EU kritisiert Äußerung zu Zuwanderern: Klatsche für Cameron
EU-Justizkommissarin Reding reagiert auf David Camerons Drohung gegenüber Zuwanderern. Das Land solle sich überlegen, ob es aus dem Binnenmarkt austreten will.
BERLIN/BRÜSSEL dpa | Die EU-Kommission hat den britischen Premierminister David Cameron wegen seines Vorstoßes, EU-Ausländer den Zugang zum britischen Sozialsystem massiv zu erschweren, scharf kritisiert.
„Wenn Großbritannien aus dem Binnenmarkt austreten will, dann soll Großbritannien dies sagen“, sagte EU-Justizkommissarin Viviane Reding der Zeitung Die Welt. Das Recht auf Freizügigkeit sei nicht verhandelbar – „so lange Großbritannien ein Mitglied dieser Europäischen Union und des Binnenmarktes ist“.
Die EU-Kommissarin verwies darauf, dass die Bewegungsfreiheit für EU-Bürger in Europa und der Binnenmarkt untrennbar zusammen gehörten. „Wer die Freizügigkeit von Dienstleistungen, Waren und Kapital in unserem Binnenmarkt nutzt, muss auch die Freizügigkeit von Personen akzeptieren“, sagte Reding. „Das ist der Geist des EU-Vertrags, und die Kommission wird dies unerbittlich durchsetzen“, kündigt die Luxemburgerin an.
Die EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit gilt von 2014 an auch für die neuen Mitglieder Rumänien und Bulgarien. Vor diesem Hintergrund hatte Cameron am Mittwoch in einem Gastbeitrag für die Financial Times angekündigt, dass Neuankömmlinge die ersten drei Monate keine Sozialleistungen mehr in Anspruch nehmen können sollen, wenn sie keinen Arbeitsplatz haben. „Wenn die Leute nicht hier sind, um zu arbeiten – wenn sie betteln oder im Freien schlafen –, dann werden sie entfernt“, schrieb Cameron in dem Beitrag.
Cameron regt sich auf
Nach der Kritik an seinen Äußerungen fühlt Cameron sich ungerecht behandelt und nutzte ein Abendessen der Staats- und Regierungschefs der EU und sechs weiterer Länder in Vilnius (Litauen), um sich bei Kommissionspräsident José Manuel Barroso über Sozialkommissar Laszlo Andor zu beschweren. Der Ungar hatte Camerons Pläne, die Arbeitnehmerfreizügigkeit einengen zu wollen, scharf kritisiert. Andor hatte Cameron eine „unglückliche Überreaktion“ vorgeworfen und Großbritannien davor gewarnt „das hässliche Land der EU“ zu werden.
Cameron dagegen sieht in den Äußerungen Andors eine unangemessene Einmischung eines „nicht gewählten EU-Beamten“. „Das Verhalten ist nicht angemessen für einen Beamten, der von den Steuerzahlern aus Großbritannien und anderen EU-Ländern bezahlt wird“, sagte ein Regierungssprecher.
Leser*innenkommentare
D.J.
Gast
@Desillusionist,
"Wir sind nur deshalb so reich, weil der Rest der Welt so arm ist"
Sie haben Recht. Wenn ich mir überlege, welch brilliante Ökonomen früher linke Bewegungen hervorgebracht haben (Marx nur als ein Beispiel von vielen). Heutzutage reicht der Sachverstand des gemeinen Linken oft nicht weiter als bis zu diesem albernen Spruch. Der lässt sich übrigens historisch klar verorten: Wortwörtlich mittelalterliche Theorie eines global im Durchschnitt stets gleichen Wohlstandslevels (vor dem Aufkommen allererster Ansätze moderner ökonomischer Theorien im späten 17. Jahrhundert). Da es der Durchschnittslinke oft auch nicht mehr mit einfachster Empire hat, werden Sie Ihm auch nicht mit Fakten kommen können (globale Wohlstandssteigerung, u.a. sichtbar in der starken prozentualen Abnahme der Hungernden in den letzten Jahrzehnten).
Sören
Gast
Die britische Opposition hat seit Monaten darauf hingewiesen, dass man Regelungen braucht. Camerons Regierung kommt aber erst 1 Monat vor der Öffnung auf die Idee, Maßnahmen zu präsentieren. Dass das einen Tag vor der Veröffentlichung von für die Regierung schlechten Einwanderungszahlen passiert, wird kein Zufall sein.
Cameron geht völlig falsch an die Sache ran. Statt sich Bulgaren und Rumänen als Sündenböcke zu suchen, sollte er sich mit den Unternehmern anlegen, die die Freizügigkeit ausnutzen, um Löhne zu drücken. Aber dafür ist er zu schwach; er greift immer nur Schwache an.
Seine Regierung stellt die Bezieher von staatlichen Leistungen grundsätzlich als "Faulenzer" da, egal welche Nationalität sie haben. Bei der Einwanderung interessieren ihn Fakten gar nicht, die (Pseudo-)Maßnahmen können gar nicht populistisch genug sein. Unterstützt und gleichzeitig angetrieben wird er dabei von der rechten Presse.
Die Menschen sind aber nicht dumm, sie merken, wenn jemand Rauchbomben wirft, und von den eigentlichen Problemen ablenken will. Seine Regierung hat nach 3 Jahren soviel neue Schulden gemacht, wie die letzte Regierung in 13 Jahren. Und in 40 von 41 Monaten seiner Amtszeit stiegen die Preise stärker als die Löhne.
Desillusionist
Gast
"(...) Das ist der Geist des EU-Vertrags, und die Kommission wird dies unerbittlich durchsetzen (...)" - Genau diese Wortwahl offenbart am Deutlichsten den (Un-) Geist, das Denken und Handeln der unzureichend demokratisch legitimierten EU-Komission. Wer aus dem verordneten Gleichschritt ausschert, dem wird gegebenenfalls auch mit Formulierungen aus den Sprachkatalogen totalitärer Systeme gedroht. Ich hoffe Cameron lässt sich davon nicht abhalten zu tun, was er für richtig hält.
Xula
Welcher Sprachkatalog liegt Ihnen da vor? Was stößt Ihnen da auf? "Geist"? "unerbittlich durchsetzen"?
Also in dem Sprachkataolg der mir vorliegt steht "Menschen entfernen" drin - und das kam aus dem Mund von Cameron.
Desillusionist
Gast
Lesen Sie bitte den Text des Vertrages zur Freizügigkeit in der EU, insbesondere die Abschnitte:
§2 - Recht auf Einreise und Aufenthalt
§4 - Nicht erwerbstätige Freizügigkeitsberechtigte
Camerons Äußerungen entsprechen exakt diesem Vertragstext. Es resultiert aus diesem Vertrag lein Recht, sich seinen Lebensort in der EU nach der Höhe der Sozialleistungen zu wählen. Da kann Fr. Reding schäumen und toben wie sie will, das ist der Inhalt des Vertrages. Die Reaktion der EU-Komission ist in Inhalt und Wortwahl unangemessen unf ärgerlich.
Xula
Ich kommentierte allein Ihren Verweis auf Sprachkataloge totalitärer Syteme.
Dass Camerons Formulierung - Menschen zu "entfernen", die keine Arbeit haben - vom EU-Vertragstext gedeckt ist stelle ich gar nicht in Frage.
Frau Redings barsche Reaktion wird verständlich, wenn man bedenkt, dass Großbritannien die Strategie fährt, nur die Rosinen aus der EU-Integration herauszupicken - auf Kosten der Gemeinschaft. Auf lange Sicht wird das vermutlich nicht funktionieren.
Blechstein
Gast
Camerons Horizont ist begrenzt -man könnte bei ihm von einer "Inselbegabung" sprechen.