EU im Iran-Konflikt: Spätes Erwachen
Statt den Fall vor den Weltsicherheitsrat zu bringen, will die EU selbst vermitteln. Das kann nur scheitern, wenn sie die Schuld allein Iran zuweist.

S chlafwandelnd in den Krieg – was sich vor hundert Jahren in Europa ereignet hat, sollte nie wieder passieren. Doch es kann wieder geschehen, wie die schlafmützige Reaktion der EU auf die aktuelle Irankrise zeigt. Geschlagene drei Tage hat es gedauert, bis Ursula von der Leyen, die Chefin der „geopolitischen Kommission“, die Sprache wiederfand.
Was sie dann erklärte, lässt Schlimmes ahnen. Von der Leyen erwähnte die Kriegsgefahr mit keinem Wort. Der völkerrechtswidrige amerikanische Mord per Drohne war ihr ebenso wenig der Rede wert wie die illegalen US-Sanktionen gegen Iran. Dabei haben diese Sanktionen, die sich auch gegen Europa richten, den Konflikt erst angeheizt.
Auch die UNO kommt bei von der Leyen nicht vor. Statt den Fall vor den Weltsicherheitsrat in New York zu bringen, wie es bei solchen Anlässen üblich ist, will die EU selbst die internationale Vermittlung übernehmen. Doch wie will man vermitteln, wenn man Partei ist – und die Schuld an der Eskalation allein Iran zuweist?
Wie will man das Atomabkommen retten, wenn man die eigenen Verpflichtungen nicht erfüllt? Die EU hat Iran zugesagt, die US-Sanktionen durch ein eigens gegründetes Finanzinstitut namens Instex zu umgehen. Doch bis heute wurde kein einziges Geschäft über Instex abgewickelt. Auch dazu schwieg die deutsche EU-Chefin.
Immerhin hat von der Leyen für Mittwoch eine Sondersitzung zur Irankrise angekündigt. Am Freitag wollen sich zudem die Außenminister zu einer Krisensitzung in Brüssel treffen. Die Schlafwandler wollen sich also doch noch berappeln. Doch es ist ein spätes Erwachen. Derweil geht der außenpolitische Albtraum weiter.
Während die EU noch über die Irankrise berät, bahnt sich in Libyen schon das nächste Desaster an. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat Truppen in das nordafrikanische Land geschickt, auch islamistische Söldner hat er zur Intervention eingeladen. Es passiert direkt vor Europas Haustür. Doch die EU hat auch das verschlafen.
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