Ehemals besetzte Schule in Kreuzberg: Für alle nur eine Zwischenlösung
In der Gerhart-Hauptmann-Schule eröffnet eine Obdachlosenunterkunft. Von der Umsetzung langfristiger Pläne ist der Bezirk weit entfernt.
Vor fast genau sechs Jahren, am 8. Dezember 2012, wurde die ehemalige Gerhart-Hauptmann-Schule in der Ohlauer Straße in Kreuzberg von Geflüchteten und ihren UnterstützerInnen besetzt. Das ist lange her; der letzte noch besetzte Gebäudetrakt wurde am 11. Januar dieses Jahres geräumt. Jetzt liegt der Schulhof düster und kalt da. Der Irving-Zola-Pavillon, in dem Konzerte und Veranstaltungen stattgefunden hatten, wird abgerissen, die zugewachsenen Sitzecken sind eingezäunt.
Lediglich im Nordflügel brennt Licht. Hier befindet sich seit dem 1. Dezember eine Notunterkunft im Rahmen der Berliner Kältehilfe. Bis zu 100 Obdachlose werden von 19 bis 7 Uhr ein Bett und eine Mahlzeit bekommen. Es gibt 34 Betten für Frauen, 66 für Männer. Bis zu zehn Obdachlose dürfen ihre Hunde mitbringen. Betrieben wird die Notunterkunft von der Berliner Johanniter-Unfallhilfe.
Am Samstagabend sitzen nur drei Bulgaren im hellen und warmen Speiseraum und löffeln Linsensuppe. Sie sind drei von gerade mal sechs Menschen, die an diesem ersten Abend den Weg in die Notunterkunft gefunden haben. Die beiden Leiterinnen Stefanie Dunkel-Janssen und Marie Schneider sind erleichtert, dass der große Ansturm vorerst ausgeblieben ist, denn noch ist alles etwas improvisiert. Obwohl die Johanniter bereits zuvor in der Schule die Aufnahmeeinrichtung für Geflüchtete betreut haben sowie eine Kälteambulanz betreiben, ist diese Notunterkunft Neuland für sie.
Neben den Leiterinnen und zwei Security-Mitarbeitern sollen Ehrenamtliche die Notunterkunft betreuen. Wer hier einen warmen und trockenen Übernachtungsplatz sucht, gibt zunächst seine Habseligkeiten ab. Dann bekommt man ein Bett zugewiesen, das erste der drei Stockwerke ist den Frauen vorbehalten. Es gibt Duschen, für alle Zahnbürste, Zahnpasta und Seife, dreimal pro Woche öffnet die (noch leere) Kleiderkammer und einmal pro Woche bietet ein Arzt ehrenamtlich eine Sprechstunde im extra eingerichteten Behandlungsraum an.
Abweisen wollen die Johanniter niemanden, auch für Drogenabhängige und psychisch auffällige Menschen stehe die Tür offen. Nur während des Aufenthalts dürfen keine Drogen konsumiert werden.
Die Überlegung, in der ehemaligen Schule eine Kältehilfe-Einrichtung zu betreiben, gibt es schon seit dem Sommer. Die Zusammenarbeit mit dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und dem Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) habe gut funktioniert, lobt Schneider. Letzteres hat sogar eine Kücheneinrichtung, Betten, Tische und Stühle gespendet.
Spenden haben die Johanniter allerdings auch nötig. Zwar zahlt der Senat den Johannitern im Rahmen der Kältehilfe täglich 17 Euro pro Bett. Doch die Kosten seien höher, rechnet Vorstandsmitglied Björn Teuteberg vor, denn davon müssten die Johanniter Betriebskosten, Strom, Gehälter, Security und Reinigung bezahlen. Der Verein mit seinen Fördermitgliedern kann da einiges auffangen, aber Lebensmittel, Kleiderspenden und eben ehrenamtliche Arbeit sind dringend nötig.
Bisher werden in Berlin etwa 1.000 Schlafplätze während des Winters im Rahmen der Kältehilfe angeboten – bei geschätzten 6.000 Obdachlosen. Die Wohnungsnot in Berlin wird immer größer, das merken auch die Johanniter. Speziell marginalisierte Gruppen wie Geflüchtete und Obdachlose haben „massive Schwierigkeiten, Wohnungen zu finden“, so Schneider. Die bis zum 30. April geöffnete Notunterkunft mit ihren 100 Plätzen wird diese Not wohl nur geringfügig ändern.
Noch ist unklar, was danach mit dem Gebäude passiert. Schneider sagt, die Johanniter hätten ein großes Interesse an einer Weiternutzung für soziale Zwecke. Vom Bezirk gibt es dazu wenig Konkretes. Auch die Pläne für den geplanten Neubau scheinen flexibel zu sein. „Der Campus Ohlauer Straße soll ein lebendiger Ort für Bildung und Teilhabe werden, mit verschiedenen Wohnformen, einer Bibliothek und einem internationalen Flüchtlingszentrum“, hieß es vor einem Jahr wolkig.
Im März wurde bekannt, dass ein Teil des Gebäudes als Erstaufnahmestelle für bis zu 100 wohnungslose Frauen hergerichtet werden soll, statt für Geflüchtete zur Verfügung zu stehen. Der Mitteltrakt und der erst im Januar geräumte Südflügel stehen aber noch immer leer, abgesehen von ein paar von Fixpunkt genutzten Räumen. Das Bezirksamt habe weiterhin vor, eine Unterkunft dort zu betreiben, entweder für Geflüchtete oder für obdachlose Frauen, sagte Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann am Sonntag der taz. Sie seien mit zwei Staatssekretären im Gespräch, die Senatsverwaltung habe sich aber noch nicht abschließend positioniert.
Von den Geflüchteten, für die im Nordflügel seit 2016 eine Notunterkunft eingerichtet war, sind jedenfalls am 16. Oktober die Letzten ausgezogen. Der Vertrag mit dem LAF sei zum 30. November beendet worden, heißt es in einer dürren Mitteilung aus dem Büro des zuständigen Bezirksstadtrats Mildner-Spindler (Linke).
Den elf einstigen BesetzerInnen des Südflügels, die am 11. Januar 2018 die Gerhart-Hauptmann-Schule verlassen mussten, hatte der Senat damals eine „wohlwollende“ Aufnahme ins Härtefallverfahren zugesichert. Sie werden noch immer von UnterstützerInnen begleitet. Bisher hat die Härtefallkommission allerdings die meisten Fälle abgelehnt. Fünf dieser Geflüchteten stehe laut Innensenator Andreas Geisel (SPD) aufgrund von „schweren Straftaten“ eine Abschiebung bevor.
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