EMtaz: Belgien vor dem Viertelfinale: Einer fällt besonders auf
Der Fighter hinter Belgiens Vier-Mann-Angriff: Radja Nainggolan hält den Stars Hazard und De Bruyne den Rücken frei.
Über seine blasse Haut spannen sich mehrere Dutzend Tattoos, und weil das nicht genügt, ist das Haar zwar kurz geschoren, aber ein Hahnenkamm darauf schrill blondiert. Und wenn denn dieser junge Mann will, dann schaut er noch furchterregender aus als auf den Plakaten einer Werbekampagne, in der sich die belgischen Fußballer wie neuseeländische Rugbyspieler gebärden.
Der 28-jährige Nainggolan fällt auf. Bei ihm stehen ein Siegtor (beim 1:0 gegen Schweden), eine Torvorlage (beim 4:0 gegen Ungarn) und formidable Passquoten (90 Prozent) in der Statistik. Dabei will Nationaltrainer Marc Wilmots vor allem, dass er „unserem Vier-Mann-Angriff“ (Wilmots) den Rücken freihält. Geht denen der Ball verloren, ist Nainggolan der Erste, der zurücksprintet.
Die Verhältnisse, in denen dieser Nationalspieler mit seiner Zwillingsschwester Riana in Antwerpen aufwuchs, sind mit prekär noch unzureichend beschrieben. Riana, mittlerweile zu ihm nach Rom gezogen, ist auch Nationalspielerin und tritt für die Res Romana an, das Frauenteam von Italiens Hauptstadt. Erst vor wenigen Wochen gaben die beiden ein Interview, im dem alle Tiefpunkte einer zerrütteten Familiengeschichte zur Sprache kamen.
Eine ganz besondere Mission
Anfangs war noch alles gut, der aus Indonesien stammende Vater nahm die Kinder oft in einen Hof, um ihnen Lieder mit der Gitarre vorzuspielen. Doch eines Tages, Radja und Riana gerade acht, war Papa nicht mehr da. Zurückgegangen in seine Heimat. Der Familie hinterließ er nichts als Spielschulden. Die Mutter beschloss, die Kinder allein durchzubringen; zeitweise hatte sie drei Jobs auf einmal: morgens in einer Reinigungsfirma, tagsüber in einem Krankenhaus, abends in einem Café.
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Als der damals bei Germinal Beerschot spielende Radja Nainggolan das Angebot bekam, für ein Monatsgehalt von 1.400 Euro zum italienischen Zweitligisten FC Piacenza zu gehen, willigte der damals 17-Jährige ein. Die Hälfte des Geldes schickte er nach Hause.
Als er wegen des Heimwehs heimkehren wollte, drohte der große Bruder an, ihm dann die Beine zu brechen. Er hielt durch, aber das Schicksal war trotzdem noch nicht auf seiner Seite. Als er 2010 erfuhr, dass seine Mutter an Krebs litt und nur drei Monate zu leben hatte, waren die Tränen lange nicht zu trocknen.
Diese EM, sagte die Schwester jüngst, sei für ihren Bruder eine ganz besondere Mission, zumal er die WM ja verpasst habe. Nach Frankreich werde sie nicht kommen, „ich habe immer noch Angst vor einem Anschlag, aber ich beobachte ihn. Und ich bin sicher, unsere Mutter tut es auch.“
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