EU-Impfstoffdeal mit Pfizer: Impfschaden in Brüssel
Die EU-Kommission hat 2021 einen fragwürdigen Milliarden-Auftrag für Corona-Impfstoffe an Pfizer vergeben. Jetzt stockt die Aufarbeitung.
Die New York Times biss bei ihren Nachfragen ebenso auf Granit wie die Europäische Staatsanwaltschaft, die EU-Bürgerbeauftragte oder der Rechnungshof. Auch die taz hat nachgefragt: Was die Kommission denn zu der jüngsten strafrechtlichen Klage einer Privatperson aus Belgien und zu den Vorwürfen gegen von der Leyen sage, wollten wir wissen. „No comment“, kein Kommentar, antwortete von der Leyens Chefsprecher Eric Mamer – nicht einmal, sondern mehrfach.
Gemeinsam haben die 27 Mitgliedstaaten Ende 2020 begonnen, den dringend benötigten Impfstoff bei Pfizer und anderen Pharmakonzernen zu bestellen. Weil die Zeit drängte, nahm man es mit den Konditionen und der Kontrolle nicht so genau. Pfizer bekam mehrfach den Zuschlag – nicht zuletzt, weil deren Impfstoff beim deutschen Unternehmen BionTech hergestellt wird. Das sichere Arbeitsplätze und Know-how in Europa, sagte von der Leyen.
Doch nun bröckelt die Einheit. Das EU-Parlament, das sich für die Europawahl im Juni 2024 warmläuft, fordert Rechenschaft über die Verträge, die von der Leyen damals ausgehandelt hat – und die die EU auch jetzt noch zur Abnahme des nicht mehr benötigten Impfstoffs verpflichten. Einige EU-Staaten wollen die milliardenschweren Deals sogar nachverhandeln.
Groll im Europäischen Parlament
Gefährlich werden könnte von der Leyen vor allem das Parlament. Denn dort geht der Groll über ihre Geheimniskrämerei quer durch alle Fraktionen – bis hin zur Spitze. So fordert die Vizepräsidentin der EU-Volksvertretung, Katarina Barley (SPD), eine öffentliche Anhörung der CDU-Politikerin.
Es sei „selbstverständlich“, dass sich von der Leyen dem Parlament stelle, sagte sie dem Magazin Focus: „Ich erwarte das auch.“ Zwar habe der Sonderausschuss, den das Europaparlament zur Aufarbeitung der Coronakrise eingesetzt hat, nicht die gleichen Kompetenzen wie etwa ein Untersuchungsausschuss des Bundestages. Die EU-Abgeordneten können die Kommissionschefin zum Beispiel nicht einfach vorladen.
Es sei jedoch Aufgabe des Parlaments, die Kommission zu kontrollieren, so Barley, die von der Leyen noch aus der gemeinsamen Arbeit in der Bundesregierung kennt. Sie dürfe sich nicht verweigern. Schließlich gehe es um „sehr viel Steuergeld“.
Offizielle Angaben fehlen
Die Rede ist von 35 Milliarden Euro – so viel soll die Bestellung wert sein, die von der Leyen Anfang 2021 bei Pfizer aufgab. Davon sollen noch bis zu 10 Milliarden Euro ausstehen. Die Nachrichtenagentur Reuters hatte im Januar berichtet, dass die Zahlungsverpflichtung der EU aus diesem Vertrag in einer Größenordnung zwischen 7,8 und 9,75 Milliarden Euro liege.
Offizielle Angaben fehlen – denn die Verträge sind geheim, nicht einmal die EU-Abgeordneten bekommen die kritischen Klauseln zu sehen. Einige grüne Parlamentarier haben dagegen vor dem Europäischen Gerichtshof geklagt. Doch obwohl sie bereits im Januar eine Anhörung beantragt haben, warten sie bis heute auf einen Termin.
„Die EU-Kommission weigert sich immer noch, die Verträge mit den Pharmaherstellern komplett offenzulegen“, berichtet die Abgeordnete Tilly Metz aus Luxemburg, die an der Klage beteiligt ist. „Für mich ist das unverständlich, denn die Impfstoff-Beschaffung liegt nun schon einige Zeit zurück, und wir müssen uns auf die nächsten Krisen vorbereiten.“
Von der Leyen arbeitet eifrig am Schlussbericht
Dies gehe aber nicht ohne das nötige öffentliche Vertrauen – und das könne nur durch Transparenz und Kontrolle gesichert werden. „Für mich ist das eine Frage des Prinzips: Das Europaparlament muss die Arbeit der Kommission kontrollieren. Das ist meine Aufgabe, das bin ich meinen Wählern und Wählerinnen schuldig.“
Metz glaubt zwar nicht mehr, dass von der Leyen noch vor der Europawahl den Pfizer-Deal offenlegen wird. Umso eifriger arbeitet sie mit anderen Abgeordneten am Schlussbericht des Corona-Sonderausschusses, der im Sommer vorgelegt werden soll. Eine Lehre steht für sie jetzt schon fest: In der Coronakrise saß die Industrie am längeren Hebel.
„Die EU-Kommission hat in dieser Ausnahmesituation ihr Bestes gegeben“, so Metz. „Aber die Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie war für sie neu, und rückblickend hätte man einige Probleme vermeiden können.“ So habe sich die Kommission beim Ankauf von Corona-Impfstoffen auf das „Commercial Secret“ eingelassen. Das sei aus heutiger Sicht ein Fehler gewesen, der die EU teuer zu stehen komme. Auch die beteiligten Länder müssten das aufarbeiten.
Polen und einige andere Mitgliedstaaten haben sich bereits daran versucht – mit wenig Erfolg. In einem Brief forderte Gesundheitsminister Adam Niedzielski den Pfizer-Konzern auf, den umstrittenen Vertrag nachträglich zu ändern, um „die finanzielle Last zu mindern“. Zudem müsse verhindert werden, dass von den bis zu 1,8 Milliarden bestellten Impfdosen allzu viel im Mülleimer lande.
Pfizer will noch gute Geschäfte machen
Pfizer scheint zwar zu Kompromissen bereit, will aber selbst dabei noch gute Geschäfte machen. Nach Darstellung der Financial Times ist der Konzern bereit, die im laufenden Jahr abzunehmende Impfstoffmenge von 500 Millionen Dosen auf 280 Millionen zu reduzieren. Dafür soll die EU allerdings eine „Stornogebühr“ zahlen – und noch einige Jahre länger als geplant bei Pfizer einkaufen.
Wird also ein schlechter Deal durch einen weiteren schlechten Deal ersetzt, muss die EU gar noch bis 2026 Impfdosen von Pfizer abnehmen? Auf Nachfrage der taz erklärte ein Sprecher der EU-Kommission, dass die Gespräche mit Pfizer und den Mitgliedsstaaten noch liefen. Zu den Details könne man leider nichts sagen.
„Diese Diskussionen finden, wie es immer der Fall war, gemeinsam mit den Mitgliedstaaten statt“, betont der Sprecher. Anders gesagt: Die Kommission trägt nicht allein die Verantwortung. Wenn es Fehler gab, will von der Leyen nicht allein schuld gewesen sein – Deutschland und die anderen EU-Staaten hängen mit drin in der nicht enden wollenden Pfizer-Affäre.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
„Männer“-Aussage von Angela Merkel
Endlich eine Erklärung für das Scheitern der Ampel
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“