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Ein Film als KunstwerkDie Ikone der Coolness

Für die einen ist der Film „Letztes Jahr in Marienbad“ ein Meisterwerk, für die anderen Langeweile pur. Was denn nun? Dem geht die Kunsthalle in Bremen nach.

Latente Verfremdung: Schauspieler wie Statuen in symmetrischer Akkuratesse. Foto: Georges Pierre, Laurence Pierre-de Geyer/Österreichisches Filmmuseum, Wien

Bremen taz | Die Augen sind müde aufgerissen und fixieren mehr die Grauzonen im Inneren denn die Außenwelt. Die Gesichter sind gekrönt von streng frisiertem Haar. Dazu ranke Körper. Separat werden die Figuren in prachtvollen Gärten, Sälen und Fluren arrangiert. Streng reguliert ist die Geometrie der Gesten. Alles wirkt abschreckend verheißungsvoll: selbstverständlicher Reichtum, lässig genossene Macht, seelenlose Schönheit, schmerzfreier Narzissmus. Das ist keine Edelmarkenwerbung, das ist Filmgeschichte.

In einem Grand Hotel alter Schule ließ Alain Resnais 1961 sein Filmpersonal durch Sein und Zeit irren: „Das letzte Jahr in Marienbad“ heißt das Oscar-nominierte Werk. Der Film trägt einen intensiven Dialog mit der Kunstgeschichte in sich und kann einen ebensolchen beim Zuschauer auslösen. Als Ikone der Coolness hat der Film auch zeitgenössische Künstler zum Arbeiten animiert. Das alles will die Ausstellung der Kunsthalle Bremen zeigen.

Brachial kantige Sachlichkeit

Gerade hat sich die Kunsthalle ein zukunftsfrisches Corporate Design auf den historischen Leib schneidern lassen. Am Puls der Zeit zwischen Tradition und Moderne vermitteln, anhand populärer Medien Kunstspuren von einst bis heute verfolgen und multimedial der Vergreisung des Publikums entgegenwirken, das sind so Marketing-Stichworte dazu.

Dem Schriftzug wurden jedenfalls alle Serifen wegradiert, das Logo ist aus seinem schwarzen Geviert befreit worden. Der Eigenname wird nun in brachial kantiger Sachlichkeit behauptet: In Großbuchstaben steht da „Kunst“, kleiner und beziehungslos darunter notiert ist „Halle“ und „Bremen“ bildet winzig die Basis des grafischen Schriftbildes. Was das inhaltlich bedeutet, soll die aktuelle Schau zeigen.

Kunsthallen-Chef Christoph Grunenberg hat die Ausstellung „Letztes Jahr in Marienbad. Ein Film als Kunstwerk“ kuratiert und nimmt damit einen Klassiker als Ausgangspunkt, den Multiplex-Besucher und Kinofilm-Streamer gar nicht mehr kennen. Kritiker adelten das dank Drehbuchautor Alan Robbe-Grillet vom Geiste des Nouveau Romans durchdrungene „Meisterwerk“ sofort nach seiner Premiere 1961 – andere wählten es als „hoffnungslos verkopftes Kunstprodukt“ unter die zehn langweiligsten Filme der Kinogeschichte. Es stimmt ja: Jede Einstellung wird wie ein Fotokunstwerk abgefeiert, jede Kamerafahrt schier endlos zelebriert.

Resnais montierte Szenen, die keine Handlung ergeben und verzierte mit Dialogen, die keinen Sinn ergeben. Haben sich die beiden namenlosen Hauptfiguren letztes Jahr in Marienbad kennengelernt, fand eine leidenschaftliche Affäre, Vergewaltigung oder gar nichts statt? Was der Mann behauptet, verneint die Frau, lässt gestisch aber immer wieder den Hauch einer alten Sehnsucht aufschimmern und bald sind erinnerte und imaginierte Vergangenheit und Gegenwart nicht mehr auseinanderzuhalten.

Der Film lebt von der Schönheit der Oberflächen des Dekors und der Mimen. Wie ein Ingenieur bringe Resnais beides zusammen, sagt Kunsthallen-Chef Grunenberg. Beispielsweise, wenn Schauspieler wie Statuen in der symmetrischen Akkuratesse eines Barockgartens stehen, lange Schatten werfen – während Buchsbäumchenkegel schattenlose, abstrakte Zeichen sind. Solch latente Verfremdungen sollen für eine surreale Atmosphäre sorgen und die leerlaufende Perfektion der Inszenierung mit Bedeutung aufladen. Exakt so funktioniert ja auch Werbung für all das, was superteuer ist und den verlockenden Ruf des Überflüssigen hat: Luxus ist cool.

Ein ganzer Ausstellungsraum wird diesem Phänomen gewidmet. Man sieht wie die Band Blur den „Marienbad“-Ästhetizismus für ihr Musikvideo „To the end“ kopieren. Und man staunt über Fotostrecken aus Lifestyle-Magazinen, die genau dasselbe tun. Erschreckend pompös gibt sich eine Modenschau von Karl „Cool“ Lagerfeld: Er ließ die Gartenszene im Pariser Grand Palais nachbauen und von seinen Kreationen umflattern, die auf die Filmkostüme Coco Chanels verweisen.

Alain Resnais betonte einst, von der Renaissancemalerei eines Piero della Francesca inspiriert worden zu sein, dessen Werke leider in Bremen nicht zu sehen sind. Laut Grunenberg schätzte der Regisseur auch die belgischen Surrealisten, René Magrittes silhouettenhafte Melonenmänner und vor allem die weiblichen Aktfiguren des Paul Delvaux, die durch perspektivisch verschrobene Tempellandschaften traumwandeln. Beides ist in der Kunsthalle zu sehen – kontrastiert von Giacomettis Platzskulptur „La forêt“ (1950): sechs voneinander isolierte Metallfiguren, eine cooler als die andere.

Resnais‘ Film wird zwei Säle lang mit Videoschnipseln, Plakaten, Fotos und vergilbten Rezensionen vorgestellt. Auch das mit Regienotizen veredelte Drehbuch ist zu sehen sowie ein Diagramm, mit dem das Script-Girl versuchte, Ordnung in die verschachtelte Erzählweise zu bringen. Beeindruckend, wie zu den filmtheoretischen Auseinandersetzungen prominente Beispiele zeitgenössischen Künstlerns assoziiert werden.

Film sei ein Spiel mit der Zeit, wie Grunenberg Resnais gern zitiert – und entsprechend verspielte Videoinstallationen in der Kunsthalle aufbauen ließ. Cindy Shermans Film-Stills dürfen nicht fehlen. Und Resnais‘ leidenschaftslose Art, Ornamentprunk ins Bild zu holen, entdeckt Grunenberg bei Jeff Koons. „Sinn der Formen“ betitelt er den Themenkomplex und zeigt das kitschgold glänzende Vexierbild einer Muschel im Rokokokleid, das all denjenigen, die ein paar Meter Abstand halten, auch den Werktitel in Umrissen zeigt: „Christ and the lamb“ – entstand 1988 für die „Banality“-Serie.

Es gibt auch direkte Auseinandersetzungen mit Resnais‘ Werk. Marie Harnett zeichnet Filmszenen en miniature mit Bleistift nach. Der Künstler Pavel Büchler zeigt pausenlos ein Standbild aus „Marienbad“, um das Bild in die Mattscheibe einzubrennen – so reflektiert er, laut Ausstellungsführer, über die Dauerhaftigkeit von Zeit. Bevor die nun wieder Langeweile evoziert, fährt Kota Ezawa schnell seinen Computer hoch und übersetzt Szenen wie die anfangs beschriebene in seinen reduzierten Comicstil – was die Figuren noch cooler wirken lässt. Eine wirklich konsequent durchdachte Schau zur Imagewandel-Premiere der Kunsthalle.

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