EU-Beitrittsangebot an die Ukraine: Moralpolitik gegen Demoralisierung
Mit dem Beitrittsangebot will die EU der Ukraine ein ermutigendes Signal senden – und anderen globalen Playern den Wind aus den Segeln nehmen.
L aut Umfragen war die Unterstützung der ukrainischen Bevölkerung für einen EU-Beitritt noch nie so groß – der Krieg war der Hauptauslöser. Eine Erhebung spricht von 90 Prozent im April – vor drei Jahren lag diese Zahl bei 60 Prozent. Dieses Stimmungsbild und die Tatsache, dass Präsident Wolodimir Selenski den Antrag auf den Beitritt zur EU erst kurz nach Februar 2022 unterzeichnet hat, zeigt, dass die EU als geostrategisches Projekt verstanden wird.
Dass, noch während der Krieg im Land tobt und während die Mammutaufgaben im Bereich Korruption nicht erfüllt wurden, die Europäische Kommission den Beginn der Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine (und auch Moldau) empfiehlt, zeigt, dass auch für Brüssel die EU zum geopolitischen Projekt geworden ist. Warum? Um dem Einfluss der anderen globalen Player (Russland, China, Saudi-Arabien) entgegenzuwirken, bevor es zu spät ist.
Das bestätigt auch die Tatsache, dass Brüssel sich am Mittwoch für Georgien als Beitrittskandidat ausgesprochen hat. Doch eine EU-Mitgliedschaft wird nicht automatisch Frieden im Osten mit sich bringen und auch keine Besänftigung der Beziehungen mit dem Nachbarn Russland. Das im Jahr 2014 zwischen der Ukraine und der Europäischen Union (EU) unterzeichnete Assoziierungsabkommen zeigte eher das Gegenteil. Seither hat das Land acht Jahre Krieg im Osten und bald zwei Jahre Angriffskrieg erlebt.
Brüssel aber hat es eilig, den Partnern in der Ukraine ein starkes Zeichen zu schicken. Der Krieg im Nahen Osten lenkt die internationale Aufmerksamkeit ab, und in Kyjiw besteht die Sorge, von den politischen Verbündeten alleingelassen zu werden. Grünes Licht für die Beitrittsverhandlungen wirkt da als moralisches Stärkungsmittel, selbst wenn sich EU-Mitglieder nicht mal einig sind.
Der Streit über nationale Interessen, bei dem Bulgarien seine Position gegenüber dem EU-Beitrittskandidaten Nordmazedonien ausspielt, zeigt, wie es laufen kann. Über die EU-Erweiterung müssen noch die EU-Regierungschefs entscheiden, und Länder wie Ungarn und die Slowakei sehen eine Ukraine in der EU extrem kritisch. Dazu kommt noch die ewige Diskussion über die Notwendigkeit, die EU vor einer möglichen Erweiterung zu reformieren – etwas, was dringend notwendig ist. Mal sehen, ob die Bundesregierung weiterhin diese Bedingung nun gegenüber ihren EU-Partner vertreten wird.
Positiv ist, dass mit dem pragmatischen geostrategischen Weg der EU die Balkanländer, die zum Teil seit zwanzig Jahren im Wartezimmer sind, eine Erfrischung gegen „Erweiterungsmüdigkeit“ bekommen haben und der Prozess im Balkan teilweise wiederbelebt wurde.
Doch wenn die EU ihre Glaubwürdigkeit nicht verlieren will, darf sie nicht allein bei geostrategischen Zielen bleiben, sondern muss sich an ihre wirtschaftliche und politische Grundlage samt den Prinzipien und Richtlinien halten. Andernfalls besteht die Gefahr, dass, wenn offizielle Beitrittskandidaten zu lange im Limbo bleiben, andere globale Akteure ihnen interessantere geostrategische Deals anbieten. Der Westbalkan, mit etwa Serbien, zeigt es bereits.
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