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EU-AußenministertreffenIn Gaza verrät die EU ihre Werte – auf Druck Deutschlands

Eric Bonse
Kommentar von Eric Bonse

Trotz überwältigender Beweise für Kriegsverbrechen konnten sich die EU-Außenminister nicht zum Ende des Assoziierungsabkommens mit Israel durchringen.

Kriegsverbrechen und kein Ende in Sicht, doch die EU zögert, weil die Staatsräson das anders sieht Foto: Mahmoud Issa/Reuters

I n Sonntagsreden und Gipfelbeschlüssen beschwört die Europäische Union gern das Völkerrecht und die Menschenrechte. Doch wenn es um Israel geht, sind die internationalen Regeln schnell vergessen. Mit ihrem schändlichen Lavieren angesichts der katastrophalen humanitären Lage im Gazastreifen – Amnesty International spricht von Genozid – verrät die EU ihre Werte.

Obwohl überwältigende Beweise für Kriegsverbrechen und Menschenrechtsvergehen vorliegen, konnten sich die EU-Außenminister nicht dazu durchringen, das Assoziierungsabkommen mit Israel auf Eis zu legen oder Sanktionen zu verhängen. Obwohl die Außenbeauftragte Kaja Kallas sagte, dass Israel seine humanitären Verpflichtungen verletze, hat sie Beschlüsse vertagt.

Verantwortlich dafür ist vor allem Deutschland. Das größte EU-Land steht zwar nicht allein – auch Österreich, Ungarn und Tschechien geben Israel und seiner rechtsextremen Regierung immer wieder Rückendeckung –, doch Berlin zeigt das größte Geschick darin, mit gespaltener Zunge zu sprechen und die EU von einem konsequent menschenrechtlichen Kurs abzuhalten.

Große Sorge, keine Konsequenzen

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Man teile die Sorge über die humanitäre Krise in Gaza, sagte Außenminister Johann Wadephul. Er verstehe nicht mehr, wie die israelische Armee vorgehe, erklärte Bundeskanzler Friedrich Merz. Was in Gaza geschehe, sei „eine menschliche Tragödie und eine politische Katastrophe“, klagte er. Doch Konsequenzen wollen Wadephul und Merz nicht ziehen.

Im Gegenteil: Im entscheidenden Moment hat die Bundesregierung verhindert, dass die EU ihren Worten endlich Taten folgen lässt. Mit dem fadenscheinigen Argument, man müsse Gesprächskanäle offen halten, wurden Vorstöße der Niederlande und Spaniens ausgebremst und die Mehrheit der EU-Staaten brüskiert.

Dabei hat niemand gefordert, die Beziehungen abzubrechen. Es ging nur darum, Artikel 2 des EU-Israel-Abkommens umzusetzen, der beide Seiten zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet. Daraus wird nun wieder nichts. Den Schaden hat die gesamte EU – sie hat in Gaza ihre Glaubwürdigkeit verloren. Für das Nichtstun gibt es keine Entschuldigung mehr.

Freuen kann sich hingegen Premier Benjamin Netanjahu. Mit seinem Angriff auf den Iran wollte er auch von den eigenen Untaten in Gaza ablenken. Das ist ihm gelungen, zumindest in Brüssel. Am Ende haben die EU-Außenminister zwar Druck auf den Iran gemacht, nicht aber auf Israel. Gaza muss warten, auch wenn dort täglich Dutzende Palästinenser ihr Leben lassen, weil ihnen niemand hilft.

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Eric Bonse
EU-Korrespondent
Europäer aus dem Rheinland, EU-Experte wider Willen (es ist kompliziert...). Hat in Hamburg Politikwissenschaft studiert, ging danach als freier Journalist nach Paris und Brüssel. Eric Bonse betreibt den Blog „Lost in EUrope“ (lostineu.eu). Die besten Beiträge erscheinen auch auf seinem taz-Blog
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5 Kommentare

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  • "Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral!" - Brecht

  • Wer zu Menchenrechts- und Völkerrechtsverletzungen schweigt, macht sich mitschuldig, egal wer die Täter sind.

    Es ist ein Irrglaube anzunehmen, man könne die große Schuld, die Deutschland mal auf sich geladen hat dadurch abtragen, dass man die aktuell Schuldigen in Israels Regierung durch Taktieren deckt.

    Es lassen sich immer Gründe finden, warum man einen Mörder nicht Mörder und einen Verbrecher nicht Verbrecher nennt.



    Mit Diplomatie oder Aufarbeitung der eigenen Schuld hat das nichts zu tun, eher mit Feigheit und einem Mangel an aufrechter Haltung.

    Alle, die mit Recht in der Verurteilung von Putins Krieg sehr klar sind, sollten dies auch gegenüber der Israelischen Regierung wegen des Vorgehens im Westjordanland und dem Gazastreifen sein.

    Stattdessen gibt unsere Regierung, die einerseits gerne von einer Führungsrolle Deutschlands innerhalb Europas redet, in Bezug auf den Umgang Israels mit den Palästinensern ein erbärmliches Bild ab.

  • Das ist wohl ein sehr typisches Verhalten zumindest deutscher Regierungen. Viel Blabla bei irgendwelchen Anlässen und wenn's darum geht konkret zu werden, dann eiert man herum. So auch hier. Es ist kein Freundschaftsdienst gegenüber Israel, es schadet der Bevölkerung in Israel und den Juden weltweit, weil die pauschal und undifferenziert für Verbrechen verantwortlich gemacht werden, die von einer faschistischen Clique zu verantworten sind, nur von denen. Unrecht ist Unrecht und bleibt es auch. Zumal unter "Freunden" muss man das kritisieren, alles andere ist Schleimerei, zumal man von sich selbst gerne behauptet fair und ausgeglichen zu sein. Doch es ist -wieder mal- bequemer dummes Zeug zu labern anstatt den eigenen und allgemeinen Grundsätzen treu zu sein. Wovor fürchten sich diese Leute?

  • Was zu erwarten war. Wundern tut mich das gar nicht. Allerdings frag ich mich welche Werte es denn sind, welche die EU repräsentiert. Allein wenn es um die Flüchtlingsfrage, den Deals mit den Autokraten Nordafrikas und dem jährlichen Ertrinken im Mittelmeer bzw. jetzt auch Verdursten durch Aussetzen in der Wüste geht, zeigt die EU doch schon lange, dass Menschenrechte eben nicht für alle gelten. Und wenn es um die wirtschaftliche Interessen geht, dann sind Völkerrecht und Menschenrechte doch komplette Fremdwörter. Im Grunde hat sich seit Kolonialzeiten nicht viel geändert, man hat jetzt für Unterdrückung und Ausbeutung nur hübschere Worte. Der globale Süden weis schon lange, das die "Werte" der EU max. für die Menschen der EU gelten, nicht für alle anderen. Die Illusion westl. Werte ist nun spätestens in Gaza begraben worden, sie liegt unter den Trümmern mit tausenden Zivilisten. Und die Zukunft sieht für die noch Lebenden düster aus: verhungern, Vertreibung oder Tod. Leider habe ich nicht die Hoffnung, dass ein einziger dt. Politiker für den in meinen Augen Völkermord, jemals zur Verantwortung gezogen wird.



    Im übrigen lenkt Iran auch ab von dem was im WJL seit Tagen passiert.

    • @Momo Bar:

      Seit Tagen? Seit Jahren !!!!