunderschön im UV-Licht erstrahlenden Pflanzen.

Meine Mutter war nicht so begeistert. Nicht, weil mein Vater in dieser Phase mehr (und deutlich liebevoller) mit dem Hanf sprach als mit ihr, sondern weil die ganze Bude unglaublich krass nach Gras gestunken hat. Dann übersiedelte das Cannabis in den Garten, wo sich die Nachbarn wohl nur deswegen nicht über den Geruch beschwert haben, weil sie den über 80-Jährigen auf der anderen Seite des Sichtschutzzaunes nicht zutrauen, dass sie ernsthaft Gras anbauen.

Als die Pflanzen nicht höher als 80 Zentimeter wachsen wollten, hat mein Vater leider den Spaß an ihnen verloren. Er hatte eine Mindesthöhe von zwei Metern angestrebt und war genervt von den auf Kleinwuchs für den heimlichen Anbau in Jugendzimmern überzüchteten Sorten. Für die durchaus beeindruckenden Blütenstände hat er sich nie interessiert. Die sind im Sommer dann aber ohnehin fast komplett durch irgendeinen Pilz dahingerafft geworden.

Egal, mit seinem Enthusiasmus und seinem Größenwahn hat mein Papa mir trotzdem eine große Freude gemacht. Außerdem große Freude bereitete mir dieses Jahr im Urlaub das Estnische Wort für Badestrand: Suppelrand!

Zusätzlich beschenkte Google uns beim Übersetzen dieser einzigartigen Sprache reich mit Scherzen. „Stöcke“ oder „Kinderbraten“ haben wir im Restaurant zwar vorsichtshalber nicht bestellt, aber der „Muttermilchquark“ schmeckte sehr gut. Was wir dabei allerdings genau gegessen haben, wissen wir bis heute nicht.

Auch manch andere Frage ist dieses Jahr offen geblieben oder hat sich neu gestellt: Wie wurden früher Dinge transportiert, als es noch keine blauen Ikea-Taschen gab? Wie wurde kommuniziert, als man noch keine kleinen Gesichter oder Herzen auf Handys hin und her schicken konnte?

Warum heißt es nicht Rasenmuhen?

Warum sagt unser Sohn Willi jedes Mal „Mäh“, wenn er auf einen aufgekratzten Mückenstich zeigt? Falls das Wort Rasenmähen von diesem Tiergeräusch kommt, könnte es dann genauso gut Rasenmuhen heißen?

Und was wollte ich mir sagen, als ich für den 4. April in meinen Kalender „3 Wochen Mo+AB – 1 Stunde Milch“ eingetragen habe? Ferner ungeklärt: Was hätte ich mit den Unmengen Kraut angefangen, wenn die Cannabisblüten nicht verdorben wären?

Der winzige Teil, der rauchbar ist, ist immer noch mehr, als ich im Jahr konsumieren könnte. Meine Eltern wollten bis jetzt nichts probieren. Mein Papa hat allerdings vorgeschlagen, aus dem, was wir haben, für Weihnachten Kekse zu backen, damit wir alle mal etwas entspannter sind. Eine gute Idee.

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Birte Müller
Freie Autorin
Geboren 1973 in Hamburg. Seit sie Kinder hat schreibt die Bilderbuchillustratorin hauptsächlich Einkaufszettel und Kolumnen. Unter dem Titel „Die schwer mehrfach normale Familie“ erzählt sie in der taz von Ihrem Alltag mit einem behinderten und einem unbehinderten Kind. Im Verlag Freies Geistesleben erschienen von ihr die Kolumnensammlungen „Willis Welt“ und „Wo ein Willi ist, ist auch ein Weg“. Ihr neuestes Buch ist das Kindersachbuch „Wie krank ist das denn?!“, toll auch für alle Erwachsenen, die gern mal von anderen ätzenden Krankheiten lesen möchten, als immer nur Corona. Birte Müller ist engagierte Netzpassivistin, darum erfahren Sie nur wenig mehr über sie auf ihrer veralteten Website: www.illuland.de
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