Ehrenamt in Zeiten von Corona: Hilfe? Nein, danke!
Viele Engagierte wollen älteren Menschen helfen. Doch die nehmen in der Coronakrise oft kaum Unterstützung an.
S iebzehneinhalb Hilfsbereite teilen sich derzeit einen älteren, Hilfe suchenden Menschen. Nicht nur bei der Corona Nachbarschaftshilfe Hamburg sind sie gesucht, die Älteren, die sich melden, wenn sie Unterstützung brauchen. Hamburg ist nicht die Ausnahme, es ist ein flächendeckender Befund, der Irritationen auslöst: Jeder will helfen, und die Alten gehen nicht hin.
Es ist großartig, dass sich in Krisenzeiten eine beachtliche Solidarität und Hilfskultur entwickelt hat für die vielen isolierten alten Menschen, die in der Pandemie nicht aus ihren Wohnungen dürfen. BürgerInnen sind zur Stelle, denn einkaufen, Sachen rauf- und Müll runtertragen, das kann jede und jeder und es ist auch ohne viel Zeitaufwand spontan zu erledigen. Die Nachbarschaftsnetzwerke haben großen Zulauf, aber eben: nur auf Seiten der HelferInnen. Die meisten, für die die Unterstützung gedacht ist, bleiben ihr fern. Woran liegt das?
Die heute über 80-jährigen, besonders die Frauen, gehören zur Nachkriegsgeneration, die dazu erzogen wurde, nicht schwach zu sein und unbedingt selbst zurecht zu kommen. Zähne zusammenbeißen, sich nichts anmerken lassen, auf sich selbst vertrauen, das galt ein Leben lang. Erst recht im Alter will diese Generation niemanden zur Last fallen. Um etwas zu bitten und ohne Gegenleistung einfach zu nehmen, sich als schwach und hilfsbedürftig „zu outen“, entspricht nicht der Prägung dieser Generation. Es ist weder gelernt noch gewollt.
Aber es ist nicht nur ein Habitus, wenn viele Ältere keine Hilfe annehmen wollen. Alt sein ist nicht gleichbedeutend mit hilfsbedürftig sein. Immer mehr Menschen arbeiten über das Rentenalter hinaus, engagieren sich in Vereinen und Schulen, stellen einen Großteil der Kulturkonsumenten. Sie unterstützen mit Zeit und Geld ihre Kinder und Enkel. Sie nutzen die Bildungsangebote von Volkshochschulen und Universitäten, sind in Parteien und sozialen Bewegungen aktiv oder gründen sogar nach dem Erwerbsleben eigene Unternehmen. Als 2015 viele Geflüchtete nach Deutschland kamen, waren die Älteren unersetzliche Helfer und Helferinnen. Jetzt zum passiven Empfänger der Hilfe erklärt zu werden, passt mit dem eigenen Selbstverständnis nicht zusammen. Auch jetzt definieren sich Ältere als aktiver Teil der Gesellschaft: Wer trotz Ansteckungsrisiko selbst auf die Straße geht, will teilhaben. Und wer in der Pandemie soziale Distanz einhält, will, dass es den Kindern und Enkeln gut geht. Zu Hilfesuchenden macht diese Vernunftentscheidung die Älteren aber nicht.
Die wichtigste Erkenntnis, um das Fernbleiben der Alten von den Hilfsangeboten zu verstehen, ist aber, dass es „die Alten“ gar nicht gibt. Zur Corona-Risikogruppe zählen „Menschen ab 50 oder 60“ – das umfasst bis zu drei Generationen. Mehr als jeder Vierte in Deutschland ist über 60 Jahre alt. Und die Menschen dieser großen Altersspanne sind so verschieden, wie sie es während ihres ganzen Lebens waren. Jede pauschale und stereotype Ansprache der Alten als homogene Gruppe steht allen Bemühungen der letzten Jahrzehnte, die Vielfalt des Alters zu betonen, antagonistisch gegenüber. Keine Hilfe anzunehmen, ist insofern auch ein Zeichen von Selbstbewusstsein der Generationen 60 plus, die mit Alter Stärke, Potenziale und Ressourcen – und eben auch Diversität – assoziieren.
Gleichwohl: Es gibt innerhalb der verschiedene Altersgenerationen auch Menschen, die Hilfe brauchen, gerade jetzt. Einsame, gebrechliche, kranke Menschen sind nicht per se alt, aber Vulnerabilität nimmt mit steigendem Alter zu. Social Distancing erfahren diese Menschen oft als krankmachende Isolation. Um die Vereinsamten machen sich dieser Tage viele Sorgen. „Wir nutzen alles, was technisch geht, aber was ist mit denen, die keinen Zugang zu Internet, keinen PC, kein Tablet, kein Smartphone besitzen, keine Tageszeitung lesen? Wir wissen, dass wir diesen Personenkreis nur schwer oder vielleicht auch gar nicht erreichen“, sagt etwa Andreas Hannig, Leiter des Referats Altenhilfe der Stadt Kassel.
Genau darin offenbart sich ein Problem, das nicht neu ist, sich aber in Zeiten von Kontaktsperren und häuslicher Isolation besonders deutlich zeigt: Viele Ältere sind digital abgehängt – und es sind oftmals genau die, die Hilfe bräuchten. Das gilt nicht nur für ihr mangelndes persönliches Vertrautsein mit der Technik, sondern oft auch für die Infrastruktur: Längst nicht alle Altenheime sind mit Wlan ausgestattet.
Was also ist zu tun? Das wissen die am besten, die schon vor Corona für die Versorgung und Teilhabe der Älteren zuständig waren: die kommunalen Schlüsselfiguren für Altenhilfe in der Verwaltung, den Einrichtungen und Verbänden. Sie wissen, wer Not leidet – und ob Einkaufshilfen im Zweifel ausreichen.
Fenster- und Balkongespräche
In Kassel werden jetzt neue, proaktive Kommunikationskanäle erprobt: Verwaltung und Stadtteilzentren rufen ihre Zielgruppen an und führen Fenster- und Balkongespräche. Die aufsuchende, präventive Betreuung älterer Mitbürger ist allerdings für viele Kommunen Neuland. Anders ist das in Dänemark, wo jeder Bewohner und jede Bewohnerin zum 75. Geburtstag ein briefliches Angebot der Stadt zum persönlichen Besuch erhält. Ziel sind verbindliche Verabredungen darüber, wie die Besuchten auch im Alter eigenständig leben und gesellschaftlich teilhaben können.
Information, Abstimmung und Kooperation sind angesichts der Hilfewelle in Corona-Zeiten die zentralen Aufgaben, damit Hilfe ankommt, keine Doppelstrukturen entstehen und die große gesellschaftliche Solidarität auch nach der Pandemie Früchte trägt. Was sich in der Krise an Neuem bewährt, kann auch nach der Pandemie Maßstäbe setzen für lokale Altersfreundlichkeit. Das gilt für innovative Hilfsangebote ebenso wie für die großen Potenziale an Hilfsbereitschaft und Kompetenz, die Ältere für gesellschaftliche Solidarität selbst einbringen.
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