: Ehre, Amt, Arbeit
Die Bürgergesellschaft lässt vorwiegend Bürgerinnen gratis sozial arbeiten. Männer amüsieren sich bei der Freiwilligen Feuerwehr – und machen auch da Karriere
In Deutschland tun es 12, nach anderen Berechnungen sogar 17 Millionen: freiwillige, ehrenamtliche Arbeit leisten. Sie organisieren Schulfeste, verwalten Kleiderkammern, trainieren Jugendliche in Sportvereinen oder erledigen Einkäufe für Senioren. Spätestens seit die öffentlichen Hände Löcher ins soziale Netz schneiden, also seit rund 25 Jahren, braucht man sie dringend. Ohne die Arbeit der Gratishelfer und vor allem -helferinnen würden ganze Bereiche des Sozialstaats kollabieren. Keine Sonntagsrede eines Politikers ohne ein paar Streicheleinheiten für die Ehrenämter. 22 Milliarden Mark sollen sie nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes allein 1998 erwirtschaftet haben. Aber der schlanke Staat will noch mehr. Eine „riesige, schlafende Ressource“ hat NRW-Ministerpräsident Clement ausgemacht, die es zu nutzen gelte.
Die zugehörige ideologische Sauce wird reichlich ausgeschüttet. War es zu Zeiten Norbert Blüms die katholische Soziallehre, die der Freiwilligenarbeit die höheren Weihen verlieh, so ist es heute der Gedanke der „Bürgergesellschaft“: Der Staat, in der Kostenfalle sitzend, kann allein die sozialen Aufgaben nicht mehr bewältigen. Freiwilligenarbeit ist angeblich ohnehin die menschlichere Alternative zur bürokratischen Kälte des Wohlfahrtsstaates. Und notwendiges Korrektiv in der sozialen Wüstenei, die der entfesselte Kapitalismus hinterlässt. Dank dem Konzept der „Eigenarbeit“ und „Bürgerarbeit“ macht es auch nichts, dass die bezahlte Erwerbsarbeit immer weniger wird. Nach kommunitaristischer Heilslehre ist die lebenslange Maloche in der Tretmühle des „Normalarbeitsverhältnisses“ sowieso uncool; Suppe an Obdachlose verteilen gibt dagegen dem Leben erst die richtige Würze. Aber falls der selbst- und lohnlose Dienst am Gemeinwohl nicht so recht in die Puschen kommt, soll sogar ein bisschen Geld dafür ausgeteilt werden. „Zum Beispiel soll die Ehrenamtliche, die überzählige Hotelessen an Obdachlose verteilt, damit Geld verdienen können – falls sie es braucht und will“, schreibt taz-Redakteur Hannes Koch.
Wie schön, dass sie es meist nicht braucht und – hoffentlich – auch nicht will. Denn die Suppeverteilerin ist fast immer die Frau eines gut verdienenden Familienernährers, die eine sinnvolle Aufgabe sucht, nachdem die Kinder aus dem Gröbsten heraus sind. Die freiwillige Gratisarbeit mit Alten, Kranken, Kindern oder sonstwie Hilfebedürftigen ist überwiegend Frauensache, „Bürgerarbeit“ fast immer „Bürgerinnenarbeit“, zumindest in den sozialen Diensten, in denen es um individuelle Fürsorge geht.
Ehrenamtlich tätige Männer üben freiwillige Funktionen fast immer während und neben ihrer beruflichen Arbeit aus. Weniger die Rentner und schon gar nicht die arbeitslosen Männer tummeln sich im Vereinsleben und Verbändewesen. Wenn Ihr Kollege morgens nicht an seinem Arbeitsplatz erscheint und Sie seine Arbeit mit erledigen sollen, muss er weder krank noch in Urlaub oder zur Kur sein. Er ist unterwegs in ehrenamtlicher Mission. Vielleicht ist er als „Sicherheitsbeauftragter“ zur Vertreterversammlung der gesetzlichenUnfallkasse in ein Tagungshotel gereist. Oder er hat zwecks Betreuung der örtlichen Fußballjugend Sonderurlaub fürs Trainingslager bekommen. Kann sein, er macht einen Lehrgang im Katastrophenschutz oder bei der Freiwilligen Feuerwehr. Auch dafür muss der Arbeitgeber ihn freistellen. Die Kosten werden aus den öffentlichen Kassen ersetzt.
Für Männer ist ein Ehrenamt die ideale Ergänzung zur beruflichen Arbeit. Im Sport-, Trachten- oder Karnevalsverein lassen sich Kontakte knüpfen. Als Gremienvertreter oder Katastrophenschützer kann man sich mehrmals im Jahr aus einem öden Bürojob in ein Tagungshotel oder Trainingslager abseilen. Das Ehrenamt, wie Männer es verstehen, ermöglicht billige oder kostenlose Reisen, Entlastung von Erwerbsarbeit unter fortlaufenden Bezügen, Spaß, Selbstbestätigung und Männerkumpanei in der Gruppe. Im Ehrenamt lernt man Dinge, die sich beruflich nutzen lassen, Teamarbeit oder zusätzliche technische Fertigkeiten. Ist der eigentliche Job unbefriedigend, kann man sich in Parteien, Gewerkschaften oder Verbänden eine ehrenamtliche Parallelkarriere aufbauen. Manchem Ehrenamtler gelingt es, sich derart in sein Pöstchen zu verbeißen, dass er am „eigentlichen“ Arbeitsplatz kaum noch auftaucht.
Der größte Teil dessen, was Männer an „Bürgerarbeit“ leisten, ist weniger am Gemeinwohl denn an den eigenen beruflichen und Freizeitinteressen orientiert. Wenn sich die Verantwortungsbereitschaft für das gesellschaftliche Ganze nicht geradezu in ihr Gegenteil verkehrt, wie bei der Kölner Freiwilligen Feuerwehr geschehen. Dort hatten Wehrmänner über Jahre immer wieder Brände gelegt, um endlich den Ernstfall auskosten zu können.
Sobald „Amt“ und „Ehre“ auch „Arbeit“ beinhalten, machen Männer sich rar. Oder sie lassen sich bezahlen. Während die ehrenamtlichen Helferinnen in Kleiderkammern oder Altenheimen froh sein können, wenn sie unfallversichert sind und ihre Fahrtkosten ersetzt bekommen, sind in den von Männern bevorzugten Ehrenämtern Nebeneinnahmen durchaus üblich. Sitzungsgelder und Aufwandsentschädigungen sind die Regel in den Gremien von Berufsverbänden oder Sozialversicherungsträgern. Der politisch wirksamste Widerstand gegen die Einschränkung der steuerfreien 630-Mark-Jobs kam nicht von türkischen Putzfrauen, sondern von „ehrenamtlichen“ nebenberuflichen Fußballtrainern, Männergesangsvereinsdirigenten, Chor- und Übungsleitern. Ihre Lobby in der SPD-Bundestagsfraktion setzte durch, dass die steuerfreie „Übungsleiterpauschale“ von 2.400 Mark auf jährlich 3.600 heraufgesetzt wurde. Damit der hart arbeitende Familienernährer nicht in seinem Engagement nachlässt. Seine Ehefrau verteilt die Obdachlosensuppe weiter gratis. „Bürgerarbeit“ setzt das patriarchale Familienmodell voraus, in dem der Mann das Geld verdient, damit die Frau gratis arbeiten kann.
Ob wohl auch mal Männer Suppe austeilen? Klar doch, für vielleicht eine halbe Million Dollar im Jahr. In den USA werden hoch bezahlte Manager von ihren Firmen tageweise in Obdachlosenküchen abgestellt, Vertriebsleiter organisieren Kinderfreizeiten, und Computerexperten bringen die Informationstechnik eines Wohlfahrtsverbandes auf Vordermann. „Corporate Volunteering“ nennt sich das. Soll es demnächst auch in Deutschland geben. Ein gesellschaftlicher Idealzustand zeichnet sich ab: Mittels Corporate Voluteering heilt der global agierende Kapitalismus die sozialen Wunden, die er zuvor geschlagen hat, höchstselbst. Da aber nicht immer alle Manager ganztags in der Asylberatung oder in der Bahnhofsmission helfen können, stellen die Firmen mehr und mehr Personal ein. Arbeitslose Frauen ab 40 zum Beispiel. Oder rüstige Seniorinnen, die ihre magere Rente gern gegen ein Managergehalt eintauschen.
CLAUDIA PINL
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