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Ein Gespräch im Café Hardenberg

Nachbemerkungen zum Ursprung der deutschen Leitkultur oder Die Zukunft der auswärtigen Kulturpolitik. Wo und warum vier EuropäerInnen die deutsche Leitkultur in Berlin schon entdeckten, als sie im deutschen Diskurs noch gar nicht vorhanden war

von FRITZ VON KLINGGRÄF

Aus Vilnius, Paris, aus Belgrad und Rom sind sie angereist: vier Stipendiaten des deutschen Goethe-Instituts – für drei Wochen zu Gast im Berliner Kulturbetrieb. Im Café Hardenberg plauderten sie über deutsche Leitkultur. Und irgendwann segelte langsam ein gelbes Blatt am Fenster vorbei. Da setzte der Herbst gerade seine ersten Zeichen. Gemeinsam hatten die vier europäischen Kulturmittler im Renaissance-Theater der „Berliner Lektion“ einer 90-jährigen Margarete Mitscherlich gelauscht. Ein wenig gerührt, ein wenig verschämt: Das waren greise, faltige Mitscherlich-Worte, Worte über den nachkriegsdeutschen Jungen Joschka, Worte über eine vergangene Republik und einen deutschen Außenminister, der immerhin mit „Nie wieder Auschwitz“ Kriege begründet. Da hatte sich den vier EuropäerInnen zwischen Vilnius und Paris noch mal die Bonner Republik gezeigt, in ihrem Altersstarrsinn, ihrem Witz: Ja, ja, so ging sie, die deutsche Rede, als sich die Welt in Berlin noch zerteilte.

Doch es sind nur wenige Minuten der Kondolenz, die die vier EuropäerInnen der alten Psychoanalytikerin und ihrer Republik widmen. Noch gibt es zwar an diesem Septembertag das Wort von der „deutschen Leitkultur“ nicht. Und doch beherrschte es hier am Bahnhof Zoo schon das europäische Café-Geplauder. Denn immerhin: Außenminister Joschka Fischer hatte schon seine Berliner Rede über die „Zukunft der auswärtigen Kulturpolitik“ gehalten. Eine zukunftsweisende Rede aus dem Munde des legitimen Regierungsvertreters für die ganze deutsche Kultur.

Das geht die vier EuropäerInnen an – mehr als das Gezänk über ein chauvinistisches Wortgetüm, das sehr bald seinen Weg zum Unwort des Jahres machen wird. Von einer künftigen Weltherrschaft des Rechts hatte der deutsche Außenkulturminister gesprochen und über den „Abschluss unserer Nationalstaatsbildung auch auf der symbolischen Ebene“. Welche Symbole, welche Namen meint der Außenminister da wohl? Symbole wollen benannt sein. Doch kein Wort von der „deutschen Leitkultur“; so etwas macht ein Mitscherlich-Erbe nicht. Keine Kampfbegriffe, nur eine leichte Akzentverschiebung für Deutschlands künftige Kulturpolitik gegenüber der Welt. Diese möge – „gerade in schwierigen Partnerländern“ – künftig zur Stärkung von Zivilgesellschaften beitragen.

So lautete die freundliche Bitte des deutschen Außenministers an seine auswärtigen Kulturmediatoren. Am 4. Juli 2000. Eine zivile, wohlerzogene Rede, und kein Rauschen bewegt den deutschen Blätterwald– geschweige denn eine Debatte. Zu den Begriffen fand später die Opposition. Nur die Goethe-Institute horchten auf: War da was? Ja, da war was. Man findet die Rede unter www.auswaertiges-amt.de/www/de/infoservice: nichts weniger als die „neuen Richtlinien“ für Deutschlands künftige Kulturpolitik. „Die auswärtige Kulturpolitik ist integraler Bestandteil einer auf Konfliktprävention und Friedenssicherung ausgerichteten deutschen Außenpolitik.“ Gesprochen, geschrieben, veröffentlicht Monate vor Friedrich Merz.

Doch während die deutsche Öffentlichkeit noch im Sommerloch träumt, wissen die vier EuropäerInnen im Café Hardenberg, was die Stunde geschlagen hat. Die Stunde der deutschen Leitkultur. Die vier Kulturmittler nämlich kennen sich da aus. Sie sind des Lobes voll, die vier Berliner Stipendiaten über die Goethe-Kultur, die sie alle seit Jahren zu Hause genießen: Maurizio Marrone, Direktor der „opera paese“ für bildende Künste: „Das Goethe-Institut ist überhaupt die einzige ausländische Einrichtung in Rom, die die Einzigartigkeit der Kulturen akzeptiert – und die einzige Institution in Rom, wo internationale Kulturkongresse stattfinden.“ Nicole Colin, die Pariser Dramaturgin von der Campagnie „Atelier Deux“: „Im Gegensatz zu den deutschen Häusern gibt es in den französischen Theatern nicht nur keine Ensembles – es gibt da auch keine Künstler, keine Infrastruktur, kein Leben.“ Ruta Pruseviciene aus Vilnius, zuständig für internationale Beziehungen bei der „litauischen nationalen philharmonischen Gesellschaft“: „Unsere Musiker haben bis zu 1.000 Konzerte im Jahr; mit einer langfristigen Publikumsbindung wie in Berlin hat das nichts zu tun.“ Snezana Subotić vom serbischen Institut für Städteplanung in Belgrad: „Die Berliner Kultur in die Welt tragen? Ja, ja! Ja, genau das werden wir tun. Die kreative Unruhe, die künstlerische Explosion.“ Jetzt nicken sie wieder alle vier.

Vier EuropäerInnen in Berlin, vier Projektionen einer deutschen Leitkultur in die Welt. Seit drei Wochen sind sie in Deutschland, alle vier sind sie verdiente Partner der Goethe-Institute im Ausland. Die Dezentralität fasziniert sie (Colin), die Infrastruktur der Berliner Kultur macht sie neidisch (Subotić), die Vielfalt der Stipendien, Künstlerhäuser, Fonds verblüfft (Marrone), die Verknüpfung von Kunst und Forschung, Katalogkultur, Buchkultur gilt ihnen als Vorbild (Pruseviciene). Und selbst die Kulturbürokratie, „ ... zugegeben: vielleicht gibt es eine latente Arroganz in der Kulturbürokratie. Aber immerhin bringen alle ein ordentliches Kunstverständnis mit.“ Aus dem Lachen von Snezana Subotić lacht auch der tägliche Kampf gegen Belgrads Clan-Bürokratie. Nicole Colin, die Bildungsbürgerin aus Paris, hingegen sagt Sätze, die stehen da, kalt und monolitisch wie kantische Aphorismen. „Nur, wo Kunst ohne politische Zwänge existiert, ist Freiheit, ist Demokratie in einem Staat.“ Schiller à la française: „Deutschland ist kulturell gesehen vielleicht der freieste und demokratischste Staat der Welt.“ Akzentfreier geht es kaum noch, Frau Colin ist eine deutsche Idealistin aus Paris. Doch keiner der drei anderen lacht. Denn immer gehen diese Sätze zuvörderst nach Belgrad, Vilnius, Paris oder Rom; nach Hause statt nach Deutschland – und doch soll hier jeder Satz gegen Joschka Fischer sprechen und gegen seine Leitkultur im deutschen Herbst 2000.

Denn über die Kulturleitlinien aus dem Auswärtigen Amt wissen die vier EuropäerInnen im Café Hardenberg bestens Bescheid. Die Goethe-Institute haben da gute Arbeit geleistet. Doch ihr Modell Deutschland wollen sich die vier von dem Außenminister nicht nehmen lassen. Snezana Subotić am allerwenigsten: Zwanzig Goethe-Institute im Kosovo, sagt die erklärte Milošević-Gegnerin, „das wäre wohl ein Beitrag zur Stärkung von Zivilgesellschaft gewesen“. Kultur statt Soldaten. „Deutsche Kultur, ja. Die gab es im Goethe-Institut in Milošević’ Belgrad, das trotz allem weiter arbeitet. Alle anderen Kultur-Institute hatten geschlossen, das Institut Française, das British Council ...“. Der germanophile Ruck sei enorm gewesen im Widerstand gegen das von Milošević besetzte Belgrad – „trotz Fischer“. Ein Drei-Stunden-Gespräch im Café Hardenberg über die deutsche Leitkultur avant la lettre. Und vier Berliner Lektionen gegen Joschka Fischers deutsche Modell-Zivilisation. Teilnahme statt Kulturexport – das habe ihn an der Arbeit des Goethe-Instituts in Rom fasziniert, sagt Maurizio Marrone, der Kurator: „Kulturen sind doch keine Modelle. Das wäre Faschismus.“ Er wisse das; er käme schließlich aus Rom. Berlin sei ihr keineswegs ein Modell, präzisiert Ruta Pruseviciene, die Musikerin. Eine Lage, ja. Ein Anstoß, vielleicht. Sicherlich ein Feld für Kontakte. Fatal aber sei die „Aushebelung der Kunst zum Zwecke deutscher Menschenrechtspolitik“, sagt Nicole Colin und kennt dafür noch ein Schiller-Zitat. Ruta Pruseviciene sitzt da schon wieder in der Berliner Philharmonie.

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