St. Denistaz | Es war völlig irre. Im Grunde genommen war die Geschichte dieses Finales, eine Geschichte der Emanzipation des portugiesischen Teams von Ronaldo – und das im Endspiel gegen Gastgeber Frankreich. Und doch drehte sich wieder alles um ihn. Wie die Motten an diesem Juliabend im Stade de France in Paris zu Tausenden vom Licht angezogen worden waren, scharten sich die Fotografen um Ronaldo, den seine Mannschaftskollegen mehrfach als weltbesten Fußballer priesen.
Eder, der in der 109. Minute den entscheidenden Treffer zum ersten großen Titelgewinn dieses kleinen europäischen Landes erzielte und dem eigentlich die große Bühne zugestanden hätte, lobte: „Er hat uns allen Mut gegeben, wir waren fähig für ihn und für die Portugiesen zu gewinnen.“ Im Nachhinein gesehen war Ronaldos früher Ausfall in der 25. Minute lediglich ein tragischer persönlicher Schicksalsschlag, den vor allem er selbst bitterlich beweinte. Der 31-Jährige hatte sich nach hartem Einsteigen des Franzosen Dimitri Payet in der achten Minute verletzt. Das Team ließ sich davon jedoch nicht aus der Ruhe bringen.
Das ist bemerkenswert. Trainer Fernando Santos, der eigentlich ausschließlich immer nur über das Team reden möchte, räumte hinterher freimütig ein, dass das Spiel der Portugiesen natürlich auf diesen – wie auch er hervorhob – weltbesten Fußballer zugeschnitten ist.
In einer Form allerdings, das muss man ergänzen, die wenig berechenbar ist. Keine Mannschaft konnte bei dieser EM dieses portugiesische Team und Ronaldo zugleich ausschalten. Und im Endspiel legte Santos gezwungenermaßen die größte Reifeprüfung ab – es geht auch ohne die Leitfigur.
Portugals Plan C hat funktioniert
Über welche reichhaltigen strategischen Optionen der neue Europameister verfügt, zeigte der Umstand, dass letztlich erst der Plan C verfing. Eder, gekommen in der 79. für Renato Sanches, erzählte Santos, sei auch schon ein Einwechselkandidat für Ronaldo gewesen. Es wäre taktisch gesehen ein 1:1-Austausch gewesen. Doch der Trainer bevorzugte einen Strategiewechsel, brachte den wendigeren Stürmer Ricardo Quaresma und ließ Nani etwas zentraler spielen.
Die hervorragende Defensivstruktur funktionierte in den vergangen Spielen ja sowieso auch ohne großes Zutun von Ronaldo. Als man Frankreich wie alle anderen Gegner zuvor an dem Punkt hatte, dass die Verzweiflung und Erschöpfung offensichtlich wurde, belebte Fernando Santos die bis dahin völlig unauffällige Offensive erfolgreich mit Eder.
Die Elf der EMtaz
Manuel Neuer ist der beste Torwart der Welt. Die Italiener haben das spätestens im Elfmeterschießen gelernt. Gegen Frankreich patzte er dann und sein Gegenüber Hugo Lloris wuchs über sich hinaus. Er bleibt trotzdem die Nummer Eins – noch.
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Pepe nimmt keine Gefangenen. Alles was ihm in den Weg kommt, wird – meist mit fairen Mitteln – niedergemetzelt. Ohne ihn wäre Portugal nicht so abwehrstark.
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Auch Giorgio Chiellini gehört zu den besten Innenverteidigern des Turniers. Zweikampfstark, hart aber fair, auch vorne gefährlich, unermüdlich. Wenn er doch mal müde wird, bringt er vorher noch Chuck Norris ins Bett.
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Seine Rettungsaktion war eine der spektakulärsten Szenen der EM. Aber nicht nur deshalb gehört Boateng in die Elf des Turniers. Unser Abwehrchef, den wirklich Jeder als Nachbar haben möchte, war über die Spiele hinweg eine starke Stütze für das deutsche Team und bewies seine Zweikampfstärke.
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Beste Noten erhielt auch Polens Außenverteidiger Lukasz Piszczek. Macht hinten dicht, nach vorne stark mit guten Flanken, laufstark.
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Aron Gunnarsson. Seine Einwürfe könnten auch Ecken sein, außerdem ist er der Kapitän der „Huh!“-Isländer.
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Neben Bale ist Ramsey der Starspieler von Wales. Auch dank ihm sind die Waliser bis ins Halbfinale gekommen.
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Dimitri Payet hat bereits drei Tore während der EM geschossen, er ist kreativ und dribbelstark. Außerdem bekennender Fetischist, er küsst gerne die Schuhe von Griezmann.
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Gareth Bale, Waliser, schnell, unfassbar schnell. Außerdem ein guter Freistoßschütze, ein Mann des unermüdlichen Einsatzes und ein offensiver Mittelfeldspieler, der stets mehrere Abwehrspieler bindet.
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Cristiano Ronaldo war ohne Frage einer der Spieler des Turniers. Man hat ihn nicht nur zum ersten Mal als Mensch wahrgenommen, er war auch spielerisch stark und zeigte seine Leistung vor allem gegen Ungarn. Nach seiner Spielerkarriere könnte er auch ein guter Trainer werden, was er im Finale bewies.
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Antoine Griezmann, Frankreich. Sechs Einsätze, sechs Tore, davon zwei im Halbfinale gegen Deutschland. Der bisher mit Abstand stärkste Spieler des Turniers.
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Welch großen Anteil der Trainer an diesem Erfolg zuzurechnen ist, wusste auch Ronaldo zu würdigen: „Ich habe immer geglaubt, dass diese Spieler mit der Strategie des Trainers stark genug sind, Frankreich zu schlagen.“
Gewonnen hat das zähste Team der EM
Deren Trainer Didier Deschamps haderte ein wenig mit dem Schicksal. Der Tag weniger Erholungspause vor dem Finale hätte sicherlich eine Rolle gespielt, erklärte er und er verwies auf die trotzdem vorhandenen Siegchancen – insbesondere auf den Pfostenschuss von André-Pierre Gignac. Hätte er in der Nachspielzeit getroffen, wäre wohl Frankreich Europameister geworden. Aber Deschamps wollte dann kein schlechter Verlierer sein und gratulierte dem Gegner zu seiner starken Verteidigungsarbeit.
Portugal hat sich als das zäheste Team dieser Europameisterschaft erwiesen. Auf der Suche nach einer Rezeptur gegen dieses vorsichtig, abwartende, ballsichere Spiel ist in den letzten Wochen keiner fündig geworden. Irgendwann, wenn auch meistens spät, kam immer der Moment Portugals.
EMtaz: Und raus bist du!
Die Ästhetik des Scheiterns: Antoine Griezmann nach dem Finale. Was für ein grandioses Turnier für Frankreich.
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Raus im Halbfinale. Der Weltmeister auf dem Niveau von Wales. Aber: Vorher gegen Italien gewonnen, starkes Achtelfinale gegen die Slowakei. Gruppenphase ganz okay. Gutes Turnier, trotz alledem.
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Wir zitieren an dieser Stelle aus Gründen einfach mal den Fan-Chant der Waliser: "Don't take me home, please don't take me home. I just don't wanna go to work, I wanna stay here and drink all ya beer! Please don't, please don't take me home!" Schön, dass ihr da wart und so lange geblieben seid. Danke.
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Raus mit ganz viel Applaus und einem letzten UH! Kolbeinn Sigthorsson und Island sind nach Wales das größte Überraschungsteam dieser Euro. Nach dem 2:5 im Viertelfinale gegen Gastgeber Frankreich geht's zurück auf die Insel.
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Flogen nach endlosem Elfmeterschießen gegen Deutschland im Viertelfinale raus: die Italiener. Als Gianluigi Buffons Tränen nach dem verwandelten Elfer von Jonas Hector auf der Videowand im Stadion gezeigt wurden, gab es Szenenapplaus. Schnüff.
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Im Viertelfinale gegen Wales traf Belgiens Radja Nainggolan zum 0:1. Reicht sicher, dachten sich die Belgier daraufhin und hauten die Handbremse rein. Das ging gehörig schief, Wales' Kicker Williams, Robson-Kanu und Vokes drehten den Spieß um, 3:1 für die Dragons! Nainggolan und Co. packten die Koffer.
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Endstation im Elfmeterschießen: Was bei den Polen im Achtelfinale noch gut klappte, wurde ihnen im Viertelfinale zum Verhängnis. Mit 3:5 unterlag die Mannschaft von Trainer Adam Nawalka Portugal. Die Tore in der regulären Spielzeit hatten Lewandowski und Sanches erzielt. Vom Punkt verfehlte nur Jakub Blaszczykowski (2. v.r.).
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Hat Spaniens Trainer Vicente del Bosque den Achtelfinalgegner Italien unterschätzt? Mit 0:2 schied Spanien aus, wenig souverän wirkte der Titelverteidiger dabei. Sechs Punkte in Gruppe D, die Schwächen des Teams waren schon bei der Gruppenniederlage gegen Kroatien sichtbar.
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Wieder nur das Achtelfinale erreicht: Mit 1:2 nach 1:0-Führung schied England aus – gegen Island. Vor dem Turnier hochgelobt, erwies sich England in der Vorrunde in Gruppe B als spielstarkes Team, das aber aus vielen Torchancen zu wenig zu machen wusste.
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Applaus trotz Aus: Ungarn hatte beim 0:4 im Achtelfinale gegen Belgien keine Chance. Trotzdem war das Turnier für die Mannschaft ein großer Erfolg. In ihrer Gruppe ließen sie Portugal, Österreich und Island hinter sich. Besonders beim 3:3 gegen Portugal hat das Team um Coach Bernd Storck alle Fans mitgerissen.
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Mit Kind und Kegel heim fuhr die Slowakei nach dem 0:3 im Achtelfinale gegen Deutschland. Die Löw-Elf hatte das Team um Marek Hamsik im Griff, da half auch der furchteinflößende Blick von Kapitän Martin Skrtel nix. Zuvor ein starker Auftritt in Gruppe B, Sieg gegen Russland, vier Punkte, Platz 3.
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Bittere Tränen weinte Irlands Torwartkoloss Darren Randolph nach dem verlorenen Achtelfinale gegen Frankreich. Dabei hat sich sein Team nix vorzuwerfen: Kämpferisch in allen Spielen top, fehlte dem Tabellendritten der Gruppe E letztlich einfach die spielerische Qualität. Die lautstarken und fairen irischen Fans werden dem Turnier fehlen.
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Unsanft gelandet ist Kroatien im Achtelfinale gegen Portugal. Gegen Spanien überzeugten die Kroaten noch spielerisch, galten als Erster der Gruppe D als Titel-Mitfavorit und dann das: Gegen die Defensivtaktik von Fernando Santos fanden sie kein Mittel, der Trainer stellte sein Team falsch auf, ein und um. Kroatien blieb ein Versprechen.
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Schluss im Achtelfinale war auch für Nordirland. Dabei zeigte der Underdog im Inselduell gegen Wales, dass er auch offensiv spielen kann – nur ein Eigentor verhinderte ein noch größeres Wunder. Größtes Verdienst: die inoffizielle EM-Hymne "Will Grigg's on fire". In Gruppe C mit 2:2 Toren und drei Punkten als Tabellendritter weitergekommen.
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Upsi – das Achtelfinal-Aus der Schweiz war ein Unglückliches. Granit Xhaka verschoss seinen Elfmeter gegen Polen. Dabei war das Spiel gegen Polen das ansehnlichste Schweiz-Spiel. Shakiris Fallrückzieher aus 16 Metern ist das bislang schönste Tor des Turniers. Zuvor 2:1 Tore, fünf Punkte, Zweiter in Gruppe A.
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Aus dem Fernsehen erfahren, dass man raus ist: Albanien. Gruppe A, 1:3 Tore, drei Punkte. Der Eindruck täuscht ein wenig. Für Albanien war bereits die Qualifikation ein Erfolg, der Sieg gegen Rumänien die Kirsche auf der Torte. Ganz fürs Achtelfinale gereicht hat es nicht. Dafür hätte etwas mehr kommen müssen als ein Tor.
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Türkei, Gruppe D: 2:4 Tore, drei Punkte. Wie Albanien schaffte es auch die Türkei nicht unter die vier besten Gruppendritten. Trainer Fatih Terim war frustriert. Dabei hat er seine Spieler häufig auf den falschen Positionen aufgestellt. Nur gegen Tschechien konnte die Türkei durchgehend überzeugen. Zu wenig.
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Österreich, Gruppe F: 1:4 Tore, ein Punkt. Die erweiterte Bundesligaauswahl versteckte sich besonders im Angriff zu oft. Torwart Robert Almer war der Held gegen Portugal, Tore schießen konnte er allerdings auch nicht. Österreich blieb eine einzige Enttäuschung.
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Schweden, Gruppe E: 1:3 Tore, ein Punkt. Die Nationalmannschaftskarriere des großen Zlatan Ibrahimovic hat kein Happy End. Zu häufig war er in der Offensive auf sich allein gestellt. Sinnbildlich: Das einzige schwedische Tor war ein Eigentor der Iren. Vorlagengeber: Ibrahimovic, natürlich. Mach's gut, Zlatan.
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Tschechien, Gruppe D: 2:5 Tore, ein Punkt. Definitiv zu wenig. Große Comeback-Qualitäten nach einem 0.2-Rückstand gegen Kroatien. Das war's dann aber auch.
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Gruppe C, Ukraine: 0:5 Tore, null Punkte. Spielerisch besser, aber vom Ergebnis her schlechter als Russland. Au weia.
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Schnell raus waren die Russen in Gruppe B: Zwei Tore geschossen, aber sechs kassiert, nur ein Punkt in der Vorrunde. Fünf gute Minuten gegen England, darauf lässt sich für die WM 2018 in Russland aufbauen.
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Waren als Erste weg, die Rumänen. Kein schlechtes Eröffnungsspiel gegen Frankreich, aber dann: Nur ein Tor geschossen, einen Punkt geholt (gegen die Schweiz) und im entscheidenden Spiel um Platz 3 in der Gruppe A gegen Albanien verloren.
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Im Finale ließ er bis zur 109. Minute auf sich warten. Aber mit zunehmender Spieldauer hatte man schon eine Ahnung davon bekommen, dass er kommen würde. Fast zeitlupenhaft wirkte es dann, wie der von Eder aus gut 20 Metern getretene Ball sich dem Tor näherte. Es war ein Schuss ohne Dynamik und Glanz, aber von großer Effizienz – ganz so wie der Auftritt der Portugiesen bei diesem Turnier.
Europameister ist eine Mannschaft geworden, die in der Vorrunde lediglich Dritter wurde und im ganzen Turnier über 90 Minuten nur ein einziges Spiel gewann. Viel effizienter geht es wohl kaum.
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