EU vor der Wahl: Existenziell für Europa
Beinahe überall in der EU gewinnen nationalistische Parteien Wahlen. Die Europawahl ist eine Abstimmung darüber, wie wir zusammenleben wollen.
E s ist eine Wahl. Eine freie, gleiche und geheime. Was für ein Geschenk das doch ist! Vom 6. bis zum 9. Juni sind die Bürger:innen in den 27 Mitgliedsstaaten der EU aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. Begeisterung löst das nicht gerade aus. Das Besondere ist zur Selbstverständlichkeit geworden. In Deutschland und in vielen anderen Staaten der EU geht es den Parteien, die sich um Sitze bewerben, in erster Linie um das eigene Land. Für ein starkes Deutschland wird dann geworben, für ein Europa, das nach italienischen Vorstellungen geformt werden möge, oder gegen die Bürokraten da oben in Brüssel. Für ein starkes Europa traut sich kaum eine Partei Werbung zu machen.
Es sind nicht nur Rechtsradikale, die gegen die EU wettern. Im populistischen Reflex ist es leicht, die EU zu kritisieren. Und klar, diese EU macht es ihren Bürger:innen wahrlich nicht leicht. Es gibt keine Liebe für die Brüsselianer, die in den Augen vieler viel zu viel verdienen und viel zu wenig an die denken, die viel zu wenig haben. Und es gibt Hohn und Spott für all die Skandale, die in der ablaufenden Wahlperiode auch das EU-Parlament produziert hat. Als bei der griechischen Sozialdemokratin Eva Kaili, einer der Vizepräsidentinnen des Parlaments, im Zuge von Korruptionsermittlungen Taschen voller Bargeld gefunden wurden, war einer der Tiefpunkte im Ansehen der europäischen Institutionen erreicht. Und wer das brutale Grenzregime der EU abstoßend findet, wird wohl keine EU-Fahne schwenken wollen.
Und doch ist da noch etwas anderes. Es hat etwas mit Freiheit zu tun. Nicht mit der, die rechte Egoisten von Traktoren und Bierzeltpodien herabpredigen, sondern mit wahrer Freiheit. Bei der EU-Wahl geht es nämlich auch ganz grundsätzlich um die Möglichkeit der Menschen, in regelmäßigen Abständen darüber entscheiden zu dürfen, wie sie leben möchten. Die Ukraine verteidigt diese Wahlfreiheit gerade in einem mörderischen Krieg, der seit dem Überfall Russlands im Februar 2022 tobt. Tag für Tag sterben dort Menschen für etwas, was viele in der EU nicht mehr als wirklich existenziell erachten.
Beinahe überall in der EU gewinnen nationalistische Parteien Wahlen. Für sie gibt es nur ein hohes Gut: die Nation. Die Demokratie schätzen sie als Mittel, um an die Macht zu gelangen. Einen Wert an sich hat sie für diese Populisten nicht. Wer bei der Wahl gegen sie stimmt, stimmt für die Demokratie. Und so ist jede Wahl, auch diese Wahl zum EU-Parlament, eine Abstimmung darüber, wie die Gesellschaft in Zukunft zusammenleben wird. Die Bedrohung aus Russland, das nichts unversucht lässt, die Staaten der Europäischen Union zu destabilisieren, zeigt, wie existenziell auch diese Abstimmung bei aller durchaus berechtigten Kritik an der Verfasstheit der EU ist. Europa hat die Wahl – gut so. Sehr gut.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Die Wahrheit
Der erste Schnee
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten