EMtaz: Ode an den Dribbler: Mehr Draxlers und Hazards, bitte!
Die Draufgänger übernehmen bei dieser EM Verantwortung. Solche Typen entscheiden über Sieg und Niederlage.
G eduld! Die predigt Bundestrainer Joachim Löw schon lange. Seit Jahren lebt er streng nach den Geboten des spanischen Ballbesitzfußballs. „Passen, passen, passen“, heißt dessen Erlösungsbotschaft, bis irgendwann mal jemand frei steht. Aber weil die Andersgläubigen sich längst darauf eingestellt haben und immer ausgeklügelter verteidigen, ist auch Löw zu Reformen bereit. Zum Kanon der DFB-Elf gehören nun auch lange Pässe in die Spitze – und natürlich genial-schöne Dribblings.
Gut so, denn Dribbler entscheiden diese Europameisterschaft: Spieler wie Kingsley Coman, Eden Hazard oder Julian Draxler. Es sind die mutigsten Spieler, die man sich nur vorstellen kann. Sie suchen den offensiven Zweikampf, das Duell, obwohl sie wissen, dass es böse enden kann. Dass sie Pfiffe ernten könnten, weil sie sich einen Knoten in die Beine gespielt haben oder vom Abwehrspieler abgegrätscht wurden. Oder dass man sie beleidigt, wenn sie sich mal wieder im Abwehrbollwerk festgefressen haben: „Was für ein blöder Fummler!“, heißt es dann. Oder: „Der kann’s einfach nicht!“
Die Größen der Branche nehmen das aber in Kauf, weil sie ihrem Team den entscheidenden Vorteil verschaffen wollen. Gelingt das Dribbling und hat der dribbelnde Zauberfuß den Gegenspieler abgeschüttelt wie eine lästige Fliege, öffnen sich plötzlich Räume, ergeben sich Chancen. Kurz: Die Mannschaft ist der Motor, der Dribbler ihr Turbo. Er zündet zusätzliche Antriebsstufen.
Für diese Spielbeschleunigung werden sie geliebt. Mehr noch: Die Dribbler werden zu Ikonen der Populärkultur: Lionel Messi, Diego Maradona, Andrés Iniesta. Ihnen wird gehuldigt wie Padre Pio. Ein Dribbler ist eine archaische Figur, weil er das Unmögliche wagt. Und ein Homo ludens in seiner reinsten Form.
Deutschland braucht mehr Dribbler
Immer mehr Fans sehnen sich nach mehr Ungeduld auf dem Rasen, gerade bei diesem Turnier. Nach Spielern, die sich Hals über Kopf in die Defensivreihen stürzen und nicht immer wieder drumherum spielen oder dröge passen.
Wir träumen vom Superdribbler, der das direkte Duell sucht, der wie Julian Draxler am Sonntag in Lille gegen den Slowaken Juraj Kucka mit ein, zwei Täuschungsmanövern vorbeizieht und ein Tor vorbereitet. Wir wollen den Spieler sehen, der im Zweifelsfall lieber mit einer Art doppelter Zidane-Trick in den gegnerischen Reihen hängen bleibt, als den Graubrotkicker, der den zwanzigsten Alibipass spielt, nur weil er keine Traute hat und keine Technik.
Hazard und Draxler, mehr von diesen heldenhaften Dribblings!
Doch das ist das Wichtigste und Schwierigste zugleich: sich nicht entmutigen zu lassen. Draxler weiß das: „Wenn man drei, vier Mal versucht, in Eins-zu-eins-Situationen zu gehen und verliert dann drei Bälle, braucht man auch das Selbstvertrauen, es weiterzumachen.“ Dribbler müssen scheitern dürfen. Dribbler brauchen Trainer, die bedingungslos hinter ihnen stehen – und ein besonders reißfestes Nervenkostüm brauchen sie auch.
„Zwei brillante Zauberfüße“, bescheinigte Mario Gomez seinem Teamkollegen Draxler. Und wer will diese Zauberfüße nur passen sehen? Was für eine Verschwendung! Löw habe ihn aufgefordert, die Eins-zu-eins-Situationen zu suchen, erzählte Draxler. „Das war Teil seiner Ansprache, die er an mich gerichtet hat. Er hat mir viel Selbstvertrauen zugesprochen. Er weiß, dass ich gut bin.“
Julian Draxler über Löw
Das Spiel in Lille hat gezeigt, welche Möglichkeiten sich diesem Spiel eröffnen, wenn man den Eigensinn stärkt und große Individualisten nicht mit rigiden Kollektivregeln zu zähmen versucht. Letzteres galt in den deutschen Ausbildungsstätten in den letzten Jahren als oberstes Gebot. So ist Julian Draxler zu einer Rarität geworden. Mehr Dribbler braucht Deutschland, dringend.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!