Ein Jahr Cannabis-Gesetz: Endlich keine Angst mehr
Seit einem Jahr sind Besitz und Konsum von Marihuana teilweise erlaubt. Was sich in Berlin seitdem getan hat und wie die Szene auf die Zukunft blickt.

Der Gründer des Museums Rolf Ebbinghaus steht neben einem Bildschirm, auf dem Videos gezeigt werden sollen. Noch funktioniert die Technik nicht, die Kernbotschaft dieser und überhaupt der ganzen Ausstellung kann Ebbinghaus, auf dessen T-Shirt „Berlin loves weed“ zu lesen ist, aber auch so zusammenfassen.
Cannabis-Konsumenten wie er und Millionen andere müssen seit dem 1. April vergangenen Jahres keine Angst mehr haben vor Strafverfolgung und Kriminalisierung. Vor gut einem Jahr wurde Cannabis aus dem Betäubungsmittelgesetz gestrichen. Jährlich fallen damit um die 200.000 Delikte einfach weg. „Endlich keine Angst mehr haben zu müssen“ – dieses immer noch relativ neue Empfinden von Kiffern soll die Ausstellung einfangen, so Ebbinghaus.
Dabei kann es ein Jahr nach der Teillegalisierung immer noch einen Unterschied machen, ob man sich nun irgendwo eine Zigarette oder einen Joint anzündet. Die berühmte Bubatzkarte aus dem Internet zeigt, wo man in Berlin Gefahr läuft, unerlaubt zu kiffen, weil sich in der Nähe eine Schule oder eine Kita befindet.
Erwachsene dürfen seit dem 1. April 2024 in der Öffentlichkeit bis zu 25, zu Hause bis zu 50 Gramm Marihuana bei sich tragen. Der Anbau von bis zu drei Pflanzen pro Person ist erlaubt. Cannabis kann legal konsumiert werden, allerdings nicht in Sichtweite von Schulen, Spielplätzen, Kinder- und Jugendeinrichtungen und öffentlichen Sportstätten. Außerdem ist die Weitergabe verboten, also auch einen Joint weiterzureichen. Nicht gewinnorientierte Anbauvereinigungen oder Cannabis-Clubs dürfen maximal 50 Gramm im Monat pro Mitglied abgeben. (taz)
Rote Karte für Kiffer
Viele Orte für unbeschwerten Cannabisgenuss bleiben demnach nicht. Und zig Raucherkneipen, in denen Kiffer vor der Teillegalisierung stillschweigend geduldet wurden, zeigen Jointbauern jetzt die rote Karte, einfach, weil das Hausrecht ihnen das erlaubt.
Zur wichtigsten Frage seit der Teillegalisierung wurde aber die, woher man nun sein Zeug beziehen soll. Die Gesetzgebung der Ampelregierung sah eigentlich Anbauvereinigungen als Hauptversorger vor. Ziel war, dadurch den Schwarzmarkt auszutrocknen.
Aber bei den Cannabis Social Clubs ging es weit langsamer voran als gedacht. Die hatten eigentlich geplant, bereits Ende vergangenen Jahres ihre jeweils bis zu 500 Mitglieder versorgen zu können. Aber Stand heute wurde in Berlin erst fünf Anbauvereinigungen Genehmigungen erteilt und nur einer davon konnte bislang ein Erntedankfest feiern.
Also ist bei vielen Self-Growing angesagt, drei Hanfpflanzen auf dem Balkon oder im geschützten Garten sind Erwachsenen erlaubt. Die letzte Hanf-Messe Mary Jane stellte einen neuen Besucherrekord auf und das Geschäft mit Hanf-Stecklingen lief dort sichtbar gut.
Rezept von Dr. Ott
Ein weiterer Trend ist medizinisches Cannabis. Plattformen wie Bloomwell oder Dr. Ansay boomen. Und dass sich dort nicht nur Konsumenten eindecken, die Cannabis als Medikament gegen Schlafstörungen oder Depressionen für sich entdeckt haben, ist längst ein offenes Geheimnis.
Bei den Online-Anbietern bekommt man das Gras seiner Wahl ohne Probleme wie in einem virtuellen Coffee-Shop. Die Plattform Quick Green wirbt sogar damit, dass man in Berlin Dank Sofortlieferung bereits 30 Minuten nach Bestellung seine Beruhigungstüte rauchen kann.
Diese Entwicklung kommt freilich bei den Anbauvereinigungen nicht gut an. „Bei manchen Clubs springen Mitglieder bereits wieder ab“, sagt Oliver Waack-Jürgensen, Vorstand des Dachverbandes deutscher Cannabis Social Clubs der taz. Weil es dort wegen der zu langsam arbeitenden Behörden nicht so richtig vorangeht und medizinische Ware eben so leicht zu beziehen ist. Seiner Meinung nach profitierten deshalb von der Teillegalisierung vor allem diejenigen, die in Cannabis vor allem eine Chance für gute Geschäfte sehen. Und nicht Cannabis-Aktivisten wie er, die sich schon seit Jahren für die Entkriminalisierung engagieren.
Ähnlich sieht das auch Mario Gäde, Vorstand beim White Lake Weed Social Club in Weissensee. „Wer seine Ware bei einer dieser Plattformen bezieht, dem muss klar sein, dass er damit die große Pharmaindustrie unterstützt“, sagt er. Außerdem lasse bei dieser „die Qualität zu wünschen übrig“. Das Cannabis komme von weit her, aus Kanada oder den USA, sei Wochen lang unterwegs und schließlich in den Händen des Konsumenten bereits „viel zu alt“.
Rest-Risiko CDU
In seinen Kreisen wird medizinisches Cannabis deswegen verächtlich „Apothekenstaub“ genannt. Auch in seinem Cannabis-Verein seien einige Mitglieder Kunden bei den Plattformen. Die meisten von ihnen würden sich jedoch liebend gerne wieder abmelden, wenn sie über die Anbauvereinigung Cannabis beziehen könnten.
„Es gibt viele, die die Pharmaindustrie nicht unterstützen wollen und die frisches Cannabis wollen, das kein Massenprodukt ist“, sagt Gäde. Wenn die Sache mit den Clubs irgendwann wirklich im größerem Stil anläuft, auch in Berlin, werde auch der Boom bei den Plattformen wieder zurückgehen, glaubt er.
Sein Club hat immerhin bereits eine Lizenz. Nun fehle aber noch die Genehmigung des Bauamtes. Die sei aber nicht so einfach zu bekommen. Zuletzt hieß es, der Club bräuchte noch extra Fahrradständer für seine Mitglieder. Um diese Anschaffung zu vermeiden, werden diese nun per App Termine für die Abholung buchen müssen, damit nicht alle gleichzeitig kommen. Womit vielleicht die letzte Hürde hin zur Genehmigung genommen wäre.
Eine Gefahr bleibt jedoch trotzdem: der Koalitionsvertrag der nächsten Bundesregierung. Die CDU möchte ein Jahr Teillegalisierung möglichst ungeschehen machen und diese wieder abräumen. Dass sie damit Erfolg hat, glaubt jedoch keiner in der Cannabis-Szene.
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