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EMtaz: Kommentar EM-StartTeilurlaub fürs Gehirn

Jürn Kruse
Kommentar von Jürn Kruse

Die EM beginnt in einer für Europa kritischen Zeit. Viele wenden sich ab. Dabei könnte sie auch ein Grund zur Erholung sein.

Fans drehen gerne mal durch: ein bisschen Contenance ist trotzdem geboten Foto: dpa

E rdoğan, AfD, Brexit, Idomeni, Eurorettung, Terrorismus, Rechtsruck, Flüchtlinge – Europa 2016 im Schnelldurchlauf. Und nun kommt die Fußball-EM. Seit dem Ende des Kalten Krieges war kein kontinentales Sportereignis mit mehr Problemen belastet als diese Europameisterschaft in Frankreich, wo derzeit ja auch heftig protestiert wird.

Das Turnier wird übrigens von einem Verband namens Uefa veranstaltet, dessen letzter Präsident Michel Platini „für sämtliche nationalen und internationalen Fußballtätigkeiten (administrativ, sportlich und anderweitig) gesperrt“ ist (O-Ton Ethikkommission). Seitdem ist der Posten unbesetzt.

Krise trifft auf Krise trifft auf Krise.

Ja, es gibt gute Gründe sich von diesem Turnier abzuwenden. Und es ist mit Sicherheit kein Zufall, dass noch am Mittwoch – also zwei Tage vor dem Eröffnungsspiel – für eben jenes Match noch Eintrittskarten erhältlich sind. Oder dass der Trikotverkauf bislang schleppend laufen soll. Und es ist nicht schön, dass Nationalspieler jetzt schon ankündigen, aus Sorge um ihre Familien diese nicht mitnehmen zu wollen zu den Spielen.

Doch was brächte es, sich die Ohren zuzustopfen, die Augen zuzuhalten und sich von Fernsehern, Zeitungen, Internet und größeren Menschenansammlungen fernzuhalten? Nichts.

Es gibt gute Gründe sich vom EM-Turnier abzuwenden. Aber bringt das was?

Stattdessen müssen wir die großen Unterhaltungsshows in Europa – zu denen neben dem Fußball eigentlich nur noch der Eurovision Song Contest zählt – als das nutzen, was sie sind: extrem krisenfeste Bastionen. Hier kam Europa schon zusammen, als die eine Hälfte mit der anderen Hälfte eigentlich nicht zusammenkommen durfte. Hier schauen wir auf Länder, auf die wir sonst nie schauen (Albanien).

Zugegeben, das sind auch die Argumente der Verbände, um jede Kritik an deren Vergabepraxis (WM 2018 in Russland, WM 2022 in Katar) zu unterdrücken. Aber: Anders als es Uefa, Fifa und IOC wollen, muss die Einlassung auf ein Turnier nicht bedeuten, dass man zum völlig unkritischen Jubelkonsumvieh wird.

Nein, man muss ja nicht gleich sein gesamtes Hirn für einen Monat auf Standby schalten – aber ein bisschen Eskapismus powered by Uefa EURO 2016, da gibt's wahrlich Schlimmeres. Und, mal ehrlich: Wem tun ein paar Wochen Auszeit von der europäischen Dauerkrise nicht ganz gut?

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Jürn Kruse
Ist heute: Redaktionsleiter bei Übermedien und freier Autor. War mal: Leiter des Ressorts tazzwei bei der taz. Davor: Journalistik und Politikwissenschaft in Leipzig studiert. Dazwischen: Gelernt an der Axel Springer Akademie in Berlin.
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12 Kommentare

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  • Geht's vielleicht auch eine Nummer kleiner?

    Warum soll man denn nicht mal einen Monat Fussball gucken?

    Ich glaube, den ganzen gebildeten Leuten und Über- Intellektuellen, die da zu viel hineininterpretieren, hat man damals an der Uni oder wo auch immer, den Kopf zugenagelt. Mischt Euch mal unter den Pöbel und feiert ein bisschen.

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @Wuff:

      Sie können davon ausgehen, dass es Menschen gibt, die sich nicht für Fußball interessieren. Die anderen dürfen gerne "feiern", wenn sie dabei nicht zu lästig werden. Aber genau da liegt das Problem...

  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    Teilurlaub für's Gehirn?

    Vollurlaub für die Gehirne der Schwarzrotgoldenen Rückspiegelkondomfans.

  • Das Problem besteht nicht darin, dass die Leute sich aus gegebenem Anlass eine Auszeit nehmen. Vermutlich wäre es nicht einmal schlimm, wenn zwei Drittel der männlichen und ein drittel der weiblichen Bevölkerung dieses Landes "sein gesamtes Hirn für einen Monat auf Standby schalten" würde. Schlimm ist, dass der Standbymodus in drei Viertel aller Fälle ein 12-31-24-Dauerzustand ist. Einer, der noch weniger als sonst auffällt, wenn sich alle paar Jahre 22 Stellvertreter um einen in Kinderarbeit hergestellten Ball zanken.

     

    Ja, es gibt gute Gründe sich von diesem Turnier abzuwenden – und anderen Events zu. Wer sagt denn, dass allein die UEFA den westlichen Lebensstil zelebrieren (lassen) muss zum eigenen vorteil? Zur Freiheit aller gehört es doch dazu, keine Mono-Kultur zu haben, sondern eine bunte, lebendige. Eine, die zudem viel schwerer anzugreifen ist.

     

    Der Weltfußball ist ein Konzern, der umgehend verboten werden müsste, fiele er unter das Kartellrecht. Er ist inzwischen viel zu mächtig, als dass er noch Sinnvolles beitragen könnte zur gesellschaftlichen Entwicklung. Er ist viel mehr ein Risiko als eine Chance. Too big to live, sozusagen. Nur leider eben auch too big to fail. Er hat schließlich schon beinah alles andere platt gemacht.

     

    Wir sind mal wieder (zu) spät dran, Leute.

  • EM-Spiele in leeren Stadien, weil die Bevölkerung der Meinung ist, es gäbe derzeit wichtigeres als die Nationalismusfestspiele der Fußballverbände? Das wäre doch mal ein Signal das Hoffnung auf mehr Demokratie macht.

    • @ShieTar:

      Das Dumme an Signalen ist, dass sie nie völlig eindeutig sind. Sie sind immer interpretierbar. In dem Fall könnten leere Stadien als Kapitulationserklärung angesehen werden - und als Aufforderung, genau so weiter zu machen, wie 9/11 begonnen wurde: mit Anschlägen auf den "westlichen Lebensstil". Hoffnung? Sieht anders aus, denke ich.

      • 5G
        571 (Profil gelöscht)
        @mowgli:

        "Das Dumme an Signalen ist, dass sie nie völlig eindeutig sind. Sie sind immer interpretierbar."

         

        Aha, das ist mir jetzt ganz neu. Was gewaltig stört, sind "nie" und "immer".

  • wir haben doch ganz im gegenteil probleme mit dem einschalten!!! warum rührt sich denn nix, bei all den problemen? warum kümmerts niemanden?

     

    weil eben nix ein- , sondern ständig nur abgeschaltet wird!!

     

    also ja!!!

     

    ja, abschalten - die ganze EM durch.

     

    einschalten und mitmachen beim leben!!

  • Was mir mehr Angst macht als jede Krise ist unsere anpassungsfähige Jugend.

     

    Da wird aus jedem Tiefpunkt das neue Mittelmaß, aus der Krise wird der Normalzustand, aus der Dystopie die moderne Demokratie.

    Hauptsache man hat was zum mitgröhlen.

    • @Chaosarah:

      Die Jugend war mehrheitlich schon immer ziemlich anpassungsfähig. Wäre es anders, hätten wir die aktuellen Probleme gar nicht. Die Leute, die heute erzkonservativ sind, waren schließlich auch mal jung - und angepasster, als gut ist für uns alle.

       

      Was mich wirklich ärgert, ist nicht die Anpassungsfähigkeit der Jungen. Was mich ärgert ist, dass die angepassten Alten, die Leute, die schon etabliert sind und etwas zu sagen haben, die jugen Leute, die, die noch keine Erfahrung haben und noch einen Platz im Leben suchen, zur Anpassung zwingen. Aus reinem Egoismus, wenn ich das richtig sehe.

  • Jawoll, es lebe *Bier und Spiele"

     

    Gab es da nicht gar mal eine TV-Folge mit dem Titel?

     

    Sei schlauer trinke Schauer od. so ähnlich................