EU will Agrarsubventionen neu verteilen: Kleine Höfe kämpfen um großes Geld
Eigentümergeführte Betriebe seien umweltfreundlicher als anonyme Kapitalgesellschaften, sagen Bauern. Warum sie trotzdem nicht mehr Hilfe bekommen.
„Es wird nur der Kolben geerntet“, erläutert Thomas Kiesel. Dem 49-jährigen Bauern aus dem brandenburgischen Dorf Barsikow gehört der Maisacker. „Die Bodenfruchtbarkeit wird erhalten, indem man Pflanzenreste dem Boden zurückgibt, und die verrotten zu Humus.“ Natürlich könnte er stattdessen das Stroh auch verkaufen, 100 Euro pro Hektar würde das bringen. „Aber man sollte überlegen: Bringen mir die 100 Euro jetzt im Portemonnaie mehr oder bringen sie der nächsten Generation mehr“, ergänzt der Landwirt.
Andere Agrarfirmen in der Region entscheiden sich lieber für das kurzfristige Geschäft. Zum Beispiel, wenn sie für eine riesige Biogas-Anlage Mais anbauen, die einem millionenschweren Betreiber in Niedersachsen gehört.
Diese Betriebe gehören nicht einem einzelnen Bauern wie Kiesel, sondern sind Gesellschaften wie GmbHs oder Genossenschaften mit mehreren Teilhabern. Die Gesellschafter solcher Firmen arbeiten oft nicht in dem Betrieb. Manche wohnen nicht einmal in der Nähe. Meist haben diese Firmen mehr Land und mehr Tiere als von einzelnen Bauern geführte Höfe. Kiesel etwa liegt mit seinen 400 Hektar – ungefähr doppelt so viel Fläche wie der Berliner Tiergarten – weit unter den durchschnittlich rund 750 Hektar der landwirtschaftlichen Betriebe in Ostdeutschland, die als juristische Personen organisiert sind.
Hecken für die Vögel
„Da sind nur kleene Stoppeln. Und dann ist Ruhe“, sagt Kiesel auf dem abgeernteten Maisfeld eines solchen Betriebs. Zwischen den Reihen ist nur nackte Erde zu erkennen.
Thomas Kiesel, Landwirt
Kiesel hat mehrere Beispiele, die zeigen sollen, dass ein bäuerlicher Familienbetrieb wie seiner besser für die Umwelt sei als eine anonyme Kapitalgesellschaft. So pflanze er auch 100 bis 200 Bäume pro Jahr an den Rändern seiner Äcker, erzählt der Agraringenieur. Jedes seiner 30 Felder sei von mindestens einer Reihe Hecken umgeben. „Das sind Nistmöglichkeiten für Vögel“, sagt Kiesel. „Ich freue mich, wenn ich da entlanggehe am Wochenende, und das blüht alles.“ Er spaziert dort häufig, denn er wohnt teilweise direkt neben seinen Feldern. „Der Betrieb ist ja auch mein Vorgarten“, sagt er.
Auf einem anderen Acker blühen gelbe, weiße und lila Pflanzen. Zwei Rehe ziehen über das Feld. Senf, Buchweizen und Lupine hat Kiesel hier gesät. Die werde er nicht ernten, sondern unterpflügen, bevor er im März hier Sonnenblumen aussäht, kündigt der Landwirt an, der auch im Vorstand des Bauernbunds Brandenburg sitzt, eines kleinen Verbands für bäuerliche Familienbetriebe. So wird auch diese Zwischenfrucht den Boden fruchtbarer hinterlassen. „Das macht nur ein Privater“, sagt der Landwirt.
Stimmt das wirklich? „Es ist plausibel, dass bäuerliche Familienbetriebe ökologischer sind, weil sie eher an die nächste Generation denken“, sagt Reinhard Jung, Geschäftsführer des Bauernbunds Brandenburg. Beispiel Kiesel: Er hofft, dass einer seiner Söhne den Hof übernimmt. Deshalb könnte Kiesel sich stärker verpflichtet fühlen, den Boden und andere Produktionsgrundlagen langfristig zu erhalten, als ein angestellter Betriebsleiter, „der heute hier und morgen in Lettland“ ist, wie Jung sagt.
Nur schneller Profit?
„Kapitalgesellschaften geht es immer um die höchste Wirtschaftlichkeit“, ergänzt Onno Poppinga, emeritierter Agrarprofessor und Mitgründer der ökologisch orientierten Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL). „Bei bäuerlichen Betrieben geht es darum, ein ausreichendes Einkommen zu erzielen.“ Tatsächlich sagt Kiesel: „Ich bin nicht so der Kaufmann, der alles durchrechnet. Ich mache viel nach Gefühl.“ Das würde wohl kaum ein Geschäftsführer eines großen Agrarunternehmens von sich behaupten.
Für die meist kleinen, bäuerlichen Höfe spricht laut AbL auch, dass sich das potenziell gesundheits- und umweltschädliche Nitrat aus Düngern regional besser verteile: Bei großen Betrieben mit immer mehr Tieren konzentriert sich Gülle auf ein kleineres Gebiet und belastet dort Natur und Wasser deutlich stärker, als wenn sie regional gleichmäßig auf mehrere kleine Höfe verteilt wären, sagt AbL-Bundesgeschäftsführer Ulrich Jasper.
Vergangenes Jahr belegte ein Regierungsbericht, dass in großen Betrieben Tiere häufiger mit Antibiotika behandelt werden als in kleinen Betrieben. Der Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung trägt Behörden zufolge dazu bei, dass krankmachende Bakterien unempfindlich gegen die Medikamente werden. Kleinere Betriebe geben auch pro Hektar weniger Dünger und Pestizide in die Umwelt ab. Das zeigt sich am Beispiel der Pflanzenschutzmittel: Im Wirtschaftsjahr 2017/18 zahlten laut Agrarstatistik Höfe mit 50 bis 100 Hektar Fläche 42 Prozent weniger für solche „Artenkiller“ als Betriebe mit mehr als 250 Hektar. Große Betriebe tendieren zudem eher dazu, die für Tiere wichtigen Bäume und Hecken an Feldrändern zu roden, um kleine Flächen zusammenzulegen und effizienter zu bearbeiten. Studien der Universität Göttingen haben gezeigt, dass in Agrarlandschaften mit kleinen Feldern mehr Insekten- und Pflanzenarten vorkommen als in Regionen mit weitläufigen Äckern.
Doch all das sind nur Indizien. Man kann nur annehmen, dass die kleinen Betriebe auch die kleineren Felder hatten – erfasst haben die Wissenschaftler das jedoch nicht. „Es gibt da viel Hörensagen, aber wenig belastbare Ergebnisse“, sagt Alfons Balmann, Leiter des Leibniz-Instituts für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien über die Groß-klein-Diskussion. „Wir haben keine wissenschaftlichen Studien zu der Frage, ob bäuerliche Betriebe umweltfreundlicher sind“, sagt selbst Bauernbund-Funktionär Jung. Auch AbL-Gründer Poppinga räumt ein: „Der Einzelfall kann anders sein als die Theorie. Es hängt vom Betriebsleiter ab und von Kreis an Berufskollegen, in dem er sich bewegt. Wer frisch von der Fachschule kommt, ist auf jeden Fall auf hohe Intensität eingenordet.“
Deshalb argumentiert der Bauernbund nicht nur mit der Ökologie: „Für eine demokratische Nahrungsmittelerzeugung, die nicht von wenigen Konzernen abhängt, brauchen wir eine breite Streuung des Eigentums mit vielen Erzeugern“, so Jung.
Mehr Vielfalt
Darauf antwortet Balmann, dass die großen Agrargenossenschaften in Ostdeutschland im Schnitt 25 bis 30 Mitglieder hätten, was dann pro Hektar gar nicht so wenig sei. Das Land gehöre noch viel mehr Eigentümern, die es verpachtet haben. Aber: Geführt werden diese Großbetriebe in der Regel von nur einer Person, während sonst eben 25 selbständige Bauern das Land bewirtschaften würden. Das könnte zu mehr Vielfalt führen dabei, welche Pflanzen wie angebaut werden. Außerdem sind viele Betriebe auch keine Genossenschaften, sondern GmbHs – die zunehmend auch branchenfremden Investoren wie der Münchner Rückversicherung oder den Erben des Aldi-Clans gehören, die nicht in der Region leben. Doch wenn es weniger Betriebe gibt, kann das auch zu einer ungleicheren Verteilung des Wohlstands beitragen: Große Betriebe kommen im Schnitt mit weniger Arbeitskräften pro Tier oder Hektar aus.
Der Bauernbund Brandenburg fordert deswegen, dass die EU das System der jährlich rund 60 Milliarden Euro Agrarsubventionen reformiert, die etwa die Hälfte der Einkommen landwirtschaftlicher Betriebe ausmachen. Denn bisher wird die wichtigste Subventionsart, nämlich die Direktzahlungen, pro Hektar Fläche berechnet. Deshalb bekommen die größten Betriebe die höchsten Geldbeträge vom Staat. „Warum sollen die Millionen bekommen?“, fragt Kiesel. So könnten Großbetriebe Kosten einsparen, zum Beispiel, weil sie ihre Maschinen besser auslasten könnten. Das sind Gründe, weshalb laut Statistischen Bundesamt vor allem die kleinen Höfe schließen. Von 2010 bis 2019 ging die Zahl landwirtschaftlicher Betriebe insgesamt um 11 Prozent auf etwa 267.000 zurück.
Der Bauernbund will, dass die Förderung nur noch an Betriebe bis beispielsweise 400 Hektar geht, die sich im Eigentum von ortsansässigen Landwirten befinden. Konzerne bekämen dann nichts mehr, selbst wenn sie ihre Großbetriebe in mehrere kleine aufteilten – denn Eigentümer müssten ja Bauern sein, die auch vor Ort leben. So eine Reform würde kleinere Betriebe mit regionaler Verankerung im Konkurrenzkampf gegen Großunternehmen stärken.
Die AbL besteht zwar nicht darauf, dass nur Ortsansässige Subventionen bekommen dürfen. „Das würde gegen EU-Verträge verstoßen, die die Diskriminierung von Bürgern anderer EU-Staaten verbieten“, sagt Geschäftsführer Jasper. Er verlangt aber ebenfalls, dass die Zahlungen für sehr große Betriebe stark begrenzt werden. Ab 200 Hektar solle der Betrag pro Hektar schrumpfen, so Jasper. „Bei 1.000 Hektar gibt es dann fast eine Halbierung der Zahlungen gegenüber heute.“ Mehrere Betriebe desselben Eigentümers könnten wie ein Betrieb behandelt werden.
Sogar die EU-Kommission hat in ihrem Vorschlag für die Agrarpolitik nach 2020 geraten, die Zahlungen auf 100.000 Euro pro Betrieb zu begrenzen und ab 60.000 Euro zu kürzen. Davon ausgenommen werden sollen die Kosten für Arbeitskräfte. Aber die Mitgliedstaaten blockieren diese im EU-Sprech „Kappung und Degression“ genannten Punkte bisher – allen voran Deutschland. Der Vorschlag sei „zu verwaltungsaufwändig und hätte nur geringe, regional stark konzentrierte Effekte“, so das Agrarministerium. Derzeit verhandeln die Landwirtschafts- und Umweltausschüsse des Europaparlaments darüber.
Der Bauernbund vermutet hinter der Ablehnung aus Berlin einfach den mächtigen Deutschen Bauernverband, der maßgeblich von den Großbetrieben im Osten beeinflusst wird. „Die großen Betriebe“, sagt Kiesel, „haben eben eine große Lobby.“
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