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Ehemaliges Stummfilmkino DelphiRoh und ungeschminkt

Von der Patina des Delphi ließ sich Tom Tykwer für „Berlin Babylon“ inspirieren. Brina Stinehelfer und Nikolaus Schneider wollen es weiter entwickeln.

Da lässt sich was machen: Nikolaus Schneider und Brina Stinehelfer im ehemaligen Stummfilmkino Delphi Foto: Stefanie Loos

Außen an der Fassade hängt über dem Eingang nur ein verrostetes Schild, auf dem steht: Delphi. Nichts bereitet einen auf das vor, was man erblickt, wenn man das Innere des Gebäudes betritt. Man steht plötzlich in einer gigantischen Kathedrale. Der Raum ist riesig, die Decke ewig hoch und der Blick wandert automatisch Richtung Ende des Raums, wo ein illuminierter Rundbogen darauf hindeutet, dass sich hier einst das Herz des geheimnisvoll anmutenden Gebäudes befunden hat: die Kinoleinwand. Das Delphi in Weißensee ist ein ehemaliges Stummfilmkino, das als letztes seiner Art 1929 eröffnet wurde, also zu einer Zeit, als die große Ära des Stummfilms bereits zu Ende ging.

Bis 1959 wurde das Delphi als Kino betrieben, dann wurde es aufgrund baulicher Mängel geschlossen. Über die Jahre befanden sich hier ein Gemüselager, ein Briefmarkengeschäft, ein Schauraum eines Orgelbauers, bis es dann in eine Art Dornröschenschlaf fiel und kaum mehr benutzt wurde. Doch seit ein paar Jahren wird nun versucht, den Ort der Kultur zurückzugeben und nach einer längeren Renovierungsphase in diesem Jahr wird ab Anfang Dezember das ehemalige Stummfilmkino Delphi endgültig als neuer, interdisziplinärer Kulturraum für Berlin wiedereröffnet werden.

Zu verdanken ist diese Wiedererweckung den Träumen und dem hartnäckigen Enthusiasmus von Brina Stinehelfer und Nikolaus Schneider, den beiden Betreibern des neuen Delphi in Weißensee. Auf einer Silvesterparty vor ein paar Jahren, einer der wenigen Veranstaltungen, für die das Delphi zu der Zeit seine Pforten öffnete, verliebten sie sich schlagartig in das alte Gemäuer, erzählen sie.

Die beiden berichten bei einer Baustellenführung vergangene Woche mit einer derartigen Begeisterung von ihrer ersten Begegnung mit dem Ort, dass man ihnen gern abnimmt, dass sie das mit dem Verliebthaben wortwörtlich meinen. Beide sind Künstler und kommen aus der Freien Theater- und Musikszene, und sie hatten sofort das Gefühl, dass sie hier einen Ort für genau diese Szene in Berlin erschaffen könnten. Vor vier Jahren übernahmen sie das Delphi als künstlerische Leiter, erste kulturelle Veranstaltungen fanden statt, allerdings bekamen sie keine Förderung und das ganze Projekt schien aufgrund Geldmangels zu scheitern, bevor es richtig begonnen hatte.

Schweizer Stiftung als Partner

2016 stand das ehemalige Stummfilmkino Delphi zum Verkauf. Doch dann sprang die Schweizer Stiftung Edith Maryon ein, die sich für bedrohte Kulturhäuser einsetzt, und kaufte das Gebäude, das sie gerade immer noch renovieren lässt und was am Ende wohl mehr kosten wird als die veranschlagten 500.000 Euro. Das Delphi steht schließlich unter Denkmalschutz, dessen Auflagen die Kosten für Renovierungsmaßnahmen schnell in die Höhe treiben können. Und nun verwirklichen Brina Stine­helfer und Nikolaus Schneider mit der Schweizer Stiftung „als Partner“, wie sie sagt, tatsächlich ihren Traum. Am 2. Dezember wird die feierliche Eröffnungsgala stattfinden, am Tag darauf zum „Tag der offenen Tür“ geladen.

Haus mit Geschichte

Das Delphi wurde als Stummfilmkino am 26. November 1929 eröffnet. 1959 wurde der Kinobetrieb eingestellt. Seit 2013 sind Nikolaus Schneider und Brina Stinehelfer die neuen Betreiber des Gebäudes in der Gustav-Adolf-Straße 2. Auch schon vor der Eröffnungsgala im Dezember gibt es Veranstaltungen im Haus. Info: ehemaliges-stummfilmkino-delphi.de

Wenn man sich in dem alten Gebäude umschaut, wo gerade überall Handwerker zugange sind, bekommt man das Gefühl, dass hier noch einiges gemacht gehört. Überall sind Löcher an den Wänden, an denen man sehen kann, dass sie in den beinahe hundert Jahren, seit es sie gibt, zigmal neu und anders gestrichen worden sein müssen – im Originalzustand als Stummfilmtheater schimmerte das Delphi angeblich in Rot und Gold. Doch Brina Stine­helfer, die mit ihrem Hut und in ihrem Kleid ihre Leidenschaft für die Goldenen Zwanziger in Berlin auch optisch unterstreicht – obwohl sie aus New York kommt oder vielleicht gerade deswegen –, betont immer wieder: „Die Patina des Raums bleibt erhalten.“ Das heißt: Alles bleibt so roh und ungeschminkt wie jetzt. Die Geschichte, die der Raum erzählt, soll also auf keinen Fall übertüncht, sondern erhalten werden.

Brina Stinehelfer und Nikolaus Schneider betonen dementsprechend immer wieder, dass sie ein Erbe an einem „historischen Ort“ verwalten wollen, und wirken beinahe demütig angesichts des alten Gemäuers. Auch Filme werden sie demnach wieder zeigen auf der Leinwand hinter dem Rundbogen, der von zig Glühbirnen durchzogen wird, die der Regisseur Tom Tykwer hinterließ, nachdem auch er sich von diesem Ort inspirieren ließ und hier ein paar Szenen für seine gefeierte Zwanziger-Jahre-Serie „Berlin Babylon“ drehte. Doch man werde dem Ort gemäß Stummfilme zeigen, betont Schneider. Etwa das expressionistische Meisterwerk „Das Cabinet des Dr. Caligari“ von Robert Wiene aus dem Jahr 1920, der ganz hier in der Nähe in Weißensee gedreht wurde, damals, als in Weißensee noch regelmäßig Filme entstanden sind. Konkret geplant ist auch eine Aufführung von F. W. Murnaus „Nosferatu“, begleitet von elektronischer Musik. Oder es wird etwas geben wie „Don Giovanni in Schweden“, eine Produktion, die kurz nach der Eröffnung im Delphi zu sehen sein wird und bei der ein Stummfilm von Opernsängern begleitet wird.

Gern auch experimentell

Tanz, Theater, Performances, Film, für alle möglichen kulturellen Formen, gerne auch experimentelle, wollen sie aufgeschlossen sein, betonen die beiden künstlerischen Leiter des Delphi. Dabei soll der Raum nicht nur von Künstlern benutzt werden, sondern er soll diese auch animieren, ihnen gar eine „Muse“ sein, so Brina Sti­ne­helfer. Man wünscht sich also durchaus Produktionen, die extra für die Gegebenheiten des ehemaligen Stummfilmtheaters entstehen.

Dass an das neue Delphi in Weißensee, wo die Kultur bislang nicht wahnsinnig floriert, nun nicht mehr nur Brina Stine­helfer und Nikolaus Schneider glauben, beweist die Tatsache, dass der Ort für das nächste Jahr bereits eine mit 50.000 Euro dotierte Spielstättenförderung erhält. Das sei wunderbar und ermutigend, so Brina Stinehelfer, sie fügt aber gleich noch hinzu, dass erst vor Kurzem bei ihnen eingebrochen und alle Technik, vom Kinoprojektor bis zum kleinsten Kabel, geklaut worden sei. Der Schaden belaufe sich für die beiden vom Delphi auf 50.000 Euro und soll durch eine gestartete Crowdfunding-Kampagne ausgeglichen werden.

Ein Einbruch im ehemaligen Stummfilmkino Delphi. Wieder eine Geschichte mehr an diesem Ort, an dem bald noch viele weitere Geschichten geschrieben werden sollen.

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