Britischer Premier in der Kritik: Brüssel rüffelt David Cameron
Der britische Premier David Cameron will die Niederlassungsfreiheit in der EU drastisch einschränken. Die EU-Kommission gibt sich empört.
DUBLIN taz | Die scharfe Rhetorik des britischen Premierministers David Cameron gegen Einwanderer aus Rumänien und Bulgarien hat in Brüssel scharfe Reaktionen hervorgerufen. José Manuel Barroso, Präsident der EU-Kommission, warnte Cameron in einem Telefongespräch, dass er im Begriff sei, eins der fundamentalen Prinzipien der EU auszuhebeln.
EU-Arbeitskommissar László Andor warf Cameron vor, er sei hysterisch: Rumänen und Bulgaren seien unter den Migranten nur eine kleine Minderheit. Cameron riskiere, dass Großbritannien als „gemeines Land“ erscheine. Viviane Reding, die EU-Justizkommissarin, meinte entnervt, dass Cameron sagen solle, ob er die EU verlassen wolle. Andernfalls gelte das freie Niederlassungsrecht.
Ab 1. Januar herrscht in der EU Niederlassungsfreiheit, jeder darf dort wohnen und arbeiten, wo er will. Cameron hatte in dieser Woche in einem Artikel in der Financial Times angekündigt, diese Freizügigkeit einzuschränken.
Immigranten aus anderen EU-Ländern sollen drei Monate warten müssen, bevor sie Sozialhilfe beantragen können. Danach dürfen sie nur sechs Monate lang Stütze kassieren, wenn nicht wenigstens Aussicht auf einen Job bestehe. Ansonsten werden sie „entfernt“. Wer bettelt oder auf der Straße schläft, soll gleich wieder nach Hause geschickt werden.
„Wir sind immer noch viel zu großzügig”
Der Koalitionspartner der Tories, die Liberalen Demokraten, bezeichneten Camerons Pläne als vernünftig. Der Chef der United Kingdom Independence Party (Ukip) Nigel Farage sagte, Camerons Vorschläge taugten nichts, um die Masseneinwanderung aus Bulgarien und Rumänien zu unterbinden. „Jeder kann am 1. Januar aus Rumänien herkommen, und binnen zwölf Wochen bekommt er Arbeitslosenhilfe“, sagte er. „Ich finde das empörend. Wir sind immer noch viel zu großzügig, selbst wenn Cameron den Mut hat, seine Pläne umzusetzen.“
Der britische Premierminister will langfristig die EU-Regelungen über Migration reformieren. Europa müsse das Vertrauen seiner Bürger zurückgewinnen, schrieb Cameron in seinem Artikel. Neue Maßnahmen seien erforderlich, die den Zugang zu den Arbeitsmärkten verlangsamen, bis man sicher sein könne, dass es keine Massenmigration gebe.
Cameron will durchsetzen, dass das freie Niederlassungsrecht nur für Menschen aus Ländern gilt, deren Bruttoinlandsprodukt dem EU-Durchschnitt entspricht. Cameron rechnet mit Unterstützung aus Deutschland, Österreich und den Niederlanden. Er möchte die Restriktionen gern unter Dach und Fach haben, bevor die Wähler 2017 in einem Referendum über die britische EU-Mitgliedschaft entscheiden.
Die Netto-Einwanderung nach Großbritannien ist in den vergangenen zwölf Monaten überraschend um 15.000 auf 182.000 Menschen gestiegen, wie das Statistikamt am Donnerstag bekannt gab. Das liegt weniger an der Zuwanderung als an der niedrigsten britischen Auswanderungsrate seit 2001. Innenministerin Theresa May will die Netto-Immigration bis zu den Wahlen 2015 auf unter 100.000 im Jahr drücken.
Leser*innenkommentare
Desillusionist
Gast
Ich würde an Camerons Stelle einfach auf Brüssel pfeifen und tun, was ich für notwendig halte. Die Regierung des Vereinigten Königreiches ist in London, nicht in Brüssel. Das brtitische Parlament wurde von den britischen Bürgern gewählt und nicht von Brüssel bestimmt. Schluß mit Klugscheissereien und Drohungen einer Institution, die bekanntermassen unzureichend demokratisch legitimiert ist.
ALI G
Gast
Wo ist das Problem?
"...jeder darf dort wohnen und ARBEITEN, wo er will.[...] Immigranten aus anderen EU-Ländern sollen drei Monate warten müssen, bevor sie Sozialhilfe beantragen können."
Die angesprochenen Menschen können also problemlos im UK arbeiten und auch wohnen.
In dem Freizügigkeitsabkommen steht NICHT, dass sich jeder EU Bürger das Sozialamt aussuchen darf, von dem man sich die größten Leistungen erhofft.
Wo ist also das Problem, dass Cameron gleich der Entzug der EU Mitgliedschaft angedroht wird?
Matze
@routier
Gut möglich, das die Zustände so sind, wie du sie schilderst - trotzdem kein Grund, so über Menschen herzuziehen( übrigens : wo zum Teufel ist "Balkanien" ?).
Eher ein Grund die Zustände in der Baubranche ( auch Schlachthöfe ) zu hinterfragen - und nicht die armen Kerle noch Hartz4-Abzocke und übermäßigen Alkoholkonsum vorzuwerfen.....
Sören
Gast
Im Artikel wird nicht ganz deutlich, dass es um die Freizügigkeit für Rumänen und Bulgaren geht, die zum 1. Januar uneingeschränkt gilt. Der Rest der EU hat diese Freizügigkeit natürlich schon.
Das UK hat bei der Ost-Erweiterung der EU 2004 keine Beschränkungen für Osteuropäer eingeführt, was sich im nachhinein tw. als problematisch erwiesen hat. Alerdings herrschte damals Vollbeschäftigung und ein robustes Wirtschaftswachstum.
Die Maßnahmen jetzt kommen natürlich extrem spät und sind offensichtlich nichts weiter als ein politisches Spielchen eines zunehmend verzweifelten Premiers. Solche Maßnahmen knapp 4 Wochen vor der Öffnung bekannt zu geben ist wohl eher ein Armutszeugnis für die Regierung. Leider ist ein sachliche Debatte zum Thema Zuwanderung kaum möglich, auch wegen der Boulevard-Presse, die im UK ja besonders rustikal ist.
David Cameron hat wenig Chancen, die Wahlen 2015 zu gewinnen. Er setzt deswegen immer stärker auf populistischen und unsachlichen Unsinn. Offensichtlich hält er die Wähler für zu dumm, um diese Tricksereien zu durchschauen. Darauf verlassen sollte er sich nicht.
beat
Gast
Ein Premier, Kanzler oder Präsident sollte sich dem Wohle des eigenen Volkes verpflichtet fühlen. Das haben unsere Regierungschefs leider vergessen.
routier
Gast
Cameron bekommt meine Stimme
Geht doch mal auf das Anmeldeamt für Selbständige in Frankfurt. Hunderte fast jeden Tag aus Balkanien melden sich selbständig und werden auf dem Bau zu Sklaven und bekommen meist ihr Geld nicht. Dann nach drei Monaten sind die auf einmal alle Harz 4 Empfänger. Weil es so gewollt wird. Und der Strom reist nicht ab. Ist ja auch zu einfach, und dann im "Paradies" leben. Leichter geht es nicht. Restzeitlich am Tag wird schwarz gearbeitet oder Wodka getrungen. Da kommen doch Fragen auf, ob das nicht gewollt ist um der Industrie die nötigen Billiglöhner zu liefern.
ciao