Ein Abend mit Börsenmakler Dirk Müller: Aufwärts immer, abwärts nimmer!
Aktien kaufen ist gar nicht so schwer: Mit dieser Botschaft geht Bestseller-Autor Müller auf Tour. Ein Auftritt, bei dem der Autor aufs Ganze geht.
Kategorien, Zyklen gehen niemals ganz auf. Was läge also näher, als mitten in der ersten Enteignungsdebatte seit Maos Tod zum ersten Live-Programm des Börsenhändlers Dirk Müller zu gehen, „bekannt als ‚Mr. Dax‘“? Mithin, im verflüssigten Chaos der Gegenwart den Glauben an die Ordnung nicht an den in seinem abstrakten Wert tauschbaren Nagel zu hängen?
Denn Ordnung braucht es, speziell im Umgang mit Journalisten. Wer eine Pressekarte haben möchte, muss vorher um Akkreditierung bitten. „Planen Sie einen redaktionelle Bericht im Vorfeld oder etwas im Nachgang?“, fragt daraufhin per Mail die zuständige Mitarbeiterin der Eventagentur, welche nicht nur Dirk Müller betreut, sondern auch ein Potpourri aus Udo Jürgens, Helene Fischer, Cher, der Kelly Family usf.
Ebenso höflich, wie man mir schrieb, antworte ich: Subjekt, Prädikat, Objekt, Einleitung, Hauptteil, Schluss, wie sich das hierzulande gehört. Meinem Ziel, so hoffe ich, nun endlich nahe – den Mann zu sehen, der auch mich „vom Sparer zum Aktionär“ machen wird. Dann das Erstaunen: „Hallo Herr Schulz, welche Tonalität soll der Beitrag haben? Herzliche Grüße“.
Unabgängige Berichterstattung am Start
Eine vage Urangst regt sich. Soll hier etwa, so fragt eine Stimme in mir, was ich selber kaum auch nur als zu glauben Mögliches für denkbar erachte; – soll hier etwa unabhängige Berichterstattung erschwert werden, wenn sie bestimmten Vorstellungen nicht entspricht? Nimmt ein bedeutender Player des Kulturbetriebs im Ton der schnöden Selbstverständlichkeit Einfluss auf die Presse? Das wäre ja kaum zu fassen.
Und wie behalte ich unter diesen gedankenraubenden Umständen überhaupt noch die Märkte im Blick? Verschiedenste Antworten auf die Mail im Posteingang zieht mein arbeitendes Hirn in Betracht: „fis-Moll“ etwa, oder „Was geht Sie das an?“ Aber warum so zynisch? So gehässig? Höflich schrieb man mir abermals, höflich werde ich selber schreiben.
Liebe Frau XYZ, ich bin persönlich ein Fan von Herrn Müller und seiner Art, Börse und Wirtschaft ohne viel Schnörkel und Blabla packend zu schildern – und so eben auch für jedermann verständlich zu machen. Leider bin ich noch nicht dazu gekommen, das einmal aufzuschreiben, was ich anlässlich seines Auftritts gerne nachholen würde.
Ich darf sogar eine Begleitung mitnehmen.
Der große Tag ist da und die Kleinsparer auch. Es sind Gesichter, die einem im Alltag nicht auffallen, sondern erst an der Ostsee oder im Baumarkt, weil es dort auf einmal nur noch sie gibt. Alle Altersgruppen sind vertreten: Rentner, die aussehen, als würden sie gleich anhand ein paar alter Zeitungsausschnitte in ihrer Tasche die Weltformel vorstellen; junge Männer in der Bankausbildung, die die Heimatstadt nach dem Abitur halt einfach nicht verlassen haben; mittelalte Männer, denen das Leben die Jahre verzehrt.
Geld ausgeben, um Geld zu verdienen
Ungewöhnlich viele aus der letzten Gruppe sehen Dirk Müller ungewöhnlich ähnlich, vor allem mit seinem grauen Bart, der den Mund wie ein Ring Fleischwurst die Leere umspannt. Maßvoll genossenes Bier (eins vor der Show, eins in der Pause) eint alle drei Gruppen in ihrem Stehen an den Garderoben. Einzelne Frauen umgeben manche von ihnen. Gut 50 Euro haben sie für ein Ticket bezahlt, aber wie sagt man so schön: Man muss Geld ausgeben, um Geld zu verdienen.
Auf den Sitzen in der etwa halbvollen, 2.000 Plätze umfassenden „Jahrhunderthalle“ liegt die Kompensation schon parat. „50 Euro für Ihren Einstieg an die Börse“ bewerben dort ausliegende Zettel grammatikalisch abenteuerlich und garantieren „100 % Rabatt auf Ihre Fondskäufe“ – natürlich nur, wenn man auf fd.de/dirk-mueller geht. So viele Zahlen, mein Kopf ist ganz heiß.
Wie Dirk Müller, der am Anfang gar nicht so fischmarkthändlerhaft selbstbewusst aufspielt, wie man das von einem medienversierten Börsenhändler erwarten würde. „Echte Gänsehaut“ verspüre er beim Auftritt in Frankfurt, das für ihn beruflich so wichtig gewesen sei. „Helft mir ein bisschen, dass es eine schöne Erinnerung sein wird“, appelliert er beinahe zart.
Dann wird er kämpferischer, ruft: „We’re not gonna take it“, nachdem Ausschnitte aus dem Film „Wall Street“ und der gleichnamige Song der „Twisted Sisters“ eingespielt wurden. „Wir lassen uns nicht mehr von Verkäufern und Marketingabteilungen was aufschwatzen! Wir lassen uns das nicht gefallen!“ Ende der Achtziger sei der Film gelaufen, hach, damals, „schnelle Frauen, hübsche Autos“, die erste von insgesamt vier Pointen in dreieinhalb, mit zunehmender Ermüdung immer gehirnwäscheartigeren Stunden.
Seltsame Obsession mit Prostituierten
Die Pointen hat Dirk Müller auch gar nicht nötig, das meiste macht er über den Wechsel zwischen Dieter-Nuhr-haft raunender Erzählung und pfälzelnden Dialektimitationen, die ostentative Wiederholung der Worte „Geheimnis“, „gesunder Menschenverstand“, „Börrrrse“ und „Ehefrau“ sowie die schiere Macht des Faktischen.
Überhaupt, Frauen existieren in seinem Text nur als Referiertes. Müller redet zu Männern. Eine seltsame Obsession mit Prostituierten durchzieht dann auch die anderen Pointen: „Mama, ich geh strippen“, würde er heute sagen, wäre er noch bei der Deutschen Bank. Beim Rentenhandel gehe es nicht um „gebrauchte 70-Jährige“. Und „die Politiker“ könnten nach der drohenden Abschaffung des Bargeldes nicht mehr so leicht verbergen, dass sie „in den Puff“ gingen.
Dem entgegen stehen die „Träume“, die vor allem die „Jüngeren“ verwirklichen sollten. „Wenn du für etwas brennst, an deine Ziele glaubst, dann passieren die verrücktesten Dinge.“ Zehn Minuten später bittet er seinen Kindheitsfreund auf die Bühne, der im Publikum sitzt und auch Börsenhändler geworden ist, mit Müller sogar zusammenarbeitet.
Und überreicht ihm, authentisch gerührt, die Flasche Rotwein, die er mit seinem ersten großen Geld gekauft habe. Damals. „Eine andere Zeit“. Und der „Spaß, den wir hatten“! Niemand habe auf „das Kleingedruckte“ geachtet, man habe gebrüllt und Verkäufe über Zuruf und „Ethik“ geregelt. „Von Menschen – für Menschen“. Heute hingegen handelten nur noch Computer miteinander, die sich gegenseitig „betrügen“.
Börse ist kein Hexenwerk
Die „Börrrrrse“ sei also ein gefährlicher Ort und wer anlege, könne alles verlieren, warnt Müller immer wieder. „Ich werd einen Teufel tun, euch in Aktien reinzuquatschen.“ Aber trotzdem könne man „ruhig mal ein Spielchen wagen“.
Damit werde man quasi der Chef der Unternehmer, welche für einen „die Drecksarbeit“ leisteten; und jeder Börsencrash sei ja auch eine Chance. Man könne nichts voraussehen und kämpfe gegen übermächtige Gegner, „Konteradmiräle“ (die Kriegsmetaphern mag er: „Kameraden“, „Operation“).
Aber mit ein paar einfachen Regeln („kein Hexenwerk“) stehe man auf der sicheren Seite, der Rest sei Selbstdisziplin und Psychologie. Man solle vorsichtig umgehen mit Angeboten, die einem unter die Nase gerieben würden, niemandem trauen, sich seine eigene Meinung bilden. Aber so und so sehe jetzt zum Beispiel Dirk Müller die „Börrrrrse“.
An der gebe es zwei prinzipielle Verfahren, das der langfristigen Investoren und das der „Zocker“: der Überlegten und der „Glücksritter“; der „Fußballtrainer“ und der „Pokerspieler“; der geradlinigen „Wanderer“ und der um ihn herum streunenden „Hunde“. „Schaffendes“ und „raffendes Kapitel“ hätte man ganz früher wohl gesagt.
Ein unvergesslicher Abend
Zum Schluss wird es apokalyptisch. Totalitäre Bedrohungsszenarien erscheinen, die Müller so ähnlich schon in seinen Büchern und auch im Neonazi-Magazin Compactdargelegt hat, weswegen der Klärungsbedarf in Sachen Tonalität gar nicht mehr so stark überrascht.
Datensammlung, globale Monopole, das Ende des Bargelds, die ganz großen Dinger. Der „eisige Wind“ der amerikanischen Regierung mache es Unternehmen aller anderen Länder schwer. Aber gerade deshalb und weil der Untergang gewissermaßen unausweichlich sei, müsse man in damit Geld verdienende Unternehmen wie Apple oder MasterCard investieren. Das ist dann doch eine Spur zu negativ-dialektisch.
Die Auflösung gewitzt: Zusammen mit der Automatisierung könne ein bedingungsloses Grundeinkommen einem bedeutenden Teil der Menschheit die Arbeit ersparen und ihn zu einem wirklich sinnvollen Leben in Freiheit ermutigen. Und eben: genug Altersvorsorge betrieben zu haben. Dafür genüge es schon, sich einen Kaffee am Tag zu sparen.
Vor allem sei die „Börrrrrse“ nicht alles, es gebe auch das Leben, das „Sparbuch der Erinnerung“. Schon Walter Benjamin hat erkannt, dass der „Ausnahmezustand“ in der Geschichte vielmehr die Regel als die Ausnahme bildet. Ich werde diesen Abend nie vergessen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands