EU-Reformverträge erst nach Europawahl: Alle gegen die „eiserne Kanzlerin“
Merkels neoliberale Reformverträge für die Eurozone stoßen auf erbitterten Widerstand. Beim EU-Gipfel wurden sie erneut vertagt.
BRÜSSEL taz | Es läuft nicht rund für die erfolgsverwöhnte Kanzlerin. Ursprünglich wollte Angela Merkel schon im Juni ihre umstrittenen Reformverträge für die Euroländer durchdrücken. Doch niemand zog mit, Gewerkschaften und Bürgerinitiativen machten gegen die „Troika für alle“ mobil. Da der Bundestags-Wahlkampf nahte, verschob Merkel ihr Lieblingsthema auf den EU-Gipfel im Dezember.
Doch auch diesmal wurde es nichts: Am Freitag wurde das Streitthema erneut vertagt – auf Oktober 2014, kurz nach der Europawahl. Ob das eine gute Idee war, darf man bezweifeln. Denn nun könnten Merkels Pläne halb Europa gegen die „eiserne Kanzlerin“ mobilisieren. Schließlich erinnern sie viele an die autoritären, von der Troika verordneten „Memoranden“, mit denen die Euro-Krisenländer zu Lohnsenkungen und Rentenkürzungen gezwungen wurden.
Worum geht es? Merkel und ihre Berater wissen es scheinbar selbst nicht so genau. Am Anfang planten sie eine Neuauflage des „Wettbewerbspakts“, mit dem Deutschland schon 2011 auf die Eurokrise reagiert hatte. Es gehe darum, die Wettbewerbsfähigkeit mit einigen ausgewählten ökonomischen Kriterien zu messen und die Euroländer zu mehr Ehrgeiz anzuspornen, hieß es Ende 2012. Das Ganze sollte freiwillig sein, als Zückerchen wurden Finanzspritzen aus einem Euro-Budget versprochen.
„Geld gegen Reformen“, hieß das Motto, doch daraus wurde nichts. Denn Merkels Berater schafften es nicht, den unter Ökonomen ohnehin heftig umstrittenen Begriff der Wettbewerbsfähigkeit von Nationen in Zahlen zu fassen. Zudem weckte das Euro-Budget neue Begehrlichkeiten. Frankreichs Finanzminister Pierre Moscovici und EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy wollten es für groß angelegte Antikrisenprogramme nutzen, Merkel sagte Nein.
Seitdem dümpelt Merkels Lieblingsreform vor sich hin. Der Kanzlerin gelang es zwar, ihren Plan im Koalitionsvertrag mit der SPD zu verankern. Ihre Ideen sind auch etwas konkreter geworden. Es soll um Arbeitsmärkte und Produktmärkte gehen, um staatliche Bürokratie sowie um Forschung, Innovation, Bildung und Fortbildung.
Eigene Probleme ausgeblendet
Rein zufällig sind all das Bereiche, in denen Deutschland derzeit recht gut dasteht. Von fehlenden Krippenplätzen, maroder Infrastruktur oder drohender Vergreisung – also jenen Zukunftsthemen, bei denen Deutschland im europäischen Vergleich zurückfällt – ist nicht die Rede. Den anderen Euroländern möchte Berlin unpopuläre Reformen nach dem Vorbild der Agenda 2010 aufs Auge drücken, die eigenen Strukturprobleme blendet man großzügig aus.
Doch die versprochenen finanziellen Anreize – im EU-Gipfel-Jargon „Solidaritäts-Mechanismus“ genannt - sind mit der Zeit immer vager geworden. Mal heißt es, die Europäische Investitionsbank könne Kredite an reformwillige Staaten vergeben. Dann bringen Merkels Leute die Einnahmen aus der Finanztransaktionssteuer ins Spiel. Zu dumm, das diese seit Jahren versprochene Steuer immer noch nicht in die Tat umgesetzt wurde.
In Brüssel wird auch schon mal über Zuschüsse oder Kredite nachgedacht. Eine Idee lautet, reformwilligen Staaten die Kredite unter den marktüblichen Zinsen anzubieten. Doch wer soll das bezahlen? Merkel bleibt die Antwort schuldig. „Es geht um Zuckerbrot und Peitsche, aber das Zuckerbrot steckt noch im Ofen“, kritisierte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) beim EU-Gipfel.
Gleichzeitig hat Merkel ihre Tonart verschärft. Beim EU-Gipfel am Freitag war nicht mehr von freiwilligen Verträgen die Rede, sondern von einer Pflicht zur Reform. Nicht einzelne Staaten wie Frankreich sollen mitmachen, sondern plötzlich alle 18 Euroländer. Zudem sprechen Merkels Berater neuerdings von „regelmäßiger Begleitung und Konditionalität“. Das klingt sehr nach Kontrolle und Bestrafung – ganz wie in den Euro-Krisenländern.
Kommission als Zuchtmeister
Der einzige Unterschied wäre, dass künftig nicht mehr die verhasste Troika, sondern die überaus „beliebte“ EU-Kommission die Rolle Zuchtmeister übernehmen soll. Außerdem sollen die nationalen Parlamente „auf vernünftige Weise“ einbezogen werden.
Es gehe um „Ownership“, also ein Gefühl der Mitverantwortung. Dass das normalerweise aus Wahlen hervorgeht, bei denen sich die Bürger zwischen verschiedenen Parteien und Programmen frei entscheiden können, sagen die Berliner nicht. Denn eine Wahl sollen die Euroländer nicht mehr haben. Neoliberale Reformen sollen zur Pflicht werden, sonst drohen Sanktionen.
Kein Wunder also, dass bisher noch kein Land einen „Reformvertrag“ abschließen soll - zumal auch noch völlig offen ist, wer der Vertragspartner wäre. Nur das Krisenland Portugal ließ vorsichtig Interesse durchblicken. Wenn das portugiesische Hilfsprogramm wie geplant Mitte 2014 auslaufe, sei Merkel Plan „hilfreich“, sagte Europa-Staatsekretär Bruno Macaes. Allerdings betonte er dabei die „finanzielle Unterstützung“ – und genau die steht ja noch in den Sternen.
Frankreich und Italien hingegen, die Merkel wohl am liebsten an die Kette nehmen will, gehen auf Gegenkurs. Bei einem bilateralen Treffen im November forderten sie, die Eurozone solle gemeinsame Anleihen aufnehmen, um so Wachstum und Investitionen zu finanzieren.
Verzicht auf zentrale Forderungen
Tatsächlich wäre dies wohl die eleganteste Art, Reformen anzustoßen. Doch Eurobonds sind mit Berlin nicht zu machen. Selbst die SPD musste im Koalitionsvertrag auf diese zentrale Forderung für eine andere Europapolitik verzichten. Auch alle anderen Reformpläne für die Eurozone wurden gestrichen. Nur Merkels Verträge blieben.
Und so kam es, wie es kommen musste: Die EU-Staaten meuterten. Man komme nur „Millimeter für Millimeter“ voran, räumte Merkel nach dem unerquicklichen Treffen mit ihren Amtskollegen in Brüssel ein. Selbst befreundete Länder wie Österreich mauerten. Er lasse sich doch nicht vorschreiben, was er zu tun und zu lassen habe, schimpfte Kanzler Werner Feymann.
Zwar trösteten sich Merkels Leute mit der Einschätzung, dass das Verständnis für den Berliner Plan langsam wachse. Doch das ist kaum mehr als Wunschdenken. In Wahrheit empfinden viele Chefs die Initiative, die beim Gipfel auf den schönen Namen „Partnerschaftsverträge“ umgetauft wurde, als neues deutsches Diktat.
Als es noch um das Überleben des Euro, um Nein oder Nichtsein, ging, hätten sie dieses Diktat vielleicht noch geschluckt. Doch nun hat sich die Lage etwas beruhigt, selbst im krisengeschüttelten Südeuropa wächst neues Selbstbewusstsein. Nun tanzen nicht mehr alle nach Merkels Pfeife. Das ist dann vielleicht doch noch eine gute Nachricht aus Brüssel.
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