EMtaz: Portugals Talentschmiede: Gutes Training in der Einöde
Die meisten Spieler der Portugiesen kommen aus der Nachwuchsakademie von Sporting Lissabon. Diese brachte schon Figo hervor – und Ronaldo.
Portugals Stars werden in der Einöde auf der anderen Flussseite des Tejo gezüchtet. Man kann sich mehrfach verfahren auf den 40 Kilometern von Lissabon, bis man vorbei an Pferden, Pinien und versengten Wiesen ein Eingangstor findet, das auch zu einer Ranch im Wilden Westen führen könnte: die Academia Sporting. Dort wird das EM-Halbfinale, in dem sich am Mittwoch ab 21 Uhr in Lyon Portugal und Wales gegenüberstehen, sicher mit Spannung verfolgt.
Aus der Sporting-Akademie schickte der aktuelle Juniorenjahrgang gerade eine Videobotschaft nach Frankreich. „Ihr seid unsere besten Botschafter, wir sind sehr stolz auf euch.“ Die Adressaten waren zahlreich: Cristiano Ronaldo schloss in der Academia Sporting seine Ausbildung ab, José Fonté, Ricardo Quaresma, später Nani, João Moutinho, Rui Patricio und Adrien Silva, in noch jüngerer Zeit Cedric, William Carvalho, João Mário. Zehn Spieler, die im EM-Viertelfinale gegen Polen auf dem Platz standen. Zehn Spieler von 14, das ist einmalig in der EM-Geschichte.
Sporting brachte außerdem als einziger Klub zwei Weltfußballer hervor (Ronaldo und Luís Figo), in Paolo Futre auch den portugiesischen Star der vorvergangenen Generation, und allein seit dem Umzug in die heutigen Reviere nahe Alcochete im Jahr 2002 über 100 Profis für die erste portugiesische Liga. Die jährlichen Investitionen von rund 8 Millionen Euro in die Akademie holen ihre Verkäufe locker wieder rein.
Portugal ist ein kleines Land mit gut zehn Millionen Einwohnern – aber im Fußball eine Macht: Aktuell erreichte die Nationalmannschaft zum sechsten Mal in Folge bei einer EM mindestens das Viertelfinale. Normalerweise haben kleine Länder mal eine gute Generation, dann aber auch wieder länger keine. Nicht so in Portugal. Seine Nachwuchsschulen produzieren immer weiter, die des FC Porto traditionell etwas weniger, die von Benfica nach erheblichen Investitionen wieder mehr (unter anderem Renato Sanches) und die von Sporting praktisch ohne Unterlass.
Individualismus gilt nicht als verwerflich
Futre, Figo und Ronaldo, auch Nani und Quaresma: Dass Sporting traditionell viele Flügelstürmer hervorbrachte, ist kein Zufall. Die Trainer der Academia sind angehalten, Risikobereitschaft zu schulen, Dribblings und Eins-gegen-eins-Situationen. Die Kinder werden ermutigt, stundenlang allein mit dem Ball zu üben. Individualismus gilt nicht als verwerflich, er soll allenfalls ein wenig gezähmt werden: Wenn einer die Hausaufgaben nicht macht, darf er am nächsten Tag nicht mittrainieren.
Aktuell lautet die Spezialität des Hauses jedoch: Mittelfeldspieler. Heute wird der für sein Alter enorm komplette und entsprechend international begehrte William Carvalho, 24, gelbgesperrt fehlen, doch Silva und João Mário bestritten zuletzt jede Partie, und der langjährige Regisseur Moutinho, 29, scheint seine zwischenzeitliche Ermüdungsphase überwunden zu haben. Sporting belieferte bei diesem Turnier sogar andere Nationalmannschaften mit. Eric Dier, neben Dele Alli die einzige Hoffnung in Englands Problemzone, dem zentralen Mittelfeld.
Die Exzentrik eines Ronaldo oder Quaresma hat diese Generation nicht mehr. Das EM-Team kommt größtenteils ziemlich abgeklärt, fast technokratisch daher. Portugals Leidenschaftslosigkeit bei den jüngsten Auftritten ist es wohl auch, welche die Kundschaft irritiert, denn schlechteren Fußball als anderen kann man der Seleção nicht vorwerfen. 21 offensive Abschlüsse gegen Polen waren deutlich mehr, als Deutschland (13) und Italien (12) in ihrem Viertelfinale zustande brachten, und nur Belgien (98) hat im Turnier öfter aufs Tor geschossen als Portugal (95).
„Ich glaube nicht, dass der portugiesische Fußball sich italianisiert“, sagt Trainer Fernando Santos zu teils geäußerten Catenaccio-Vorwürfen. „Wir durchlaufen eine sehr gesunde Phase, in der wir einen gewissen Pragmatismus in unseren technischen Stil mischen.“ Und: „Ich spiele lieber schlecht, als dass ich gut spiele und schon zu Hause bin.“
Wegen solcher Sätze und weil Santos zuvor Griechenland trainierte, wird in den Medien bisweilen die Parallele zu 2004 reklamiert, als die Hellenen von Otto Rehhagel mit ultradefensivem Spiel die Portugiesen im Finale von deren Heim-EM schlugen. „Da gibt es keine Ähnlichkeiten“, weist Nani solche Vergleiche zurück. Aber wenn es wie damals für die Griechen nun für Portugal zum Titel reichen würde, hätte er wohl nichts dagegen. Der wäre dann auch die Krönung der unvergleichlichen Jugendarbeit seines Stammvereins.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!