Flüchtlinge in Bremen: Kultur als Kontaktpunkt

Wie viel Kultur steckt in der Willkommenskultur für Flüchtlinge? Die taz fragt bei einschlägigen Bremer Institutionen nach ihrem Engagement für Integration.

„Die Schutzbefohlenen“ am Bremer Goetheplatz: Aus Pappfiguren sind längst echte Menschen geworden. Foto: Jörg Landsberg

BREMEN taz | Das klassische Konzept der Bedürfnis-Pyramide weist der Kultur ein eher nachrangigen Platz in der Hierarchie des Überlebensnotwendigen zu. Aber ist es nicht gerade für Menschen, die in Turnhallen leben, der Zugang zum städtischen Leben samt seiner kulturellen Institutionen immens wichtig – zumal im Herbst und Winter? Die taz hat einschlägige Institutionen gefragt, welche spezifischen Angebote sie auf die Beine stellen.

Viele Stadtteil-Einrichtungen sind über runde Tische in die Flüchtlings-Integration eingebunden. Wie aber steht es mit den großen Kultur-Tankern? Am Goetheplatz hat das Engagement verschiedene Ebenen. Stücke wie „Die Schutzbefohlenen“ oder „Verbrennungen“ positionieren sich inhaltlich, die Reihe „Weltbilder“ thematisiert die Bandbreite der Herkunftsländer. Sind das Angebote, die auch von Flüchtlingen selbst besucht werden?

„Das sollte selbstverständlich sein“

„Wir haben viele Kontakte in die Unterkünfte“, sagt Schauspiel-Dramaturgin Simone Sterr. Mitglieder des Theater-Freundeskreises kaufen Karten und holen Flüchtlinge zu Vorstellungen ab. Das Haus ist selbst ein internationaler Betrieb: Nicht nur der syrische Mitarbeiter aus der Maske, auch viele andere übernehmen persönliche Patenschaften. Übermorgen gibt es im Theater ein Frauencafé, gedacht als Schutzraum. „Das alles sollte selbstverständlich sein“, betont Sterr, „wir wollen damit nicht werben.“

Ohne aufsuchende Kulturarbeit läuft die Hilfsbereitschaft ins Leere

Kostenlose Führungen sind für die Kunsthalle Teil ihrer Aktivitäten, „um Flüchtlingen im Stillstand, in der Traumatisierung und im Gefühl der Fremdheit zu begegnen“. Man wolle, sagt Direktor Christoph Grunenberg, „positive Erfahrungsräume bieten, in denen sich Flüchtlinge und Bremer näherkommen“. Konkret geschieht das seit September beispielsweise durch ein mit Lidice-Haus und Wagenfeld-Schule entwickeltes Projekt, bei dem eine meterhohe Freilichtskulptur entsteht. Schon seit dem vergangenen Jahr organisiert die Kunsthalle zusammen mit der AWO wöchentliche Mal-Workshops mit Flüchtlingen.

„Keine Kapazitäten“

„Bei uns gab es noch keine konkreten Anfragen“, sagt hingegen Claudia Rosen von den Kunstsammlungen in der Böttcherstraße. Daher habe man auch keine Führungen oder ähnliches für Flüchtlinge erarbeitet. Käme nicht auch ein proaktives Vorgehen in Frage? „Dazu fehlen uns leider die Kapazitäten“, sagt Rosen. In der Tat ist die frühe vorhandene Stelle einer Museumspädagogin im kleinen Team nicht mehr besetzt.

Die Kultureinrichtungen in Bremen-Nord bieten Praktika für Flüchtlinge und oftmals kostenlose Eintritte. „Wir erleben allerdings“, sagt Malte Priesser vom Kulturbüro, „dass die Flüchtlinge ungern etwas umsonst in Anspruch nehmen, sondern sich ihren Möglichkeiten entsprechend beteiligen möchten“. Er sei „positiv überrascht“, dass die Präsenz von Flüchtlingen im Bremen-Norder Kulturleben „relativ groß“ sei.

Geradezu prädestiniert für spezifische Angebote ist das Deutsche Auswandererhaus in Bremerhaven. Seit Anfang 2015 führt es mit Syrern und Afghanen ein Oral-History-Projekt durch. Von anderen Häusern unterscheidet sich die Einrichtung auch dadurch, dass einige ihrer Führer Arabisch und Türkisch sprechen. Das sehr persönliche Engagement der Museums-MitarbeiterInnen zeigte sich auch bei einer hausinternen Kleiderspendenaktion.

Tanzwerk: Alle Kurse kostenlos

Problematisch ist oft die Diskrepanz zwischen Hilfsbereitschaft und Schwellenangst, beziehungsweise physischer Entfernung. Die Shakespeare Company wirbt deshalb unmittelbar in Unterkünften für einen „Crashkurs“. Konsequent agiert auch das im Lagerhaus ansässige Tanzwerk: Seit April sind sämtliche Kurse für Flüchtlinge kostenlos, 20 nutzen das bereits. Die Weserburg hat alle Träger von Bremer Flüchtlingsunterkünften angeschrieben, um die dort lebenden Kinder zu Kreativ-Nachmittagen einzuladen.

Logistische Unterstützung wollen die Bremer Philharmoniker für das Syrische Exil-Orchester leisten. Musikpädagogische Aktivitäten für Flüchtlinge gebe es derzeit jedoch nicht, sagt Sprecherin Barbara Klein.

„Geht vor Ort noch nicht“

Mit der „Musikwerkstatt on tour“ verfügen die Philharmoniker über ein mobiles Format, um Kinder Instrumente ausprobieren zu lassen – warum nicht auch in Unterkünften? „Wir stehen in den Startlöchern“, sagt Klein, zum Beispiel für das Blumenthaler Containerdorf. Derzeit würden dessen Träger jedoch signalisieren, dass ein Einsatz der Orchesterpädagogen vor Ort noch nicht organisiert werden könne. Klein: „Die müssen dafür erstmal den Kopf frei kriegen.“

In Bremerhaven hingegen finden am Theater bereits Instrumentenbau-Workshops statt. Einige Musiker gestalten „Willkommenskurse“, die Musiktheater-Sparte hat ihr Konzert-Format „Abenteuer Klassik“ speziell für Flüchtlinge „geöffnet“. Zu den Konzerten seien zwar nur wenige gekommen, sagt Tanja Spinger vom Stadttheater, die insbesondere mit dem Jungen Theater Bremerhaven (JUB!) in den vergangene Monaten ebenfalls zahlreiche Aktivitäten auf die Beine gestellt hat – „aber die, die da waren, waren mehr als begeistert“.

Was machen die Privaten? Bei Theaterschiff, Packhaus-Theater oder dem Theater im Kulturcentrum Alte Molkerei in Worpswede gibt es keinerlei Reaktionen oder Angebote für Flüchtlinge. „Das macht auch wenig Sinn bei unserem Programm“, sagt deren Sprecher Eggert Peters nüchtern. Bei Nachfragen würde man jedoch „nicht ablehnend“ reagieren.

Podimsdiskussion zum Thema: „Was braucht es, um anzukommen?“ Samstag, 18 Uhr, Schwankhalle. Anschließend zeigt steptext die Produktion „THE DESERT“

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