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Editorial

Franz Josef Strauß war seine Aggressivität anzusehen und anzuhören. Die Augenbrauen zusammengezogen, die Finger erhoben, die Stimme dumpf. Andere Fotos zeigen ihn mit Mafioso-Sonnenbrille und verschränkten Armen. 1980, als Strauß Kanzler werden wollte, war die Republik polarisiert wie nie zuvor und nie danach. Selbst Anhänger der gerade gegründeten Grünen gaben mit zusammengebissenen Zähnen dem Atomkraftanhänger Helmut Schmidt (SPD) ihre Stimme, um Strauß zu verhindern.

SPD- und Grünen-Wähler von den Urnen fernzuhalten, indem man ihre Themen übernimmt, wäre Strauß nie eingefallen. „Asymmetrische Demobilisierung“ war damals ein unbekanntes Wort. Heute fährt Angela Merkel mit diesem Konzept ihre Erfolge ein. Merkel ist das Gegenteil von Strauß: Sie polarisiert nicht, sie diskutiert kaum, die Merkel-Raute ersetzt erhobene Finger. Wahlentscheidungen sind schwieriger geworden: Wäre Hartz IV mit einem Kanzler Stoiber ausgeblieben? Hätte ein Kanzler Steinbrück so viele Flüchtlinge nach Deutschland gelassen? Aus den Programmen lässt sich weniger denn je auf die Regierungspraxis schließen.

Und was soll man wählen, wenn man bestimmte Programmpunkte einer Partei wichtig findet, mit anderen aber nicht leben kann? Wie wichtig sind Inhalte bei der Wahlentscheidung, wie wichtig enttäuschtes Vertrauen, wie wichtig Koalitionsoptionen?

Auch in der taz fragen sich so viele wie nie zuvor, wem sie diesmal ihre Stimme geben sollen. Stellvertretend hat in dieser ersten Ausgabe unsere taz.wahl-Redakteurin und Erstwählerin Fatma Aydemir ihre Ratlosigkeit aufgeschrieben.

In den drei Wochen bis zur Wahl werden wir uns mit großen Fragen und den verdrängten Themen dieser Wahl beschäftigen: mit Mietenpolitik, Flüchtlingsfragen, Digitalisierung. Wir besuchen engagierte, aber chancenlose Kandidaten. Wir planen große Reportagen über die Umbrüche in der Auto­industrie, den veränderungsmüden Osten und fragen, was aus Friedrichshain-Kreuzberg nach Christian Ströbeles Rückzug wird. Und selbstverständlich beobachten wir die AfD.

Angela Merkel hat uns nicht nur das Ende der großen Lagerwahlkämpfe beschert, sondern auch das Wort „alternativlos“. Das Nachdenken über Alternativen sollten wir aber nicht den Rechtspopulisten der AfD überlassen. Auch deshalb begleiten wir die nächsten drei Wochen bis zur Wahl (und die zwei Tage danach) täglich mit sechs Seiten Wahl-taz. JAN FEDDERSENMARTIN REEH

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