: Ein Garten als Spiegel göttlicher Harmonie
Die Große Garten in Hannover-Herrenhausen hat 350 Jahre lang seine Grundstruktur und damit seine Identität behalten. Das wird groß gefeiert
Von Jens Fischer
Ein Garten feiert Geburtstag, weil er seine Identität, in diesem Fall seine Grundstruktur seit 350 Jahre behalten hat. Es gibt Bestellungsbelege für Bauutensilien, Zeichnungen und Auszahlungen an Gärtner, die beweisen sollen, dass 1675 im Auftrag von Johann Friedrich, Herzog von Braunschweig-Lüneburg, der Ausbau des 1638 von seinem Vater angelegten Nutzgartens in Hagerinhusen begann. Als Rohstoffproduzent der höfischen Küchen wurde er für die Ernährung des hannoverschen Absolutismus bewirtschaftet. Nun soll er ein repräsentativer Lustgarten werden, ein Prunkstück des prahlerischen Verschwendungswettbewerbs europäischer Herrscherhäuser. Gleichzeitig wird ein Gutshaus zur Sommerresidenz der Welfen hergerichtet. Passend für die neuen superreichen Herren vor Ort heißt Hagerinhusen nun Herrenhausen.
In 16 quadratische Einheiten soll der Freiluft-Festsaal anfangs gegliedert gewesen sein, mit eingeheckten Blumenbeeten in ornamentalen Mustern. Die streng symmetrische Gliederung ließ noch an Renaissancegärten denken, die prachtvolle Inszenierung wies ihn als Barockgarten aus. In der Regierungszeit von Herzog Ernst August (1679–1698) und seiner Gemahlin Sophie von der Pfalz kommt es – auch als machtpolitisches Demonstrationsprojekt – zur gartenkünstlerischen Aufwertung und Erweiterung des Areals.
Die Fläche wird fast verdoppelt – auf die heutige Größe von 50 Hektar. Bäume stehen Spalier an den Wegen, eine Graft fasst das Gelände ein, das sich klar als Kunstlandschaft von der Umgebung abgrenzt. Abgezirkelte Beete, Rabatten, harsch gefräste Bosketten, kilometerlange Hecken, mythologische Sandstein-Skulpturen, alles umspielt von hellen Kieswegen. Eine Lindenallee öffnet den über Wasserspiele schweifenden Blick zum Fluchtpunkt, einer bis zu 80 Meter hoch spritzenden Fontäne. Noch heute! Es gibt Pavillons, Teiche, Irrgarten, Theater, Springbrunnen. Alles wie einst.
350 Jahre Herrenhäuser Gärten: Sommerfest am Sa, 23. 8., 14–23 Uhr, Großer Garten, Herrenhäuser Straße 1; Jubiläumsprogramm auf herrenhaeuser-gaerten.hannover.de
Wie kann das sein? Als europaweit die schmucken Barock- in romantisch verklärte Landschaftsgärten verwandelt werden, hocken die Welfen gerade in London auf dem Thron des englischen Weltreichs (1714–1837) und kümmern sich nicht um Herrenhausen. So bleibt alles, wie es war. Mal weniger gepflegt, mal mehr verwildert. Die Stadt Hannover kauft 1936 das Gelände, hilft mit teilweise historisierender Umgestaltung, damit im Großen Garten das „deutsche Wesen“ zu erkennen sei und sich die Nazis dort inszenieren können.
Beim alliierten Bombenangriff am 18. Oktober 1943 werden Schloss und Parkanlage in eine Bombenkraterlandschaft verwandelt. Den Großen Garten hübscht die Stadt wieder im ursprünglichen Sinne und auf unverändertem Grundriss auf. Gibt es dort noch irgendetwas, das die wechselvollen 350 Jahre überlebt hat? „Vielleicht ein Baum, aber wir wissen es nicht“, sagt die Pressesprecherin. Älteste Überlebende seien wohl Grotte und Kaskade, die bis 1680 entstanden, also fast im Geburtstagsalter sind.
Kaum thematisiert wird zu den Geburtstagsfeierlichkeiten, dass der Große Garten weniger den Geist des Barock, sondern den von Gottfried Wilhelm Leibniz’ Philosophie spiegeln soll. Der Praktiker unter den universalgelehrten Denkern lebte von 1676 bis zu seinem Tod als Bibliothekar und Hofrat in Hannover, mit seiner Diskutierpartnerin Sophie von der Pfalz war er häufiger Bummelant und einflussreicher Mitgestalter im Großen Garten.

Der wurde aufgrund einer augenscheinlich strengen Form gern idealisiert als Spiegelbild unveränderbarer göttlicher Harmonie gelesen. Aber Fachleute haben nachgemessen und neu gedacht. Fakt ist, die rechtwinkelige Ordnung der Anlage gibt es gar nicht, die Kanten weisen immer etwas weniger als 90 Grad auf. Eine Differenz zur Gleichmäßigkeit, die in Leibniz’ Sinne wohl auf Natürlichkeit, Lebendigkeit verweist. Auch die vielfältige Botanik soll trotz der in Stickereimuster gezwungenen Pflanzungen nicht Fesslung und Normierung, also rationalistische Beherrschung der Natur, sondern in ihren Abweichungen gerade „die Freiheit des Individuellen“ repräsentieren.
Zum Geburtstag zeigt eine Ausstellung in der Orangerie, wie der Garten gepflegt wird. 59 Angestellte kümmern sich um die Gartenkultur mit Hacke, Schaufel und am Computer. Jeden Frühling und Herbst werden mehr als 60.000 Pflanzen in die Schmuckbeete gesetzt und nach einem halben Jahr wieder herausgerissen. Nur mehrjährige Pflanzen wie Dahlien oder Palmen überwintern in Gewächshäusern. Derzeit ist auch die Zitrusbäume-Sammlung auf dem Orangenplatz zu sehen. Das Schlossmuseum zeigt die Angeberkarossen der Welfenhochmut aus dem Königreich Hannover (1814–1866). Und am 23. August öffnet der Große Garten zum großen Geburtstagsfest für die ganze Familie.
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