Ehrenpreis für Lebenswerk: Der Regisseur der Frauen
In Rudolf Thomes Filmen wurde immer Liebe gemacht, und es gab Spaghetti und Rotwein. Ein Besuch auf dem Brandenburger Hof des Regisseurs.
„Ich wurde in Rudolf Thomes Filmfamilie aufgenommen und erst nach fünfzehn Autorenfilmen wieder ausgespuckt“, schreibt die Schauspielerin in ihrem letztes Jahr erschienenen Roman „Die jüdische Souffleuse“. Sie erinnert sich: „Mein Ex spielte mit, mein aktueller Geliebter, mein Hund, mein Auto und meine Wohnung, und immer und immer wieder wurde nackt in den Seen gebadet, Feuer gemacht und ausgiebig gefrühstückt oder Rotwein getrunken. Schaue ich mir jetzt die Filme an, bringe ich sie durcheinander. So viele sich ähnelnde Frühstücke und Badesituationen und ich immer nackt.“
Man kann den Inhalt von Thomes insgesamt 28 Filmen wohl nicht präziser zusammenfassen. Man muss höchstens hinzufügen, dass es in allen Filmen immer um Liebe geht, wie sie entsteht, wie sie wieder geht und was sie mit den Menschen anstellt, wenn sie bleibt. Kurz: um Beziehungen und Beziehungsprobleme.
Im Rahmen der Berlinale wurde Rudolf Thome nun von der Stiftung deutsche Filmkritik für sein Gesamtwerk geehrt, weil er „beispielhaft kompromisslos“ seinen Weg gegangen sei. Einer der Laudatoren, der Schauspieler Hanns Zischler, nannte Thomes Werk ein „Glaubensbekenntnis an die Fragilität der Liebe“ und zitierte Goethe, der im Alter von 80 Jahren geschrieben habe: „Liebe belebt“. Den Preis entgegennehmend bedankte sich Rudolf Thome mit den Worten: „Ich werde selber bald 80. Das mit der Liebe kann ich bestätigen.“
Das mit der Liebe
Thome wurde von Filmkritikern wegen seiner dominanten Frauenfiguren als Feminist und Regisseur der Frauen bezeichnet. Tatsächlich hat er mit vielen seiner Schauspielerinnen nicht nur einen, sondern etliche Filme gedreht. Darunter waren Iris Berben, Sabine Bach, Hannah Herzsprung, Hannelore Elsner, Cora Frost und Uschi Obermaier. Letztere, die 68er-Ikone und Kommune-1-Bewohnerin Uschi Obermaier stand in den ersten beiden Thome-Filmen „Detektive“ (1968) und „Rote Sonne“ (1970) überhaupt zum ersten Mal vor der Kamera.
„Rote Sonne“ ist Thomes bis heute bekanntester Film, ein Kultfilm über eine Frauen-WG, die ein Abkommen hat: Jeder Mann, der länger als fünf Tage bleibt, muss erschossen werden. Noch 2005 wurde ein neuer Techno-Club in München nach dem Film benannt und heißt bis heute so.
Rudolf Thome
Schon 1980 war Thome nach Meinung der berühmtesten Filmzeitschrift der Welt, der Cahiers du cinéma, der „wichtigste unbekannte deutsche Regisseur“. In den späten 1960er Jahren gehörte er mit seinem Kollegen Klaus Lemke zu den Gründern der „Münchner Gruppe“. Mit ihren Kurzfilmen wollten sie etwas anderes machen als der damals geläufigen Forderung nach einem gesellschaftlich relevanten Film. Auf Problemfilme hatte er keine Lust. „Wir wollten ein Kino, das so aussah wie die Filme von Howard Hawks und Jean Luc Godard. Ein Kino, das Spaß macht. Ein Kino, das einfach war und radikal.“ In Frankreich war Thome immer bekannter und seine Filme erfolgreicher als in Deutschland. Thome meint, das liege daran, dass die Deutschen Ironie nicht verstünden.
Auch mir war der Regisseur völlig unbekannt – was ich Adriana Altaras am Rande einer Lesung aus ihrem Buch gestand: Den Namen Rudolf Thome hatte ich googeln müssen. Sie schlug mir sofort vor, ihn gemeinsam zu besuchen, sie habe ihn auch schon lange nicht mehr gesehen. Bevor wir losfahren, schickt sie ihm noch eine Mail: „Rudolf. Wir kommen. Fahren gegen zehn Uhr in Kreuzberg los. Was gebe ich ins Navi ein?“ Seine Antwort: „Niendorf 2, 15936 Ihlow“.
Butter, Spaghetti, Käse
Mit dem Auto dauert die Fahrt von Berlin zwei Stunden. Von der Autobahn runter geht es über endlose gerade Landstraßen, von Bäumen gesäumt, von Feldern umrahmt. Viel Gegend, sonst wenig. Dann kommt das Dorf. Thomes Haus ist ein riesiges Bauernhaus direkt vor dem Dorfteich, ein riesiges Grundstück mit Dutzenden Bäumen und Scheunen, das er 1990 gekauft hat.
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Thome wuchs im Ländlichen auf, im mittelhessischen Wallau an der Lahn. Sein Leben hat er vor allem in München-Schwabing und Berlin-Kreuzberg verbracht. Mittlerweile aber lebt er fast das ganze Jahr auf seinem Brandenburger Bauernhof. Er schreibt an seiner Autobiografie, fährt im Jahr an die 2.000 Kilometer Fahrrad und kümmert sich um seinen Garten. In seine Fußstapfen trat selbstverständlich die einzige Frau unter seinen vier Kindern: Joya Thome produzierte letztes Jahr ihr Debüt, den bezaubernden Film „Die Königin von Niendorf“ über eine Clique von Kindern, gedreht auf dem Bauernhof des Vaters.
Adriana Altaras hat einen Korb Lebensmittel mitgebracht, macht Spaghetti mit Butter und Käse. Thome holt zwei Flaschen Rotwein. „Das gab es früher immer in allen Filmen von Rudolf. Spaghetti und Rotwein“, erzählt die Schauspielerin am Küchentisch. Sie gehen gemeinsame Bekannte durch. Der eine hat sich beschwert, weil er in Thomes Blog vorkam, der andere, Doktor Beck aus Kreuzberg, der mal in einem Film Thomes gegen Adriana Altaras im Karate verliert, hat dem Regisseur kürzlich die Fäden nach seiner Stimmband-OP gezogen.
Es heißt, Thome habe am Set immer improvisiert und wenig Anweisungen gegeben. „So ein Quatsch“, empört sich Thome „Wenn sie im Bett lagen, hab ich Action gesagt.“ „Und Altaras ergänzt: „Wir lagen immer im Bett. Im Wasser oder beim Frühstück. So wie wir damals gedreht haben, würde das heute eine MeToo-Debatte auslösen.“ Wieso das? „Man wusste morgens nicht, was man nachmittags drehte. Und oft waren es eben Sexszenen, wo alle im Raum waren und zuguckten.“
Lustig bis slapstickhaft
Sie reden eine Weile über ihren gemeinsamen Guru, eine MA, in deren Aschram in L.A. sie oft waren. Thome bringt eine kleine Blechdose, auf der das Foto einer Frau aufgeklebt ist. Es ist MA. „Da drinnen ist ihre heilige Asche“, verrät Thome. „Never dare to judge“ kreischt Adriana Altaras plötzlich irre laut und hoch. Thome ist hin und weg: „Ja. Genau so hat MA immer geredet.“
Thome spricht immer wieder über seine letzte, gerade in die Brüche gegangene Beziehung. Und dann geht es ihm noch um eine andere Frau, eine Jahrzehnte alte Bekanntschaft, die sich gerade wieder bei ihm gemeldet hat. Irritierend, wie er einfach loslegt, obwohl eine Journalistin zwecks Porträt mit am Tisch sitzt. Keine Scham. Doch das Befremden weicht schnell. Er ist kein alter Mann, der sabbernd über Frauen redet. Thome redet über seine Gefühle zu den Frauen, wie kompliziert und wie schön alles ist. Und man hört ihm dabei ganz gern zu. Warum sollte das auch langweiliger sein als über die Lage des deutschen Autorenfilms zu sprechen?
Nicht alle sehen das so. Der Regisseur und seine Schauspielerin reden über Kollegen, die es nicht so lustig finden, im Moana-Blog aufzutauchen. Der Moana-Blog, benannt nach Thomes Produktionsfirma, ist sein offen zugängliches Internettagebuch, das er seit 2003 betreibt. „Ich kenne das Problem auch“, sagt Altaras. „Das Nichttrennen-Können von Arbeit und Alltag, der radikale Blick auf mich selbst, der die anderen mit einschließt. Aber nicht jeder kann mit dieser Form von Öffentlichkeit so gut umgehen.“
Obwohl es auch bei Thome immer wieder mal lange Einstellungen gibt, in denen eine blaue Schlafzimmergardine dabei gefilmt wird, wie sie vom Winde geweht wird, sind seine Filme sehr lustig, manchmal geradezu slapstickhaft. Gerade was die Männer betrifft, die bei Thome meistens ziemliche Trottel sind.
Das Problem mit dem Blick
Thome erklärt, dass seine Filme Dokumentarfilme über seine Schauspieler sind. Jene Schauspieler, von denen heute so viele so viel berühmter als er sind. Weil er nie das ganz große Geld bekam – er hat zwischen seinen Filmen auch mal als Kreditsachbearbeiter der Bausparkasse Neue Heimatstatt gearbeitet, um an Geld zu kommen –, ist die Ausstattung seiner Filme entsprechend spärlich. Dazu passt aber auch, dass eh nicht viel passiert und auch nicht allzu viel geredet wird.
In „Supergirl“ zum Beispiel sagt der Mann zur Frau auf einer WG-Party: „Kommen Sie, ich zeig Ihnen den Starnberger See bei Nacht.“ In der nächsten Szene stehen dann beide am See und er sagt: „Das war’s, was ich Ihnen zeigen wollte: den Starnberger See bei Nacht.“
Seine Filme sind aufgrund des begrenzten Budgets auch Zeitdokumente in Form von Wänden mit Holzpaneelen, Hinterhöfen, Lederjacken, Autos von gestern und den ersten Heimcomputern. Auch sein Brandenburger Bauernhof zeichnet sich durch Schlichtheit aus. Außer den in verschiedenen Farben angemalten Wänden der einzelnen Zimmer, ist das türkisfarbene Hawaiihemd mit Ananas und Palmen, das er auf dem Plakat zum Dokumentarfilm „Rudolf Thome – Überall Blumen“ trägt, das extravagantgeste, was es hier zu sehen gibt.
In Serpil Turhans Dokumentarfilm „Überall Blumen“ von 2016 sieht man Stapel verrostender Filmdosen und Kisten mit Requisiten in der Scheune von Thomes Bauernhof verstauben. „Braucht man alles nicht mehr“, hört man ihn sagen. Daraufhin holte das Deutsche Filmmuseum alle 35-mm-Filmkopien und andere Dinge ab. Das Filmplakat mit dem Hawaiihemd hängt inzwischen auch nicht mehr an der Wand, wo es noch im November hing, als wir Thome besuchten. Es hängt nun in der Küche einer neuen Frau in seinem Leben.
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