EU präsentiert Strategie: Weg mit giftigem Chemiedreck
Die EU-Kommission will giftige Chemikalien aus Alltagsprodukten verbannen. Dazu gehören Textilien, Kosmetik, Waschmittel und Spielzeug.
Die Chemikalienstrategie ist die erste große Novelle seit der Reach-Verordnung von 2006. Damals wurde das europäische Chemikalienrecht harmonisiert und entschlackt. Die Industrie wurde verpflichtet, alle Wirkstoffe registrieren und auf Unschädlichkeit bewerten zu lassen. Dennoch wurden viele gefährliche Substanzen nicht erfasst, wie eine Überprüfung 2018 ergab. Die Grünen im Europaparlament sprachen vom „Dieselgate der Chemieindustrie“.
Mit diesen Missständen will die EU-Kommission nun aufräumen. Sie bettet ihre Strategie aber auch in den „European Green Deal“ ein. Es gehe darum, Chemikalien „inhärent sicher und nachhaltig“ zu machen, erklärten Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius und Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides. Gleichzeitig müsse man auch an die Industrie denken, die wegen der Coronapandemie den zweitgrößten Produktionseinbruch der Geschichte meldet.
Konkret kündigen die Kommissare das Aus für die schädlichsten Stoffe an – darunter endokrine Disruptoren (Chemikalien, die das Immunsystem und die Atemwege beeinträchtigen) und persistente Stoffe wie Per- und Polyfluoralkylsubstanzen (PFAS). Die Eurokraten halten der Industrie aber auch eine Hintertür offen. Das Verbot soll nur kommen, wenn diese Substanzen „nicht nachweislich für das Allgemeinwohl unverzichtbar sind“.
Eurokraten halten der Industrie eine Hintertür offen
Zudem sollen bedenkliche Stoffe in allen Produkten durch unbedenkliche Chemikalien ersetzt werden. Auch den „Cocktail-Effekt“ verschiedener Substanzen auf die Gesundheit will die EU-Kommission bedenken. Bei alldem wird aber auch die Wettbewerbsfähigkeit nicht vergessen. Mithilfe der neuen Strategie soll sich die Industrie bei der Herstellung und Verwendung von nachhaltigen Chemikalien zu einem weltweiten Spitzenreiter entwickeln.
Bei den Grünen im Europaparlament kommt das Vorhaben gut an. Der grüne Abgeordnete Sven Giegold lobt die „sehr gute Strategie“. Giegold: „Die EU läutet eine Chemiewende ein, die den Schutz von Gesundheit und Umwelt mit einer zukunftsorientierten Industriepolitik im Sinne des Grünen Deal verbindet.“
Wenig begeistert zeigt sich dagegen die Industrie. „Innovationen aus der Chemie brauchen Planungssicherheit“, mahnt Gerd Romanowski vom Branchenverband VCI. Die Kommission müsse mit Augenmaß vorgehen und dürfe nicht zu viel vorschreiben. Vor dem Hintergrund der Coronakrise brauche die Industrie vor allem eins: Ruhe im Chemikalienrecht und möglichst wenig Verbote.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja