EU-Wahlen in Kroatien: Von Vertrauen keine Spur
Am 1. Juli treten die Kroaten der EU bei. Am Sonntag wählen sie bereits ihre Vertreter für das Brüsseler Parlament. Die Beteiligung dürfte gering sein.
LJUBLJANA taz | „Pipl mast trast as“ stand auf dem Manuskript von Ingrid Anticevic Marinovic, Beobachterin der sozialdemokakratischen Partei (SDP) im EU-Parlament. Ihre in bestem Balkan-Englisch gehaltene Rede in Brüssel wurde zum Youtube-Hit. Eigentlich wollte sie ihre Zuhörer davon überzeugen, dass Kroatien reif für die EU ist. Eine schlechtere Werbung hätte sich der ärgste Gegner des kroatischen EU-Beitritts allerdings kaum ausdenken können.
Vertrauen in Politiker zu haben, fällt in diesem Land allerdings auch ohne Kauderwelsch- Englisch ziemlich schwer. Am Sonntag sollen die Kroaten 12 Abgeordnete wählen, die sie ab dem 1. Juli im EU-Parlament vertreten. Gerade mal sechs Wochen ist es her, dass der Präsident Kroatiens Ivo Josipovic diesen Wahltermin ankündigte. Nun stehen 366 Politiker zur Wahl, die kaum Zeit hatten, sich selbst den Wählern vorzustellen, geschweige denn ein Programm für ihren Auftritt in Brüssel auszuarbeiten.
Obwohl Kroatien erst am 1. Juli der EU beitreten soll und immer noch zwei Länder - darunter Deutschland - den Beitrittsvertrag ratizifieren müssen, entscheidet sich also schon am Sonntag, welche Repräsentanten nach Brüssel geschickt werden. Mit einer entsprechend niedrigen Wahlbeteiligung ist daher wohl zu rechnen.
Und so ist dieser Wahltermin auch eher nur eine Randnotiz in den Zeitungen. Die einzigen Aufreger waren neben Marinovic - die nicht mehr auf der Kandidatenliste für das EU-Parlament steht, der Kandidat Damir Hrsak, bekennender Homosexueller und die Meldung, dass das Wahlregister von über 700.000 Wahlberechtigen bereinigt wurde. Es handelte sich dabei um sogenannte „Geisterwähler“ - längst Verstorbene oder unter nicht existierenden Adressen Gemeldete. Kroatien hatte bei den vergangenen Wahlen und beim EU-Referendum im Januar 2012 4,5 Millionen Personen als wahlberechtigt angegeben - mehr Wähler als das Land Einwohner hatte.
Gute Chancen für die Regierungskoalition
Die größten Chancen auf einen Umzug nach Brüssel hat laut Umfragen die gemeinsame Liste der Regierungskoalition Kukukuriku, der die Sozialdemokraten (SDP), die liberale Volkspartei (HNS) sowie die Rentnerpartei (HSU) angehören. Sie liegt bei etwa 30 Prozent. Die konservative Partei (HDZ) des verstorbenen Staatsgründers Franjo Tudjman tritt gemeinsam mit der Rechtspartei (HSP) und dem Rentnerblock an und könnte auf fünf Abgeordnete hoffen.
Dragan Zelic von der NGO „Gong“, die sich seit 1997 für Menschen- und Bürgerrechte einsetzt, kritisiert im Gespräch mit der taz die ultrakurze Terminierung und die inhaltsleeren Wahlkampagnen. „Trotzdem fordern wir die Bürger dazu auf, wählen zu gehen. Wir erhoffen uns von dem Beitritt zur EU und der Vertretung im EU-Parlament einen Demokratisierungsschub für Kroatien.“
Das Adriatic Institut sieht das ein wenig anders. Am vergangenen Mittwoch veröffentlichte der liberale Think Tank, dem auch ehemaligen US-Senatoren angehören, in der kroatischen Hafenstadt Rijeka einen offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel. Darin wird sie aufgefordert, unter anderem wegen Korruption, organisiertem Verbrechen, Unterdrückung der Medien, Unregelmäßigkeiten bei Wahlen und der schwachen Konjunktur den Beitritt Kroatiens abzulehnen.
Dragan Zelic kann die Beweggründe eines solchen Schreibens verstehen: "Es gibt viele, die befürchten, dass der Demokratieiserungsprozess nach dem EU-Beitritt Kroatiens zu Ende ist und sich Bürgerrechte wie im Fall Ungarn einfach wieder abschaffen lassen, ohne dass sich darüber irgendjemand aufregen würde."
Allein die Art und Weise, wie dieser Wahltermin am Sonntag zustande kam, verspricht nichts Gutes. Aber auch der kroatische Präsident sagte zu der Kritik an der viel zu kurzfristigen Festlegung des Urnengangs sinngemäß einfach nur: „Pipl mast trast us“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen